Berlin. Drohnen sind billig und oft so primitiv wie effektiv. Der Ukraine-Krieg bringt der Technologie einen Schub. Wird sie zum Gamechanger?

Russische Militärblogger stimmen sich auf eine Großoffensive ein, angeblich in der zweiten Januarhälfte oder Anfang Februar. Dann ist der Boden in der Ukraine zugefroren und für schweres Gerät befahrbar. Wann begann der Krieg 2022? Eben, an einem Februartag.

Ein System setzt den Strategen in Moskau indes zu. Und es macht einen Überraschungsangriff Russlands nahezu unmöglich: die Drohnen. Keine andere Waffe hat im Ukraine-Krieg derart an Bedeutung gewonnen.

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Dmitri Rogosin ist weit herumgekommen: Abgeordneter der Duma, ständiger Vertreter bei der Nato, Chef der Weltraumbehörde Roskosmos, Militärberater. Aktuell vertritt der 60-Jährige in Moskau den Oblast Saporischschja im Föderationsrat, einer Art Bundesrat. Als er neulich ein Dorf an der Front besuchte, war es, „als wäre man in ein Wespennest geraten – alles brummt.“

Dank Drohnen: ein transparentes Gefechtsfeld

Am Ortseingang flogen zwei ukrainische Drohnen. Eine griff an, die andere filmte. Drohnen würden jeden Aufmarsch erschweren und Geräte zerstören. Neulich hätten 14 ukrainische Drohnen Jagd auf einen Schützenpanzer gemacht, zitiert das amerikanische „Institute for the Study of War“ Rogosin. Tatsächlich hat die Ukraine ihre Angriffe mit Drohnen verstärkt. Zu fast jedem Infanteriezug gehöre ein Drohnen-Operator, vermutet der Russe denn auch.

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Niemand weiß, wie viele Drohnen auf beiden Seiten im Einsatz sind. Es dürften jeden Tag Tausende sein. Darob ist das Gefechtsfeld nahezu transparent. Allenfalls bei schlechtem Wetter könnte man vielleicht größere Truppenverbände unbemerkt zusammenziehen. „Wir sehen alles, was der Feind tut, und sie sehen alles, was wir tun“, sagte der ukrainische Oberkommandierende, General Walerij Saluschnyj, in seinem berühmten Interview Ende letzten Jahres im Magazin „Economist“.

Die unbemannten Fluggeräte eigen sich nicht nur für die Aufklärung, sondern vielmehr auch für Kampfeinsätze. Im Internet wimmelt es nur so von Videos von Attacken auf leichte Militärfahrzeuge, aber auch auf Panzer, kleinere Unterstände oder einzelne Soldaten. Macht eine Drohne etwa eine Gruppe im Wald aus, überfliegt sie die Soldaten und lässt etwa eine Granate fallen. Obwohl die Geräte recht laut sind, werden die Truppen doch regelmäßig böse überrascht.

Die Ukraine hält die Drohnen für einen „Gamechanger“

Riskant ist es auch, steckengebliebene verlassene Fahrzeuge zu bergen, um sie zu sichern oder zu erbeuten und zu reparieren. Die Piloten der Drohnen haben eine Übung darin, aus größere Höhe eine Granate exakt in die Luke eines Panzers fallen zu lassen. Zuletzt berichtete das US-Magazin „Forbes“, dass die Ukraine mithilfe der Drohnen Panzerminen tief hinter den russischen Linien verlegen, also auf vermeintlich sicheren, weil vermeintlich schon gesäuberten Nachschubwegen.

Die Ukrainer trainieren den Umgang mit Drohnen und sind darin sehr geschickt.
Die Ukrainer trainieren den Umgang mit Drohnen und sind darin sehr geschickt. © Getty Images | Paula Bronstein

Genial an den Drohnen ist, dass die Technik einfach ist, aber die Ergebnisse sich sehen lassen können. Ein User hat neulich auf X das Video eines Angriffes auf einen Geländewagen mit russischen Soldaten eingestellt und dazu über den finanziellen Aufwand Buch geführt: „Was wir hier sehen, ist das Bild einer 500-US-Dollar-Drohne mit einem RPG-7-Sprengkopf (weitere 50 USD). Das ist alles.“

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Der ukrainische Minister für digitale Transformation, Michailo Fedorow, nennt die Drohnen sogar einen „Gamechanger“. Das ist nicht falsch, aber – rollengerecht – einseitig. Die Russen setzen nämlich auch Drohnen ein. Wenn sie denn kriegsentscheidend sein können, dann für beide Seiten. So erklärt sich auch, warum weder die Ukrainer noch die Russen im vergangenen Jahr größere Gebietsgewinne gemacht haben. Sie neutralisieren sich gegenseitig.

