Nicht nur die chinesische Regierung, sondern auch die USA müssen sich im Fall des blinden Dissidenten Chen Vorwürfe gefallen lassen.

Washington. Die Diskussion um den aus dem Hausarrest geflohenen blinden Bürgerrechtler Chen Guangcheng hat den Beginn der jährlichen bilateralen Gespräche zwischen den USA und China überschattet. Zu Beginn der Verhandlungen zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit forderte US-Außenministerin Hillary Clinton am Donnerstag die Regierung in Peking zum Schutz der Menschenrechte auf. Doch auch die USA müssen sich im Fall Chen Vorwürfe gefallen lassen – und zwar von dem Aktivisten selbst.

Vertreter der US-Regierung stritten am Donnerstag ab, dass Chen zum Verlassen der US-Botschaft in Peking gedrängt worden sei – wie der Dissident behauptet hatte. Chen habe die Botschaft nach zwei Telefongesprächen mit seiner Ehefrau verlassen, berichtete US-Botschafter Gary Locke. "Wir fragten ihn, ob er bereit sei zu gehen, und er sprang sehr aufgeregt auf und sagte vor sehr vielen Zeugen: ’Lassen Sie uns gehen’“, erklärte Locke.

"Möglicherweise hat er seine Meinung darüber geändert, was das Beste für ihn und seine Familie ist“, sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter und betonte, die USA wollten Chen weiterhin helfen. Dieser hatte das Botschaftsgelände am Mittwoch verlassen, um sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen und mit seiner Frau zusammenzutreffen. Von dort sagte er später, er fürchte um die Sicherheit seiner Familie.

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Ringen um Wechselkurs des Yuan

Die Gespräche zwischen China und den USA selbst konzentrierten sich inhaltlich zunächst vor allem auf die Währungspolitik Pekings. US- Finanzminister Timothy Geithner forderte eine weitere Lockerung der strengen Währungskontrollen und eine Öffnung der chinesischen Märkte. Das Versprechen eines stärkeren Yuan im jüngsten Fünfjahresplan zur wirtschaftlichen Entwicklung sei von "herausragender Bedeutung“, sagte Geithner. Die USA und andere Handelspartner Chinas beklagen immer wieder, dass der Yuan unterbewertet sei und damit der Wettbewerb zugunsten chinesischer Exporteure verzerrt werde. Geithner hatte zuletzt im April einen "stärker am Markt orientierten“ Wechselkurs gefordert.

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Der chinesische Handelsminister Chen Deming erklärte hingegen, der Yuan sei nicht unterbewertet und verwies auf den schrumpfenden Handelsüberschuss Chinas. "Angesichts der Tatsache, dass Chinas Welthandel nahezu ausgeglichen ist, während er mit den USA einen Überschuss aufweist, zeigt, dass der Wechselkurs eine minimale Rolle beim Handel spielt“, sagte Chen. China meldete im März einen Überschuss von 5,3 Milliarden Dollar, gegenüber einem monatlichen Niveau von mindestens 15 Milliarden Dollar fast im gesamten Jahr 2011.

Hu: Können nicht in allem mit den USA einer Meinung sein

Weder Clinton noch der chinesische Staatspräsident Hu Jintao sprachen den blinden Bürgerrechtler Chen zu Beginn der Gespräche namentlich an. Nach der Forderung Clintons zur Wahrung der Menschenrechte erklärte Hu, China und die USA müssten einander respektieren, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung seien. "Angesichts unserer verschiedenen nationalen Bedingungen ist es unmöglich, bei jedem Thema einer Meinung zu sein“, sagte er. Doch sei es wichtig, mit den Differenzen so umzugehen, dass sie nicht die übergeordneten Interessen der chinesisch-amerikanischen Beziehungen untergrüben.

Die Flucht Chens aus dem Hausarrest in die US-Botschaft hatte vergangene Woche für diplomatische Verwicklungen im amerikanisch-chinesischen Verhältnis gesorgt. Nachdem die USA China angeblich eine Ansiedlung Chens und seiner Familie in einer neuen Stadt abgerungen hatten, wo er in Sicherheit sei, hatte Chen nur Stunden später um eine Ausreise ins Ausland gebeten – entgegen seinen vorherigen Äußerungen, wonach er in China bleiben wolle, hieß es von US-Seite. Chen hielt sich auch am Donnerstag noch im Krankenhaus in Peking auf. (dapd)