Wegen des Sex-Skandals kommt der Chef des Internationalen Währungsfonds als Kandidat gegen Präsident Sarkozy nicht mehr infrage.

Claude Bartolone wollte die Nachricht nicht glauben. Als der prominente sozialistische Abgeordnete um drei Uhr nachts per Telefon von einem Journalisten geweckt wurde, der ihm erzählte, Dominique Strauss-Kahn sei in New York wegen des Vorwurfs der versuchten Vergewaltigung und der Freiheitsberaubung festgenommen worden, legte Bartolone umgehend wieder auf. "Ich dachte, das sei ein Witz", sagte der Parlamentarier.

Am Sonntagmorgen wurde klar, dass es sich zumindest bei dem Anruf nicht um einen schlechten Scherz gehandelt hatte. Bis zum Sonnabend war man in Paris davon ausgegangen, dass Strauss-Kahn beim G8-Gipfel in Deauville in der übernächsten Woche seinen letzten großen Auftritt als Präsident des Internationalen Währungsfonds (IWF) absolvieren und alsbald verkünden würde, dass er Präsidentschaftskandidat der Sozialisten werden will. Unter allen sozialistischen Aspiranten waren "DSK" in den Umfragen die besten Chancen eingeräumt worden, im Mai nächsten Jahres Nicolas Sarkozy zu besiegen. Daraus dürfte nun nichts mehr werden. Und das unabhängig von der Tatsache, ob sich die Vorwürfe als haltbar erweisen oder nicht.

Die Dimension der Affäre ließ die sonst so redseligen Protagonisten des französischen Politbetriebes zunächst um Worte ringen. Die Nachrichten aus New York hätten sie wie ein Blitzschlag getroffen, sagte die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Martine Aubry. Sie sei "vollkommen verblüfft". Der ehemalige Parteivorsitzende François Hollande sprach von "Schock", die einstige Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal sagte, sie sei "bestürzt".

Die Schwergewichte der sozialistischen Partei befinden sich in einer komplizierten Lage. Sie sind Parteifreunde und zugleich Rivalen. Alle drei hegen selbst Ambitionen, die PS (Parti socialiste) in den kommenden Präsidentschaftswahlkampf zu führen, was sie dazu zwingt, nun ihre Worte abzuwägen. Sie müssen sich solidarisch zeigen, solange die Vorwürfe unbewiesen sind. Zugleich müssen sie darauf achten, den richtigen Zeitpunkt zur Distanzierung nicht zu verpassen, um eigene Chancen zu wahren. François Hollande erinnerte daran, dass die amerikanische Justiz von der Unschuldsvermutung ausgehe, daher solle man sich "jenseits der mit dem Schock verbundenen Emotionen" davor hüten, "voreilige Schlüsse zu ziehen". Auf die Frage, ob die Kandidatur von Strauss-Kahn damit erledigt sei, antwortete er: "Es ist zu früh, um das zu sagen. Vielleicht löst sich diese Affäre rasch auf, falls sich herausstellt, dass keiner der Vorwürfe begründet ist, wenn die Frau nicht die Wahrheit gesagt hat, was wir alle hoffen."

Andere wurden da bereits deutlicher. Jacques Attali, ehemaliger Berater des Präsidenten François Mitterrand, der als Freund Strauss-Kahns gilt, erklärte unumwunden, Strauss-Kahn könne nach diesen Anschuldigungen weder sozialistischer Präsidentschaftskandidat werden, noch an der Spitze des IWF bleiben, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er in "eine Falle" getappt sei oder sich die Vorwürfe als unhaltbar erweisen sollten.

Während Attali sich dennoch Mühe gab, zumindest vor "Vorverurteilungen" zu warnen, setzten einige Mitglieder des gegnerischen politischen Lagers gezielte Spitzen gegen Strauss-Kahns vermeintlich bekannte charakterliche Schwächen. Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, erklärte spitz, sie sei "nicht überrascht" von den Vorwürfen gegen den 62-Jährigen. Die "Taten", die man ihm vorwerfe, seien äußerst schwerwiegend. Als Präsidentschaftskandidat sei er "definitiv diskreditiert". In ein ähnliches Horn stieß der bislang eher weniger prominente UMP-Abgeordnete Bernard Debré. Debré nannte Strauss-Kahn einen "wenig empfehlenswerten Mann". Für Frankreich sei es "erniedrigend", dass ein solcher Mann sich "im Sex suhlt". DSK habe ja vorher bereits einen rauschenden Lebenswandel gepflegt und eine Schwäche für Luxus und "Bling-Bling" gehabt, wie man Fotos und Magazinen entnehmen konnte, insinuierte Debré weiter und spielte damit auf Fotos an, die den sozialistischen Politiker beim Einsteigen in den Porsche Panamera eines Bekannten zeigten. Diese Bilder hatten in der vergangenen Woche in Paris für spöttische Kommentare von Parteifreunden und politischen Gegnern gesorgt. Auf die Frage, ob in Strauss-Kahns Fall die Unschuldsvermutung nicht zu gelten habe, antwortete Debré: "Glauben Sie, die New Yorker Polizei würde einen Mann wie ihn aus einem Air-France-Flugzeug herausholen, wenn sie nicht starke Indizien hätte, die gegen ihn sprächen?"

Man kann so eine Bemerkung auch als Attentat auf die persönliche Ehre betrachten. Sie zeigt allerdings, dass Attali vermutlicht recht hat mit der Einschätzung, dass Strauss-Kahn politisch erledigt ist, auch wenn er die Affäre juristisch überleben sollte. In hämischeren Regierungskreisen registriert man mit einem gewissen Genuss, dass "DSK jetzt über Autos und Frauen stolpert."

Bezeichnend ist auch, wie hektisch der mediale Betrieb einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Anschuldigungen und jener Affäre herzustellen versucht, die Strauss-Kahn sich vor drei Jahren als Direktor des Internationalen Währungsfonds leistete. Damals hatte er ein Verhältnis mit einer Untergebenen begonnen. Diese wurde hinterher auf einen attraktiven Posten in London versetzt. Der IWF führte eine Untersuchung durch, die Strauss-Kahn vom Vorwurf der sexuellen Belästigung entlastete, ihm allerdings eine "schwere Fehleinschätzung" bescheinigte. Bei dem Fall handelte es sich letztlich um eine außereheliche Affäre, welche Strauss-Kahns Ehefrau, die Journalistin Anne Sinclair, offenbar bereit war, ihm nachzusehen. Von einer Sexualstraftat war das Lichtjahre entfernt. Dennoch waren auf Sendern wie dem französischen Nachrichtensender "France 24" Moderatoren zu hören, die sagten, es habe bei Strauss-Kahn ja schon einmal einen Fall "ähnlichen Typs" gegeben, und auf dem anderen französischen "Info-Sender" BMI durfte am frühen Morgen ein Psychiater faseln, er könne zwar zu Strauss-Kahn nichts sagen, aber bei vielen Sex-Abhängigen verhalte sich die Sache so, dass die Sucht eben stärker sei als sie. Auch so etwas kann eine politische Karriere beenden und einen Menschen vernichten, bevor die Fakten geklärt sind.

Dominique Strauss-Kahn ließ unterdessen in New York von seinem Anwalt erklären, er sei unschuldig und weise sämtliche Anschuldigungen zurück. Gestern Abend (MEZ) sollte er in New York einem Haftrichter vorgeführt werden. Dabei entscheidet sich auch, ob er gegen Kaution freikommt.