Berlin. Rätselraten um Selenskyj: Kommt der ukrainische Präsident am Wochenende nach Deutschland? Ein anderes Reiseziel ist bereits bekannt.

Es passt zu der schwierigen Beziehung zwischen Berlin und Kiew, dass die Besuchspläne von Präsident Wolodymyr Selenskyj verfrüht in der Presse landeten. Das Hauptstadt-Boulevardblatt „B.Z.“ berichtete Anfang des Monats detailliert, dass der wohl meistgefährdete Staatsmann Europas am 13. und 14. Mai nach Berlin kommen werde – und auch, wo sein Flieger landen solle, dass er Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen und in welchem Hotel er übernachten werde.

Der Bericht war der Super-Gau für die Sicherheitsbehörden beider Länder. Die Berliner Polizei nahm Ermittlungen wegen des Verdachts des Geheimnisverrats auf. Selenskyj reist selten ins Ausland – jeder Trip ist ein Risiko. Ein kürzlicher Besuch in den Niederlanden wurde erst bekannt, als der 45-Jährige bereits in der Luft war. Die peinliche Panne in Deutschland führte dazu, dass der Besuch ins Wackeln geriet.

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Am Freitag war noch nicht sicher, ob Selenskyj nach Berlin kommt, um von dort weiter nach Aachen zu reisen. Dort soll ihm am Sonntag der Karlspreis verliehen werden. Klar wurde immerhin, dass Selenskyj plant, am Wochenende tatsächlich im Ausland unterwegs zu sein – zuerst in Italien.

Am Samstag wird Selenskyj in Rom erwartet

Italiens Präsidentenpalast bestätigte, dass Staatspräsident Sergio Mattarella Selenskyj am Samstag in Rom empfangen will. Italienischen Medien zufolge könnte Selenskyj auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Papst Franziskus treffen. Aus Rom wäre es für Selenskyj nur noch ein kurzer Flug nach Berlin, wo trotz der Ungewissheiten die Vorbereitungen für den Besuch mit strengsten Sicherheitsvorkehrungen laufen. Die Polizei kündigte am Freitag zudem Straßensperrungen im Berliner Regierungsviertel an.

Das Verhältnis zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Scholz ist angespannt.
Das Verhältnis zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Scholz ist angespannt. © AFP | SERGEI SUPINSKY

Die Turbulenzen um die mögliche Visite sind ein weiteres Kapitel in einer Reihe von Missverständnissen und Verstimmungen, die das Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine, zwischen Scholz und Selenskyj seit dem russischen Angriff prägten. Kurz vor Kriegsbeginn kam der Kanzler noch nach Kiew. Zehntausende russische Soldaten standen zu dem Zeitpunkt schon in Grenznähe. „Es sind sehr ernste Zeiten, in denen ich die Ukraine besuche“, sagte Scholz damals. „Deutschland steht ganz eng an Ihrer Seite.“

Ukraine: Geplatzte Steinmeier-Reise verärgerte Scholz

Dieses Gefühl hatte die Ukraine nicht – zumindest nicht immer. Einen Monat nach Kriegsbeginn wurde Selenskyj für eine Rede in den Bundestag geschaltet: Er warf Deutschland vor, in der Beziehung zu Russland weiterhin auf das Prinzip „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ zu setzen. Die Ansprache war ergreifend, blieb aber unerwidert. Die Abgeordneten gingen direkt zur Tagesordnung über – was später auch aus den eigenen Reihen als unwürdig bedauert wurde.

Es folgte eine massive Verärgerung in Berlin, als die Ukraine im April Steinmeier auslud vor dem Hintergrund seiner Haltung gegenüber Russland in der Vergangenheit. Scholz sah darin einen Affront und besuchte Kiew deswegen erst vier Monate nach Kriegsbeginn.

Sehr anders als Scholz: Als Komiker ließ Selenskyj die Hosen runter

Mit Scholz und Selenskyj treffen zwei sehr unterschiedliche Menschen aufeinander. Es gibt ein Video von einem Sketch aus Selenskyjs Jahren als Komiker, in dem er mit heruntergelassener Hose so tut, als spiele er mit seinem Genital Klavier. Wer nach den wilden Zeiten von Scholz sucht, findet allenfalls Fotos aus seiner Juso-Zeit, die ihn mit langer Lockenpracht zeigen.

Der ukrainische Praesident Wolodymyr Selenskyj spricht im März 2022 zum Deutschen Bundestag.
Der ukrainische Praesident Wolodymyr Selenskyj spricht im März 2022 zum Deutschen Bundestag. © epd | Christian Ditsch

Auch als Politiker ticken sie anders: Für Scholz wird Politik hinter den Kulissen gemacht. Selenskyj nutzt die Öffentlichkeit intensiv, um Politik zu machen. Ihm bleibt gar nichts anderes übrig. Selenskyj brauchte seit Kriegsbeginn dringend Waffen und Munition, um Wladimir Putins Angriffskrieg abzuwehren. Er flehte und forderte, provozierte und polarisierte.

Scholz hingegen wog ab und wälzte die Risiken. Die scharfe öffentliche Kritik aus der Ukraine ertrug der Kanzler stoisch: Schließlich kämpfe Selenskyj um das Überleben der Ukraine, hieß es aus dem Umfeld des Kanzlers. Schrittweise sagte Scholz immer mehr und immer schlagkräftigere Waffen zu.

Sagt Scholz der Ukraine neue Waffen zu? Ein Experte erwartet dies nicht

Inzwischen gehört Deutschland nach den USA zu den Ländern, die der Ukraine am stärksten militärisch helfen. „Dadurch hat sich auch das Verhältnis zwischen Berlin und Kiew deutlich verbessert, das muss so bleiben“, bilanziert die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Falls Scholz und Selenskyj sich am Wochenende persönlichen begegnen, müsse die Botschaft des Kanzlers lauten: „Wir lassen in der Unterstützung der Ukraine nicht nach.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Waffenlieferungen und die Versorgung der mit Munition bleiben vor einer erwarteten Gegenoffensive der Ukraine Thema. Der Sicherheitspolitik-Experte Markus Kaim glaubt jedoch nicht, dass Scholz einen möglichen Selenskyj-Besuch zum Anlass nimmt für konkrete Ansagen: „Ich erwarte nicht, dass große Waffenlieferungen angekündigt werden. Ich erwarte auch nicht, dass Deutschland eine große Friedensinitiative unterbreitet.“

Kaim sieht in einem Besuch Selenskyjs in Berlin dennoch eine große Chance für den ukrainischen Präsidenten. „Die deutsche Bevölkerung ist in der Frage der Unterstützung der Ukraine nach wie vor gespalten“, sagt der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das betreffe nicht die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, aber Waffenlieferungen und die Frage, ob das Land mit Putin schnell verhandeln müsse. „Wenn Selenskyj hier auftritt und eindringlich schildert, warum die Ukraine derzeit nicht mit Russland verhandeln kann, ist das ein wichtiges Signal an die deutsche Öffentlichkeit.“