Brüssel/Berlin. Russland warnt nach den brisanten Äußerungen vor einem Krieg mit der Nato. Was dahinter steckt – und warum Scholz alarmiert ist.

Es wäre die große Eskalation im Ukraine-Krieg: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt die Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine nicht mehr aus. Die Aufregung ist groß, Russland warnt schon vor einem Krieg mit der Nato. Was steckt hinter dem Vorstoß, was heißt das für Deutschland – und warum muss sich Kanzler Olaf Scholz Sorgen machen?

Was hat Macron vorgeschlagen?

In einer Pressekonferenz in Paris gab sich der Präsident kämpferisch: „Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“ Als ein Journalist nach Bodentruppen fragte, sagte Macron: „Es besteht heute kein Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden, aber im Hinblick auf Optionen ist nichts ausgeschlossen.“ Und weiter: Die Niederlage Russlands sei für die Sicherheit und Stabilität Europas von entscheidender Bedeutung. Macron äußerte sich am späten Montagabend nach einer von ihm initiierten Konferenz zur Unterstützung der , an der Vertreter von über 20 Staaten teilnahmen. Das Thema westlicher Truppen vor Ort in der Ukraine sei „sehr frei und direkt“ diskutiert worden, berichtete der Präsident: „Alles ist möglich, wenn es nützlich ist“.

Macron will Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschließen

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    Hat Macron Unterstützung für den Vorstoß?

    Nein, jedenfalls nicht offiziell. Kanzler Scholz sagte am Dienstag, auch für die Zukunft gelte, dass kein europäischer Staat und kein Nato-Land Bodentruppen in die Ukraine schicken würden. Zuvor hatten sich schon die USA ablehnend geäußert. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, das Militärbündnis habe keine Pläne, Kampftruppen in das von Russland angegriffene Land zu schicken. In der Konferenz hatten nach Teilnehmerangaben alle Anwesenden den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine klar abgelehnt. Das sei sehr eindeutig gewesen, hieß es später. Macron habe auch nicht über den Einsatz französischer Soldaten gesprochen; seine Äußerungen seien zweideutig gewesen, wie es der französischen Militärstrategie entspreche.

    Frankreichs Präsident Emmanuel (Mitte) bei der internationalen Unterstützerkonferenz für die Ukraine in Paris, links neben ihm Kanzler Olaf Scholz. Macron stieß in der Konferenz eine Debatte über den Einsatz auch von westlichen Bodentruppen in der Ukraine an, erntete aber viel Widerspruch.
    Frankreichs Präsident Emmanuel (Mitte) bei der internationalen Unterstützerkonferenz für die Ukraine in Paris, links neben ihm Kanzler Olaf Scholz. Macron stieß in der Konferenz eine Debatte über den Einsatz auch von westlichen Bodentruppen in der Ukraine an, erntete aber viel Widerspruch. © DPA Images | Gonzalo Fuentes

    Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico berichtete allerdings empört, dass es durchaus solche Überlegungen gebe: Mehrere Nato- und EU-Staaten würden erwägen, auf bilateraler Basis Truppen in die Ukraine zu entsenden. Angeblich gibt es Sympathien dafür in Großbritannien, Polen und den baltischen Staaten – Polens Premier Donald Tusk dementierte aber bereits.

    Gibt es Pläne für den Bodentruppen-Einsatz?

    Nein. Auch Macron nannte keine Details. Er sprach auch nicht davon, dass westliche Soldaten am Boden an der Seite der ukrainischen Armee gegen Russland kämpfen sollten. In Sicherheitskreisen hieß es am Dienstag, möglicherweise habe Macron Einsätze im Hinterland im Kopf gehabt, die die ukrainische Armee entlasten könnten. In der Konferenz war über – ausdrücklich zivile - Unterstützung der Ukraine zur Sicherung der Grenze zu Belarus und zur Minenräumung gesprochen worden. Wenn entsprechende Pläne vollständig umgesetzt würden, könnte es nach Macrons Überlegungen erforderlich sein, dass westliche Soldaten zur Sicherung dieser Einsätze benötigt würden.

    Wie brisant wäre der Einsatz von Bodentruppen?

    Sehr. Die Entsendung von Bodentruppen gilt im westlichen Bündnis als rote Linie, mit der eine gefährliche Eskalation des Krieges hin zu einem Weltkrieg heraufbeschworen würde. US-Präsident Joe Biden hat wiederholt klargestellt, es werde zu keinem Einsatz eigener Truppen in die Ukraine kommen, solange die USA oder Verbündete nicht angegriffen würden. Die russische Regierung warnte am Dienstag, eine Entsendung von Truppen mache einen Konflikt zwischen Russland und der Nato nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich. Völkerrechtlich wäre die bloße Anwesenheit von westlichen Soldaten in der Ukraine etwa zur Absicherung der Grenze zu Belarus weitab der Front noch kein Kriegseintritt – solange sich ihr Einsatz nicht gegen russische Truppen richtet. Aber was, wenn die Soldaten im Hinterland durch einen russischen Raketenbeschuss getötet würden? Allerdings sind in einer Grauzone schon jetzt westliche Soldaten in kleiner Anzahl vor Ort. Britische Soldaten sollen in der Ukraine beim Einsatz der britischen Marschflugkörper Storm Shadow helfen, was aber nicht offiziell bestätigt ist. Der US-Geheimdienst CIA ist mit Basen in der Ukraine mit Informationen aus der russischen Armee-Kommunikation behilflich.