Der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Yurii Ihnat, weist noch auf einen anderen Vorteil hin: „In der Ukraine hergestellte Drohnen fliegen nach Moskau, St. Petersburg und zu anderen Öldepots. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Er hat die russische Bevölkerung im Blick:: „Sie spüren den immer bittereren Nachgeschmack des Krieges.“ Viele Russen, so der ukrainische Oberst, hätten geglaubt, dass die „Spezialoperation“ sie nicht betreffe. : „Jetzt betrifft es jeden. Leider haben wir das in diesen zwei Jahren auch erlebt – Brände, Zerstörung und Tod. Jetzt werden sie es auch bekommen.

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Auch Russland produziert Drohnen und importiert sie aus dem Iran oder Nordkorea. Laut Fedorow kauft die Ukraine die Geräte im Ausland und stattet sie mit Sprengsätzen aus. Wie es scheint, will Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj 2024 zum Jahr der Drohnen machen.

In seiner Silvesteransprache gab er als Jahresziel der „heimischen“ Waffenproduktion „eine Million“ zusätzliche Drohnen aus. Da die Rüstungshilfe aus den USA zunehmend infrage gestellt wird, konzentriert man sich in Kiew notgedrungen auf die „Do-it-yourself-Waffen.“ Marke: Eigenbau. Im Kampf David gegen Goliath stellt die Drohne ein Stück weit Waffengleichheit für die schwächere Kriegspartei her. Das ist definitiv die Ukraine, da sie weniger Soldaten und weniger Material aufbieten kann als Kremlchef Wladimir Putin.

Setzt man ganze Schwärme von Drohnen in großer Stückzahl ein, dann wird schnell auch eine Luftabwehr „übersättigt“, also schlicht damit überfordert, eine Vielzahl von Angriffen gleichzeitig abzuwehren. Anders als der Pilot in einem Flugzeug, der sich persönlich einem großen Risiko aussetzt, sitzt der Operator der Drohne, nachdem er seine FPV-Brille aufgesetzt hat, irgendwo gut versteckt und geschützt, womöglich mehrere Kilometer entfernt in einem Waldstück oder in einem Keller.

Russlands Paradedisziplin: Elektronische Kriegsführung

Zu Kriegsbeginn setzte die Ukraine auf die aufwendigen türkischen Bayraktar-Drohnen. Inzwischen überwiegend billige Kamikaze-Drohnen, die nur einmal eingesetzt werden. So oder so: Der Verlust, finanziell wie personell, ist geringer als bei einem bemannten Flugzeug. Und nachdem Panzer reihenweise von Drohnen zerstört werden, wird auch diese Waffe mit anderen Augen gesehen, skeptischer. Zumindest müsste sie besser geschützt werden. Die Industrie hat längst reagiert.

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Der Drohnenkrieg in der Ukraine ist für andere Staaten, aber auch für die Rüstungsindustrie wie ein Feldversuch. Ende September berichtete ein EU-Branchendienst, dass mehrere Nato-Staaten, aber auch Unternehmen einen Monat lang in Holland die Abwehr von Minidrohnen trainiert hätten:

  • Mit Netzen. Dabei fängt eine Drohne eine zweite mit einem Netz ab.
  • Mit Störsendern wird die feindliche Drohne abgelenkt, sodass der Pilot die Kontrolle verliert.
  • Bei Cyberangriffen versucht man, die Drohne unter die eigene Kontrolle zu bringen, faktisch „umzudrehen“.
  • In den meisten Fällen werden Drohnen schlicht abgeschossen.

Ökonomisch ist das oft Irrsinn. Mithin sind die Abwehrsysteme nämlich um ein Vielfaches teurer als die Drohnen. General Saluschnyj setzt eher auf die elektronische Kriegsführung, von der er sagt, sie sei in Russland weiter entwickelt als in seiner Armee. Da ahnt man, warum Selenskyj die Massenproduktion forciert – weil die Ukraine offensichtlich auch viele Drohnen verliert.

Die Russen haben zum Beispiel das hochmoderne RB-109A Bylina System, um gegnerische Drohnen vom Himmel zu holen. Es ist ein neues, seltenes System, das über fünf Lastwagen verteilt feindliche Funk- und Radargeräte aufspürt und lokalisiert und dass für seine Störsender sogar auf Künstliche Intelligenz (KI) zurückgreift.

Aber auch das wurde laut „Forbes“ in kurzer Zeit von ukrainischen Drohnen zerstört. Sie sind eine furchtbare Waffe.

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