Die G8-Länder können sich in Camp David weder auf Konjunkturpakete noch auf Sparanstrengungen einigen. Merkel guckte nebenbei Fußball.

Camp David. Wo warst du, als Bastian Schweinsteiger den Pfosten und Didier Drogba ins Netz traf? Diese Frage können Fans wahrscheinlich noch in 50 Jahren beantworten. Bayern-Fan Angela Merkel auf jeden Fall. Die deutsche Kanzlerin sah das denkwürdige Champions-League-Finale in einem Holzhaus gemeinsam mit Barack Obama. Die "Laurel Hut" liegt mitten in Camp David, der kleinen Waldsiedlung unweit von Washington, die US-Präsidenten als Rückzugsort nutzen. Dort war in einem nur den Staats- und Regierungschefs zugänglichen Konferenzraum gleich eine ganze Wand von Flachbildschirmen installiert - und auf allen lief Bayern gegen Chelsea. Das Foto, das eine aufgewühlte Merkel während des Elfmeterschießens zeigt, schoss kein neutraler Beobachter: Ihr Fotograf Guido Bergmann trug unter dem Jackett ein Bayern-Trikot.

Eigentlich hatten die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industrieländer und der russische Premierminister Wichtigeres zu tun. Doch pünktlich zum Anpfiff der zweiten Halbzeit tauchte Merkel in der "cinema cabin" auf. Sie hatte sich nicht alleine davongestohlen, sondern mit dem britischen Premier David Cameron. Die beiden wurden vermisst: Die Europäer schauten zwischendurch nach Merkel und Cameron - und blieben. Zum Elfmeterschießen tauchte dann sogar Barack Obama auf. Von neutraler Seite war zu erfahren, Cameron habe vor dem Elfmeterschießen zu Merkel gesagt: "Ach, das gewinnt ihr doch immer!" Merkel soll seit dem verschossenen Robben-Elfmeter nicht mehr gar so zuversichtlich gewirkt haben.

Selbstverständlich versuchte die Kanzlerin, auch die Begeisterung für den Fußball auf ihre politischen Mühlen zu lenken - und war dabei nicht immer stilsicher. Ihr Foto mit einem halb nackten Mesut Özil beim Spiel Deutschland gegen die Türkei sollte ein Symbol für Integration sein, wurde von Fußballern aber als Einbruch in die geschützte Kabine gewertet.

Diesmal war es David Cameron, der - noch während die Siegerehrung lief - ein angeblich spontanes TV-Interview gab. Merkel gab sich als Verliererin zugeknöpfter. Dabei hätte sie eine interessante Parallele zwischen der Tragödie von München und ihren Erlebnissen in Camp David ziehen können. Denn während Schweinsteiger & Co. drückend überlegen waren, ging es Merkel gerade umgekehrt: In einem Umfeld, in dem die Mehrheit der Teilnehmer etwas anderes wollte als sie, erreichte Merkel eine Art achtbares Unentschieden.

Ein Tor schoss Merkel in jedem Fall, indem sie erreichte, dass die Staatschefs keine neuen Konjunkturpakete verabredeten. Denn teure Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft hält Merkel nicht nur für unbezahlbar, sondern auch für Unsinn. Wer den neuen französischen Präsidenten François Hollande im Wahlkampf gehört hat, kann nicht annehmen, dass er diese Meinung teilt.

Als Tor gegen Merkel mag man hingegen werten, dass die deutsch-französische Achse erkennbar nicht mehr so funktioniert wie mit Nicolas Sarkozy. Hollande spricht eine andere Sprache. Sogar die Pressestatements, die Merkel stets knapp und karg hält, geraten ihm zu blumigen Appellen für einen gesellschaftlichen Aufbruch. Europäische Positionen wurden meist von José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy vorgetragen. Vor allem problematisch für Merkel ist, dass Hollande sehr ähnlich wie Obama argumentiert. Der französische wie der amerikanische Präsident wollen die Wirtschaft ankurbeln, notfalls durch neue Schulden. Merkel setzt ebenfalls auf Wachstum, will es aber durch Strukturreformen erreichen. Obama musste als Gastgeber besonders diplomatisch sein und eröffnete den Arbeitstag so: "Wir brauchen eine Agenda des Wachstums, bleiben aber auch der fiskalischen Disziplin verpflichtet." Den Deutschen war das nicht genug. Aus Delegationskreisen konnte man später erfahren, Obama habe im nicht öffentlichen Teil auch noch gesagt, er setzte auf Wachstum, aber ohne "künstlichen Impuls".

Dies wäre ein deutlicher Punkt für Merkel und gegen Hollande gewesen. Allerdings gab es dafür keine zweite Quelle. Der Konflikt zwischen Merkel und Hollande ist nicht so fundamental, wie er manchmal beschrieben wird. In Frankreich, wo es bald um ein neues Kabinett geht, herrscht noch immer Wahlkampf. Der neue Premierminister Jean-Marc Ayrault hatte die Einführung von direkten EZB-Krediten gefordert. Aber das war in Frankreich.

In Camp David gab sich Hollande in den internen Runden angeblich viel konzilianter. So klein, wie die Kanzlerin ihn gerne hätte, ist der Widerspruch zwischen den beiden freilich auch nicht: "Frankreich und Deutschland haben hier keine zwei unterschiedlichen Ansätze vertreten", behauptete sie. Und "wir wollen ein Signal senden, dass wir die Erholung der Weltwirtschaft wollen und dass Wachstum und Konsolidierung zwei Seiten einer Medaille sind."

Die Kanzlerin wünscht sich vor allem eine gute Arbeitsbeziehung, und man darf unterstellen, dass sie nun bei den Parlamentswahlen Hollandes Sozialisten die Daumen drückt.

Denn viel unerträglicher als einen linken Partner findet sie die Vorstellung eines uneinigen Partners: die sogenannte Cohabitation, wenn in Frankreich ein sozialistischer Präsident mit einem gaullistischen Premierminister regieren muss und die Abstimmungen kompliziert werden.