    Ukrainische Soldaten in einem Schützengraben in der Ostukraine. Das Foto zeigt eine Militärübung nahe der Frontline in der Region Donetsk. Bislang hat die Ukraine nicht um die Unterstützung durch westliche Truppen gebeten - Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sie jetzt aber ins Gespräch gebracht.
    Ukrainische Soldaten in einem Schützengraben in der Ostukraine. Das Foto zeigt eine Militärübung nahe der Frontline in der Region Donetsk. Bislang hat die Ukraine nicht um die Unterstützung durch westliche Truppen gebeten - Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sie jetzt aber ins Gespräch gebracht. © AFP | ANATOLII STEPANOV

    Warum ist das ein Affront gegen Scholz?

    Scholz hatte nur Stunden vor Macrons Äußerungen in Berlin von einem klaren Grundsatz der Regierung gesprochen: „Keine deutschen Soldaten auf ukrainischem Grund und keine Beteiligung deutscher Soldaten.“ Dies verhindere eine Eskalation zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland. Damit begründete Scholz sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Macron widerspricht nicht nur den deutschen Bedenken. Er ging den Kanzler auch kaum versteckt an: „Viele der Leute, die heute nie, nie sagten, waren die gleichen, die vor zwei Jahren nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Langstreckenraketen gesagt haben“. Damit jeder verstand, wer gemeint war, schob er hinterher: Vor zwei Jahren hätten „viele an diesem Tisch“ gesagt, sie würden Schlafsäcke und Helme anbieten – eine klare Anspielung auf ein erstes Angebot Deutschlands, das kurz vor Kriegsbeginn 5000 Helme, aber keine Waffen spenden wollte. Macron beklagte auch den Widerstand Berlins gegen gemeinsame EU-Schulden für Verteidigungsinvestitionen. Scholz verließ den Konferenzort in Paris, ohne ein Statement abzugeben.

    Streiten Macron und Scholz um die Führung?

    Es sieht so aus. Es ist die letzte Eskalation in einem deutsch-französischen Zerwürfnis hinter den Kulissen: Der Kanzler beklagt seit Wochen, dass Deutschland einen übermäßig großen Anteil an der Ukraine-Hilfen tragen würde, während andere Länder zu wenig täten. Dass auch Frankreich gemeint war, wussten alle, Paris reagierte entsprechend verärgert und widersprach den deutschen Berechnungen. Verstimmung gibt es schon seit der Gründung der europäischen Luftverteidigungsinitiative „Sky Shield“ unter deutscher Führung, der Paris fernbleibt. Zuletzt fiel auf, dass Macron nicht zur Münchner Sicherheitskonferenz gereist war – Scholz wiederum sagte seine Teilnahme an Macrons Konferenz in Paris erst kurzfristig zu. Scholz hatte zu Jahresanfang versucht, in der Frage der Ukraine-Unterstützung in Europa die Führung zu übernehmen. Vergeblich bemühte er sich, beim jüngsten EU-Gipfel neue Hilfszusagen der europäischen Regierungschefs zu organisieren. Nun beansprucht Macron die Führungsrolle. Er kündigt die Bildung einer Koalition für ukrainische Tiefenangriffe gegen Russland an, die sich auf Mittel- und Langstreckenraketen konzentrieren solle. Andere Koalitionen sollen Artillerie, Luftverteidigung und Minenräumung betreffen.

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    Braucht die Ukraine nicht vor allem Munition?

    Ja. Macron lenkte bei diesem Thema überraschend ein: Er gab seinen Widerstand dagegen auf, dass die Europäische Union für die Ukraine mehr Granaten auch aus außereuropäischer Produktion beschafft – die EU-Staaten halten ihre Lieferzusage von einer Million Granaten bis März auch deshalb nicht ein, weil Frankreich darauf bestanden hat, möglichst große Mengen dieser Munition in Europa herzustellen, was so schnell nicht möglich ist. Tschechiens Premier Petr Fiala hat nun die Initiative für die Beschaffung außerhalb der EU im Wert von 1,4 Milliarden Euro gestartet – und Macron sagte seine Beteiligung zu.

    Wie reagiert die deutsche Politik?

    Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte unserer Redaktion zu Macrons Vorstoß: „Deutschland muss diese Einschätzung definitiv nicht teilen, aber auffällig ist schon: Macron gibt den Antreiber, der Bundeskanzler den Bremser.” Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte dagegen: „Ich halte die Vorgehensweise des französischen Präsidenten für unverantwortlich.“ Anstatt die eigene Bevölkerung zu verunsichern, sollte sich Macron besser darauf konzentrieren, was jetzt akut gefordert ist, sagte Hofreiter unserer Redaktion. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch erklärte: „Die Wichtigtuerei von Macron ist gefährlicher Wahnsinn, der Europa anzünden würde“. Bodentruppen in der Ukraine seien ein „absolutes No-Go“.