Berlin. Ein Fachverband lehnt Dorothee Bärs Vorstoß deutlich ab. Wie Prostitution aktuell geregelt ist – und welche anderen Modelle es gibt.

Es ist ein Thema, das immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgt: der Umgang mit Sexarbeit in Deutschland. Nun hat die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Dorothee Bär, ein grundsätzliches Sexkaufverbot in Deutschland gefordert.

Die Situation von Prostituierten in Deutschland sei "dramatisch", sagte die CSU-Politikerin am Dienstag der "Bild"-Zeitung, Deutschland habe sich "zum Bordell Europas entwickelt". Aus diesem Grund sprach sie sich für einen "Paradigmen-Wechsel" und die Einführung eines Sexkaufverbots nach Vorbild des Nordischen Modells aus.

Dadurch würde Prostitution "de facto verboten – und zwar zum Wohle der Frauen", sagte sie. Doch was genau würde das bedeuten? Und wie sieht die derzeitige Regelung aus?

Wie ist die aktuelle rechtliche Lage?

In Deutschland ist Prostitution mittlerweile vollständig legalisiert. Die Grundlage dafür ist das Prostitutionsgesetz, das die damalige rot-grüne Bundesregierung 2002 eingeführt hat. Das Gesetz sollte die rechtliche und soziale Lage von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern verbessern. Bis dahin hatte Prostitution in Deutschland als sittenwidrig gegolten. Die Große Koalition schärfte 2017 noch einmal mit dem Prostituiertenschutzgesetz nach. Damit sollten vor allem bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

Dorothee Bär (CSU) spricht sich für die Einführung eines Sexkaufverbots nach Vorbild des Nordischen Modells aus.
Dorothee Bär (CSU) spricht sich für die Einführung eines Sexkaufverbots nach Vorbild des Nordischen Modells aus. © Getty Images | Pool

Das Gesetz verpflichtet Prostituierte unter anderem dazu, ihre Tätigkeit anzumelden und regelmäßig Gesundheitsberatungen in Anspruch zu nehmen. Auch Bordelle brauchen seitdem eine Betriebserlaubnis. Dafür müssen sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen: So müssen beispielsweise Gebäude, die für Sexdienste genutzt werden, angemessene Sanitäranlagen haben, die Räume müssen außerdem von innen geöffnet werden können und über ein Notrufsystem verfügen.

Wie viele Sexarbeiterinnen gibt es in Deutschland?

Tatsächlich existieren keine belastbaren Daten dazu, wie viele Menschen in Deutschland in der Sexarbeit tätig sind. Laut Statistischem Bundesamt lag die Zahl der angemeldeten Prostituierten Ende 2021 bei rund 23.700. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ihre Tätigkeit nicht offiziell angemeldet haben.

Schätzungen zufolge könnte es in Deutschland zwischen 200.000 und 400.000 Prostituierte geben – die Zahlen variieren jedoch stark und sind nicht belegt. Auch dazu, wie viele Menschen Sexdienste in Anspruch nehmen, gibt es keine verlässlichen Daten. Fest steht jedoch, dass Deutschland zu den europäischen Ländern mit den liberalsten Prostitutionsgesetzen gehört. Lesen Sie auch den Kommentar zum Thema: Sex legal kaufen – Das Geschäftsmodell funktioniert nicht

Was ist das Nordische Modell?

CSU-Politikerin Bär sprach sich für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells aus. Es ist nicht das erste Mal, dass eine solche Regelung auch für Deutschland gefordert wird. Das Nordische Modell bestraft die Käufer von Sexdiensten und nicht jedoch die Prostituierten.

Zudem sieht es etwa Angebote zum Ausstieg aus der Prostitution vor. Schweden war im Jahr 1999 das erste Land, das ein solches Sexkaufverbot einführte. Mittlerweile sind dem Modell weitere Länder gefolgt, in Europa gehören etwa Norwegen, Island, Irland und Frankreich dazu. In anderen europäischen Ländern, etwa in der Schweiz, wurde über eine Einführung debattiert, diese jedoch abgelehnt.

Befürworter führen an, dass in den Ländern, die das Nordische Modell umsetzen, die Zahl der Sexarbeiterinnen und -arbeiter gesunken sei. Auch Bär erklärte als Begründung ihrer Forderung: "Das Beispiel Schweden zeigt: Mit einem Sexkaufverbot geht die Zahl der Prostituierten drastisch zurück."

Immer wieder wird in Deutschland über eine Neuregulierung von Sexarbeit diskutiert. Einige fordern ein Verbot des Kaufs von Sexarbeit.
Immer wieder wird in Deutschland über eine Neuregulierung von Sexarbeit diskutiert. Einige fordern ein Verbot des Kaufs von Sexarbeit. © picture alliance / dpa | Oliver Dietze

Eine im Juni dieses Jahres vorgestellte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland die Stellung von Bordellbetreibern, der Sexindustrie und der Freier gestärkt hätte. Zudem hätte sie zu mehr Menschenhandel und organisierter Kriminalität geführt, heißt es in der Untersuchung, an der unter anderem die Sozialwissenschaftlerin und Ethikerin Elke Mack von der Universität Erfurt beteiligt war.

Die Studie kam außerdem zu dem Schluss, dass die aktuelle Gesetzgebung verfassungswidrig sei und gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen würde. Auf Basis dieser Ergebnisse sprachen sich auch die Autorinnen und Autoren der Untersuchung für die Einführung eines Nordischen Modells aus.

Was sagen Kritikerinnen und Kritiker?

Gegner des Nordischen Modells sehen in der Regelung vor allem eine Stigmatisierung von Sexarbeit und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. So bezeichnet etwa der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen den Vorschlag von Dorothee Bär als "kontraproduktiv".

Ein solches Sexkaufverbot führe für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in prekären Situationen zu noch schlechteren Arbeitsbedingungen, sagte der Sprecher des Verbands, Kolja-André Nolte. In der Sexarbeit tätige Menschen, die keine beruflichen Alternativen hätten, müsste auch bei einem Verbot weitermachen, allerdings unter erschwerten Bedingungen. "Im Klartext: Gerade diejenigen, die eigentlich gerettet werden sollen, müssen in der Sexarbeit verbleiben", so Nolte.

Zudem gebe es keine überprüfbaren Zahlen zur Sexarbeit in Schweden. "Einzig nachweisbar ist, dass die sichtbare Prostitution zurückgegangen ist."

Auch die Grünen sprechen sich gegen das Nordische Modell aus. "Wir Grüne sehen ein Sexkaufverbot kritisch", sagt die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws. Mit der Forderung nach einem Verbot mache die Union es sich zu einfach. "Wir wissen, dass Prostituierte durch ein Verbot in Gefahr laufen, in die Illegalität gedrängt zu werden." Damit steige auch die Gewalt. Schauws forderte stattdessen einen Ausbau von Hilfsangeboten und Beratungsstrukturen.

Gibt es Pläne, die Gesetze in Deutschland zu ändern?

Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag keine Neuregelung der Gesetzeslage zur Prostitution vorgesehen. Bewegung könnte es jedoch auf EU-Seite geben. Am Donnerstag stimmen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über einen Bericht des Gleichstellungsausschusses zur Prostitution in der EU ab. Darin werden unter anderem Leitlinien zur Regulierung von Sexarbeit gefordert, die sich am nordischen Modell orientieren.