Berlin. Die Kohlekraftwerke, die irgendwann vom Netz sollen, müssen ersetzt werden. Jetzt legt die Ampel einen Plan vor, wie das gehen kann.

Es ist eines der großen Fragezeichen der Energiewende – was passiert in einem Stromsystem, das vor allem auf Wind und Sonne setzt, wenn beide gerade nicht verfügbar sind? Welche Kraftwerke laufen dann – und wer bezahlt dafür, dass sie bereitstehen? Lange hatten BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD), FinanzministerChristian Lindner (FDP) und WirtschaftsministerRobert Habeck (Grüne) um Antworten darauf gerungen, jetzt liegt zumindest ein Teil davon vor. Am Montag präsentierte die Ampel-Koalition ihre seit Langem erwartete Kraftwerksstrategie. Ein Überblick, was geplant ist und was das bedeutet:

Wozu braucht die Regierung eine Kraftwerksstrategie?

Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms in Deutschland erneuerbar produziert werden, in erster Linie über Windkraft und Photovoltaik. „Idealerweise“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, sollen bis dahin auch die verbliebenen Kohlekraftwerke vom Netz gehen. In NRW ist ein entsprechender Ausstieg schon politisch vereinbart, in Ostdeutschland könnte er auch ohne entsprechende Vereinbarung kommen, weil Kohleverstromung durch den europäischen Emissionshandel möglicherweise nicht mehr profitabel ist. Sind die Kohlekraftwerke allerdings nicht mehr am Netz, braucht es andere Kraftwerke, die flexibel anspringen können.

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Was ist eine Dunkelflaute?

Als Dunkelflaute bezeichnet man Zeiten, in denen weder die Sonne scheint noch ausreichend Wind weht, um daraus Strom zu produzieren. Das kommt vor allem im Winter vor. Weil es aber um vergleichsweise kurze Zeiträume im Jahr geht, rechnen sich Kraftwerke, die nur dann einspringen, nicht von allein. Die müssen also gefördert werden.

Wie viele neue Kraftwerke sollen kommen?

Neue Gaskraftwerke mit insgesamt bis zu 10 Gigawatt Kapazität sollen voraussichtlich in der zweiten Hälfte 2024 zum Bau ausgeschrieben, die Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden. Ab 2028 soll dann ein Kapazitätsmechanismus kommen, also ein Weg, Kraftwerksbetreiber dafür zu entlohnen, dass sie Kraftwerkskapazitäten bereitstellen, auch wenn die wegen einer hohen Quote von erneuerbaren Energien nur selten genutzt werden.

Wie genau dieser Mechanismus aussieht, ist noch offen. Eine politische Einigung darüber soll innerhalb der Bundesregierung bis spätestens Sommer 2024 erzielt werden, hieß es am Montag. In der Vergangenheit war die Bundesregierung von 25 Gigawatt flexibel einsetzbarer Kapazität ausgegangen, die nötig sind, um den Kohleausstieg zu kompensieren.

Woher kommt das Geld dafür?

Bau und Betrieb der neuen Kraftwerke sollen gefördert werden, mit Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung. In Regierungskreisen geht man von 15 bis 20 Milliarden Euro aus, die das kosten wird, gestreckt über 20 Jahre. Aktuell ist im Klima- und Transformationsfonds zwar praktisch kein finanzieller Spielraum mehr. Die Bundesregierung geht aber von einer Bauzeit für neue Kraftwerke von vier bis fünf Jahren aus, das Geld würde also wohl noch nicht gleich fällig.

Sind diese Kraftwerke dann klimaneutral?

Nicht von Anfang an. Die neuen Gaskraftwerke sollen so konstruiert sein, dass sie möglichst einfach auf die Stromproduktion mit Wasserstoff umgestellt werden können. Wann das passiert, soll sich ab 2032 entscheiden. Dann erst soll ein Zeitpunkt zwischen 2035 und 2040 festgelegt werden, zu dem die Kraftwerke mit Wasserstoff laufen sollen.

Zulässig sein soll dann nicht nur grüner Wasserstoff, sondern alle Arten, deren Verwendung in der nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehen ist – also auch blauer Wasserstoff, der unter Abspaltung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) gewonnen wird. Ob an den Kraftwerken selbst CCS zum Einsatz kommen kann, soll im Rahmen der Carbon-Management-Strategie „aufgegriffen“ werden, an der die Bundesregierung aktuell noch arbeitet. Gleichzeitig soll es einfacher werden, Elektrolyseure zu errichten, die dann, wenn viel grüner Strom verfügbar ist, daraus grünen Wasserstoff produzieren.

Was sind die Reaktionen?

In der Energiebranche war die Kraftwerksstrategie mit Ungeduld erwartet worden. Denn Kraftwerke, die bis spätestens 2030 den Betrieb aufnehmen sollen, brauchen Zeit, um geplant und gebaut zu werden.

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Das Energie-Unternehmen Uniper, das derzeit fast vollständig dem Staat gehört, begrüßte die Strategie deshalb am Montag, drängte aber gleichzeitig auf schnelle Umsetzung. „Ein schnelles Handeln ist dringend notwendig, weil der Prozess der Genehmigung und der eigentliche Bau von Kraftwerken und Speicheranlagen einige Jahre beanspruchen wird“, sagte Michael Lewis, Vorstandsvorsitzender von Uniper. Ähnlich klang es bei RWE, das sich nach Angaben eines Sprechers an den Ausschreibungen beteiligen will. Wichtig seien „die Detailbedingungen und dass die Ausschreibungen so schnell wie möglich erfolgen“.

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Kritik kommt dagegen von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der die Strategie als unzureichend kritisiert. Die aktuellen Pläne der Ampel-Koalition reichten nicht aus, um dafür zu sorgen, dass genug neue wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut würden, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion.

Statt der ursprünglich geplanten 30 Gigawatt würden nun lediglich schrittweise 10 Gigawatt an neuen Kapazitäten ausgeschrieben. Erst später solle es dann gegebenenfalls einen neuen Markt für Kraftwerkskapazitäten geben. „Damit sorgt die Bundesregierung erneut für Unsicherheit statt für notwendige Planungssicherheit“, kritisierte Wüst. „Das droht den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 und die Erreichung unserer Klimaschutzziele zu gefährden.“

Umweltverbände sehen ebenfalls noch offene Fragen. „Was bisher bekannt ist, ist sehr vage“, sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, dieser Redaktion. Offen sei etwa, ob alles, was über die demnächst ausgeschriebenen Kraftwerke hinaus nötig sei, über den Kapazitätsmechanismus finanziert werden solle. Eine vollständige Umstellung der Kraftwerke auf Wasserstoff bis 2040 sei spät, aber nicht zu spät, sagte Müller-Kraenner. „Wichtig ist aber, dass dieser Wasserstoff dann grün ist. Das muss garantiert sein, wenn man wirklich klimaneutral werden will.“