Kiew. Mit Kampfdrohnen dringt die ukrainische Armee immer tiefer ins russische Hinterland vor. Und trifft den Gegner an einem wunden Punkt.

1200 Kilometer ins Landesinnere schafften es ukrainische Drohnen Dienstagnacht – in den Städten Jelabuga und Nischnekamsk griffen sie Industrieanlagen an. Nach Angaben Kiews werden in Jelabuga Kampfdrohnen des iranischen Bautyps Shahed produziert, in Nischnekamsk stehen große Ölverarbeitungsanlagen des regionalen Ölkonzerns Tatneft. In Videos, die auf Telegram geteilt wurden, waren Explosionen zu sehen und Menschen, die sich zu Boden werfen. Es ist ein weiterer Versuch, die russische Ölinfrastruktur zu treffen, die maßgeblich zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine beiträgt.

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Allein in diesem Jahr stockt Russland sein Militärbudget im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent auf. Der Krieg verschlingt 29,5 Prozent der Haushaltsmittel – ein Rekordwert seit dem Ende der Sowjetunion. Das Geld dafür muss irgendwoher kommen. Und Russlands Präsident Wladimir Putin kann auf eine nicht versiegende Einnahmequelle bauen: Trotz der Sanktionen des Westens strömen weiterhin Milliarden aus massiven Öl- und Gasverkäufen ins Land. Rund 30 größere Ölraffinerien gibt es im Land, darüber hinaus Dutzende kleinere: Dank ihnen kann Moskau auf insgesamt mehr als 530 Millionen Tonnen Öl pro Jahr zugreifen.

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Schon vergangenes Jahr haben die Ukrainer die russische Ölindustrie im Fokus gehabt. Doch seit März häufen sich die Berichte über Angriffe auf Raffinerien mit ukrainischen Drohnen. Nicht immer entstanden daraus bemerkenswerte Schäden, manchmal waren es nur die Trümmer einer Drohne, die einzelne Ölreservoirs trafen. Doch immer wieder gelingt es, auch kritische Ausrüstung zu vernichten, die oft mit westlichen Standards produziert wurde und unter Sanktionsbedingungen kaum zu ersetzen ist. Mithilfe von Langstreckendrohnen und Informationen des Inlandsgeheimdienstes SBU sowie des Militärgeheimdienstes greift Kiew gezielt solche Raffinerien an, die zur Betankung russischer Kampf- und Schützenpanzer dienen sowie Flugzeuge produzieren.

Nach Drohnen-Angriffen: Russland kann weniger Öl raffinieren

Schon mehrfach ist es der Ukraine vor dem jüngsten Angriff in der Teilrepublik Tatarstan gelungen, die wichtigsten Raffinerien im europäischen Teil Russlands zu treffen – von der nördlichen Region Leningrad um die Stadt Sankt Petersburg bis zur südlichen Teilrepublik Dagestan. Nach Schätzungen von Reuters haben die ukrainischen Angriffe die Ölraffinierungskapazität Russlands um etwa 370.500 Barrel pro Tag verkleinert, was rund sieben Prozent der Gesamtmenge ausmacht. Mindestens sieben russische Raffinerien mussten demnach im ersten Quartal 2024 ihre Produktionskapazitäten reduzieren oder einstellen.

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Damit kann der Krieg zwar nicht komplett gestoppt werden. Doch schon jetzt haben die ukrainischen Angriffe einen Einfluss auf die Benzinproduktion in Russland, die Benzinpreise haben sich deutlich erhöht – und sollte die Ukraine diese Strategie auch langfristig verfolgen, wonach es im Moment aussieht, könnte das für Moskau zum Problem werden. SBU-Chef Wassyl Maljuk erklärte zuletzt, dass seine Behörde bisher 13 erfolgreiche Angriffe auf russische Ölraffinerien ausführen konnte. „Russland füllt sein Budget durch den Export von Erdölprodukten auf“, betonte Maljuk im ukrainischen Fernsehen. „Das ist ungefähr ein Drittel des russischen Haushalts und der Löwenanteil des Militärbudgets.“

Medienberichten zufolge soll die US-Administration um Joe Biden von dieser Taktik aber wenig begeistert sein – angeblich aus Sorge, dass ausgerechnet im Wahljahr auch in den Vereinigten Staaten die Benzinpreise steigen könnten. Dass die ukrainischen Angriffe am Rande der Krise im Roten Meer aber tatsächlich Auswirkungen auf den weltweiten Benzinpreis haben könnten, ist überaus fraglich. Darüber hinaus geht es den USA aber wohl auch darum, dass Russland nicht im Gegenzug wieder vermehrt die ukrainische Energieinfrastruktur angreifen könnte. Sie war nach mehreren Angriffswellen schwer beschädigt worden.

Präsidentenberater: „Lassen uns Kriegsführung nicht diktieren“

Laut „Financial Times“ sollen die ukrainischen Geheimdienste sowie das Verteidigungsministerium von den USA vor weiteren Drohnenangriffen gewarnt worden sein. Trotzdem setzt Kiew die Angriffe auf russische Ölraffinerien fort – wohl auch, weil der Druck auf die Regierung von Wolodymyr Selenskyj in einer Zeit, in der weitere US-Hilfen im Kongress blockiert bleiben, nicht mehr so immens ist wie noch vor einem Jahr. Mychajlo Podoljak, Berater der Präsidialverwaltung, äußerte sich deutlich. „Niemand diktiert der Ukraine nach zwei Jahren des voll umfassenden Krieges die Bedingungen der Kriegsführung“, betonte er laut Bericht.

Zumindest Olha Stefanischyna, Ministerin für europäische Integration der Ukraine, übte sich beim Kyiv Security Forum in Verständnis für die internationalen Partner. „Wir verstehen die Aufrufe der Amerikaner“, erklärte sie. „Gleichzeitig kämpfen wir mit den Fähigkeiten, Ressourcen und Praktiken, die wir haben.“ Ölraffinerien auf dem russischen Territorium seien aus militärischer Sicht legitime Ziele der Ukraine, man handele also gemäß der Nato-Standards.