Berlin. Wer darf in Zukunft beim Sterben helfen und wie? Darüber stimmt der Bundestag an diesem Donnerstag ab. Das sind die Vorschläge.

Vor mehr als drei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass der Bundestag eine neue Regelung für die Beihilfe zum Sterben in Deutschland finden muss. Nun sollen die Parlamentarier über zwei Gesetzesentwürfe entscheiden, die den assistierten Suizid neu regeln könnten. Das sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Wie viele Menschen betrifft das Gesetz zur Sterbehilfe?

Im Jahr 2021 starben in Deutschland insgesamt 9215 Personen durch Suizid – nur ein kleiner Teil davon waren laut Experten geplante Selbsttötungen. Sterbehilfeorganisation wie die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“, „Dignitas Deutschland“ und „Sterbehilfe Deutschland“ haben in fast 350 Fällen Suizide begleitet oder Assistenz für die Selbsttötung vermittelt. Aktuellere Zahlen gibt es noch nicht.

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Experten aus der Palliativmedizin und Fachpolitiker geben zu bedenken, dass diese Fallzahlen nicht repräsentativ sind, weil die Sterbehilfe in Deutschland bislang unter dem Radar läuft. Sie ist nach wie vor nicht gesetzlich geregelt. Zudem sind die genannten Organisationen für Sterbehilfe umstritten.

Sterbehilfe: Welche Rechtslage gilt aktuell in Deutschland?

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Im Gegensatz zum assistierten Suizid verabreicht bei aktiver Sterbehilfe jemand anderes dem Patienten ein tödliches Mittel. In den Niederlanden, in Luxemburg, in Spanien und Belgien ist das erlaubt. Hierzulande sind passive und indirekte Sterbehilfe erlaubt. Als passive Sterbehilfe wird der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Beatmung bezeichnet. Solche Wünsche werden oft in einer Patientenverfügung geregelt.

Eine Patientin bekommt ein tödliches Medikament verabreicht. Am Donnerstag soll der Bundestag darüber entscheiden, ob die Hilfe beim Suizid durch ein Gesetz reguliert werden soll.
Eine Patientin bekommt ein tödliches Medikament verabreicht. Am Donnerstag soll der Bundestag darüber entscheiden, ob die Hilfe beim Suizid durch ein Gesetz reguliert werden soll. © epd | Juergen Blume

Bei der indirekten Sterbehilfe geht es vor allem um Schmerzlinderung. Wenn der Patient im Sterben liegt und dabei Medikamente bekommt, die zur Folge haben, dass er früher stirbt, ist das erlaubt. Die Beihilfe zum Suizid – um die es nun im Bundestag geht – bedeutet, dass bei der Selbsttötung geholfen wird. Zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel zur Verfügung gestellt wird, das der Patient selbst einnimmt. Diese assistierten Suizide finden in Deutschland immer noch in einer rechtlichen Grauzone statt. Sie sind straffrei – allerdings nur, wenn ein Einzelfall vorliegt.

Welche Vorschläge gibt es zur Regelung der Sterbehilfe?

Nach den Plänen des SPD-Abgeordneten Lars Castellucci und weiteren sähe die Sterbehilfe in Deutschland künftig so aus: Wer als Helfer den Schutz des Lebens verletzt, macht sich strafbar. Die Sterbehilfe müsste im Strafrecht angelegt werden. Ein Rechtsverstoß läge dann vor, wenn es sich um geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid handelt. Geschäftsmäßig bedeutet aber nicht erwerbsmäßig – denn damit wären Organisationen gemeint, die Profit generieren wollen. Geschäftsmäßigkeit liegt dann vor, wenn ein Arzt in mehr als einer Ausnahmesituation Sterbehilfe leistet.

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Die Sterbehilfe liefe so ab: Ein Sterbewilliger müsste zwei psychiatrische Untersuchungen im Abstand von drei Monaten bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten durchlaufen. Diese sollen prüfen, ob der Sterbewunsch aus äußeren Zwängen zustande kommt, wie Angst vor Altersarmut. Ist das nicht der Fall, würde die Person zu einem anderem Arzt überwiesen, der das Mittel ausgibt. Ist ein Mensch tödlich krank, ist nur eine Untersuchung notwendig. Nach einer Wartefrist von 14 Tagen erhielte er das Mittel.

Der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci (SPD) hat zusammen mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Parteien einen Vorschlag gemacht, wie begleitetes Sterben in Deutschland geregelt werden könnte.
Der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci (SPD) hat zusammen mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Parteien einen Vorschlag gemacht, wie begleitetes Sterben in Deutschland geregelt werden könnte. © epd | Thomas Lohnes

Ein Entwurf von Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) geht noch weiter: Sie wollen die Sterbehilfe außerhalb des Strafrechts in einem gesonderten Suizidhilfegesetz regeln. In Deutschland sollen demnach flächendeckend Suizidberatungsstellen eröffnen. Das Gesetz würde somit aber im Bundesrat zustimmungspflichtig werden, denn die Bundesländer müssten die Beratungsstellen mitfinanzieren.

Sterbehilfe: Was passiert, wenn kein Entwurf eine Mehrheit bekommt?

Nach Informationen unserer Redaktion ist es durchaus wahrscheinlich, dass keiner der beiden Entwürfe genügend Unterstützer findet. Helmut Frister, Mitglied des Ethikrats und Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sagt: „Es wäre keine Katastrophe, wenn sich der Bundestag auf keinen der beiden Entwürfe einigen kann. Dann würde im deutschen Strafrecht weiterhin die Gesetzeslage gelten, die bis 2015 ohnehin bestand.“ Das bedeutet, dass die Beihilfe zum Suizid weiter straflos bleiben würde – allerdings nur dann, wenn die Person „gemäß einer frei verantwortlichen Willensentscheidung“ handele.

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„Sonst wird aus der Hilfeleistung eine Täterschaft“, erläutert Frister. Zudem steht zeitgleich mit den Gesetzen auch ein Antrag zur Abstimmung, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Mehrheit der Parlamentarier unterstützt wird. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, mehr Geld in die Suizidprävention zu stecken. Bestehende Angebote dazu sollen ausgebaut und mit mehr Stellen ausgestattet werden. Auch Frister findet, die Suizidprävention sei unterfinanziert.

Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sagt: „Der Individualität der Sterbewünsche sollte individuell begegnet werden. Ein Sterbewunsch lässt sich nicht in eine Checkliste oder eine Rechtsnorm pressen.“ Melching fordert neben der Prävention eine bessere Qualifizierung für diejenigen, die Sterbehilfe leisten, sowie eine Aufklärungskampagne in der Bevölkerung über die Gestaltungsmöglichkeiten, wenn jemand im Sterben liegt.