Der geflohene blinde Bürgerrechtler Chen Guangcheng will aus Sorge um seine Familie das Land verlassen- und macht der US-Regierung Vorwürfe.

Peking. Das Tauziehen um den aus dem Hausarrest zunächst in die US-Botschaft in Peking geflohenen blinden Dissidenten Chen Guangcheng hat den Beginn der jährlichen Gespräche zwischen den USA und China überschattet. Zum Auftakt der Verhandlungen in der chinesischen Hauptstadt über die Zusammenarbeit beider Länder forderte US-Außenministerin Hillary Clinton die chinesische Regierung zum Schutz der Menschenrechte auf.

Doch auch die USA müssen sich im Fall Chen Vorwürfe gefallen lassen - von dem Aktivisten selbst. Er hatte die Botschaft am Mittwoch verlassen und war in eine Klinik gebracht worden. Kurz darauf beklagte Chen, er sei dazu mit Drohungen gezwungen worden. Der Bürgerrechtler äußerte sich "sehr enttäuscht" über die US-Regierung. "Die Botschaftsleute drängten mich zu gehen und versprachen, dass sie Leute hätten, die mit mir im Krankenhaus bleiben", sagte er. "Doch kurz nachdem wir dort ankamen, waren sie alle weg."

Eine Sprecherin des US-Außenministerium stellte die Vorgänge in der Botschaft anders da. "Amerikanische Gesprächspartner machten deutlich, dass chinesische Offizielle uns gegenüber darauf verwiesen hätten, dass seine Familie nach Shandong zurückgebracht werde und sie die Möglichkeit verlören, eine Wiedervereinigung auszuhandeln, falls Chen sich entscheide, in der Botschaft zu bleiben", sagte sie. Der US-Botschafter in Peking sagte dagegen, Chen habe nach zwei Telefonaten mit seiner Frau die Botschaft verlassen: "Wir fragten ihn, ob er bereit sei zu gehen, und er sprang sehr aufgeregt auf und sagte vor sehr vielen Zeugen: ,Lassen Sie uns gehen'", erklärte Locke.

+++ Fall Chen belastet Gespräche zwischen den USA und China +++

Chen, der zunächst gesagt hatte, er wolle in China bleiben, will nun aus Sorge um die Sicherheit seiner Familie das Land doch verlassen. Er bat gestern darum, gemeinsam mit Clinton in deren Flugzeug ausreisen zu dürfen.

Weder die US-Außenministerin noch der chinesische Staatspräsident Hu Jintao sprachen den Fall Chen direkt an. Nach der Forderung Clintons zur Wahrung der Menschenrechte erklärte Hu jedoch, China und die USA müssten einander respektieren, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung seien. Die Verhandlungen konzentrierten sich zunächst auf die Wirtschaftspolitik. US-Finanzminister Timothy Geithner forderte eine Öffnung der chinesischen Märkte.