Berlin. Nach der Staudamm-Sprengung in der Ukraine werden ganze Regionen geflutet. Schon früher wurde die Natur im Krieg als Waffe missbraucht.

Knietief steht das Wasser in den Straßen von Cherson. Teilweise noch höher. Die Menschen in der ukrainischen Stadt sind verzweifelt. Erst vor kurzem wurden sie von den russischen Besatzern befreit. Nun die nächste Katastrophe in diesem grausamen Krieg: Nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms wird ihre Stadt überflutet – und mit ihr rund 80 weitere Gemeinden.

Wer für die Explosionen verantwortlich ist und damit die zerstörerische Kraft des Wassers freigesetzt hat, ist noch unklar. Die Ukraine und Russland beschuldigen sich gegenseitig – beide könnten von der menschengemachten Flut profitieren. Doch gleichzeitig hat sie auch für beide Kriegsparteien Nachteile. Würde die Ukraine den Untergang zahlreicher Dörfer in Kauf nehmen, um den Boden von Minen freizuwaschen? Wäre es für Russland akzeptabel, dass die Krim von der Wasserversorgung abgeschnitten wird, wenn dafür die ukrainische Offensive erschwert wird?

Staudamm-Sprengung in der Ukraine: Die Natur als Waffe im Krieg

Viele Fragen sind noch ungeklärt – auch jene, nach den langfristigen Folgen der Überschwemmung. Was, zumindest für den deutschen Bundeskanzler, bereits feststeht: Es wurde eine "neue Dimension" des Ukraine-Kriegs erreicht. Das betonte Olaf Scholz (SPD) noch am Tag der Katastrophe. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Dass die Natur als Kriegswaffe missbraucht wird, ist keineswegs neu.

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Ein Land, in dem das besonders häufig passiert ist, sind die Niederlande. Große Teile des Staatsgebiets liegen unterhalb des Meeresspiegels und sind nur durch Deiche von den Wassermassen der Nordsee geschützt. Das wollten sich bereits im 16. Jahrhundert niederländische Rebellen zunutze machen, um im Kampf für die eigene Unabhängigkeit die spanische Armee aufzuhalten.

Wegen der Staudamm-Sprengung in der Ukraine und der folgenden Flut müssen nicht nur Menschen, sondern auch Tiere in Sicherheit gebracht werden.
Wegen der Staudamm-Sprengung in der Ukraine und der folgenden Flut müssen nicht nur Menschen, sondern auch Tiere in Sicherheit gebracht werden. © Reto Klar/FUNKE Foto Services

Niederlande: Ein Drittel aller Überflutungen wohl absichtlich herbeigeführt

Die Freiheitskämpfer zerstörten also Teile der Deiche und setzen damit riesige Flächen unter Wasser. Doch der Plan scheiterte, die Spanier behaupteten sich gegen die Fluten und Teile Flanderns waren für bis zu 100 Jahre von Meerwasser bedeckt.

Ähnlich erfolglos war die deutsche Wehrmacht, die im Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden Deiche zum Brechen brachte und so Teile Zeelands flutete. Ihr Ziel, die Alliierten aufzuhalten, erreichten sie damit nicht. Erschreckend ist, dass laut neusten Erkenntnissen rund ein Drittel aller großen Überflutungen, mit denen sich die Niederlande in den vergangenen 100 Jahren konfrontiert sahen, absichtlich herbeigeführt worden sein sollen.

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Staudamm-Katastrophe in Deutschland: Zwölf Meter hohe Welle im Möhnetal

Nicht nur die Deutschen, auch die Alliierten machten sich im Zweiten Weltkrieg die Kraft der Natur zunutze. Im Rahmen der "Operation Chastise" wollten die Briten im Mai 1943 die Staumauern von sechs Talsperren in Nordrhein-Westfalen und Hessen zerstören. In zwei Fällen, an der Eder- und der Möhnetalsperre, hatten sie Erfolg: Es entstanden meterhohe Flutwellen – im Möhnetal ist von bis zu zwölf Metern die Rede –, die ganze Dörfer vernichteten. Rund 2000 Menschen wurden getötet. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, weil viele Leichen nicht mehr gefunden werden konnten.

Dass nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Trockenheit Krieg geführt werden kann, zeigt ein Blick weiter zurück in die deutsche Geschichte: Während des Völkermords im heutigen Namibia floh ein großer Teil der Volksgruppe der Herero in die Omaheke-Wüste. Die deutschen Truppen riegelten das Gebiet ab, vertrieb die Flüchtlinge von den wenigen Wasserstellen und ließ Tausende Menschen verdursten.

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Ihre Macht über das Wasser macht sich auch die Türkei zunutze. Im Osten des Landes ließ Präsident Erdogan in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Dämme bauen, die das Wasser von Euphrat und Tigris aufstauen. Das sorgt dafür, dass immer weniger des wertvollen Nass in Syrien und im Irak ankommt. Einen Krieg gibt es zwischen den Ländern zwar nicht – als Waffe missbraucht wird die Natur dennoch.

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