Sanitz. Deutschland hilft der Ukraine und an der Nato-Ostflanke mit Flugabwehrsystemen. Der Bundeswehr bereitet das allerdings Schwierigkeiten.

Zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche haben die rund 70 Ukrainer trainiert, gelernt, geübt. Taktik, Verlegung, das Beladen mit Lenkflugkörpern, der Feuerkampf und schließlich die Wartung standen auf dem Programm, bis sie das Flugabwehrraketensystem Patriot bedienen konnten. „Es war für uns alle ein äußerst emotionaler Moment, als wir den ukrainischen Soldaten im Rahmen einer Abschlusszeremonie ihre Zertifikate ausgehändigt haben“, sagt Oberstleutnant Markus König.

Der 47-Jährige ist Kommandeur der in Sanitz bei Rostock stationierten Flugabwehrraketengruppe 21 der Bundeswehr. Soldatinnen und Soldaten seiner Einheit haben die Ukrainer in den vergangenen Wochen an einem geheimen Ort in Deutschland ausgebildet. „Ich habe höchsten Respekt vor der Aufgabe, die nun vor den Ukrainern liegt“, denkt König an die ukrainischen Kämpfer. Die sind inzwischen zurück in ihrer Heimat, zurück im Krieg gegen Russland. Und mit ihnen ein Patriot-System der Bundeswehr.

Bundeswehrsoldaten bei der Ausbildung von Soldaten aus der Ukraine an einem geheimen Ort in Deutschland am Patriot-System.
Bundeswehrsoldaten bei der Ausbildung von Soldaten aus der Ukraine an einem geheimen Ort in Deutschland am Patriot-System. © Luftwaffe | Luftwaffe

Wladimir Putin überzieht die Ukraine mit Terror aus der Luft

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow veröffentlichte am Mittwoch auf Twitter ein Bild, das insgesamt drei Patriot-Systeme zeigt, die Deutschland, die USA und die Niederlande gemeinsam an sein Land abgegeben haben. Die Details des Transports waren wie bei allen westlichen Waffenlieferungen aus Sicherheitsgründen streng geheim gehalten worden. „Heute wird unser schöner ukrainischer Himmel noch sicherer, denn die Patriot-Flugabwehrsysteme sind in der Ukraine eingetroffen“, schrieb Resnikow und bedankte sich für die Unterstützung.

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Russlands Präsident Wladimir Putin überzieht die Ukraine mit Terror aus der Luft. Seine Raketen gehen auf Städte nieder, treffen Wohngebiete, die Stromversorgung, Brücken. Deutschland hilft der Ukraine dagegen mit Flugabwehrpanzern vom Typ Gepard, das zweite hochmoderne Luftverteidigungssystem vom Typ Iris-T ist ebenfalls gerade eingetroffen, zwei weitere sollen folgen. Und eben mit dem Flugabwehrraketensystem Patriot. Im Verbund machen diese drei Waffen nach Einschätzung von Experten einen bedeutenden Unterschied zum Schutz der ukrainischen Bevölkerung.

Ukraine-Krieg: Patriots eins der modernsten westlichen Systeme für Luftverteidigung

Sieben Stufen auf einer schmalen Leiter geht es hoch in den Feuerleitstand des Patriot-Systems. Die Besatzung in der engen Kommandozentrale blickt auf zwei Monitore. Die auf einem Lkw befestigte Kabine ist gegen atomare, biologische und chemische Kampfstoffe geschützt, auch vor elektromagnetischen Störstrahlungen ist die mobile Einheit sicher. Hier werden die Bilder des Radars beobachtet, Flugobjekte mithilfe des Computers identifiziert und im Ernstfall an das einige hundert Meter entfernt stationierte Startgerät der Befehl zum Abschuss gegeben.

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Die in den USA produzierten Patriots können Marschflugkörper, ballistische Raketen, Hubschrauber und Kampfjets zerstören. 50 potenzielle Ziele kann die Besatzung gleichzeitig im Blick behalten und mit Lenkflugkörpern bis zu fünf Objekte auf einmal bekämpfen. Die Reichweite beträgt knapp 70 Kilometer. Es ist eins der modernsten westlichen Systeme für die Luftverteidigung. Die Patriots stehen in diesem Krieg symbolisch für den Wert westlicher Waffen für die Ukraine. Aber auch für die riesigen Probleme, vor die dieser Krieg die Bundeswehr stellt.

Wehrbeauftragte Högl: „Hier wird sehr konkret, was Zeitenwende heißt“

Besuch bei der Flugabwehrraketengruppe 21 von Oberstleutnant Markus König: Die Wehrbeauftragte Eva Högl ist nach Sanitz nahe der Küste von Mecklenburg-Vorpommern gekommen. „Hier wird sehr konkret, was Zeitenwende heißt“, sagt die SPD-Politikerin und zählt auf: Verstärkung der Nato-Ostflanke, Abgabe von Material und die Ausbildung der ukrainischen Soldaten. „Das ist alles nicht so einfach zu wuppen“, fügt Högl anerkennend hinzu und trifft damit die Stimmung der Truppe. „Die Einsatzbelastung ist hoch“, hört sie in Sanitz von einem Soldaten.

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, bei ihrem Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21, im Gespräch mit dem Kommandeur, Oberstleutnant Markus König in Sanitz.
Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, bei ihrem Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21, im Gespräch mit dem Kommandeur, Oberstleutnant Markus König in Sanitz. © Bundeswehr/Jane Schmidt | Jane Schmidt/Luftwaffe

Ausrüstung, Wehrpflicht, Personalprobleme – Themen rund um die Bundeswehr:

Nach Kriegsbeginn hatte die Slowakei ihr eigenes Flugabwehrsystem S-300 der Ukraine geschenkt. Deutschland schickte daraufhin zwei Patriot-Systeme samt Besatzung in den Nato-Staat, um die Ostflanke des Bündnisses zu schützen. Auch Soldatinnen und Soldaten aus Sanitz waren dort im Einsatz, Weihnachten sollten sie zu ihren Familien zurückkehren. Doch sie mussten kurzfristig zwei Monate länger bleiben: Die geplante Ablösung kam nicht – die wurde nach Polen beordert.

Deutschland schickte drei Patriot-Systeme nach Polen

Nach einem Raketeneinschlag mit zwei Toten nahe der Grenze zur Ukraine hatte die Bundesregierung dem Nachbarland Schutz durch deutsche Patriots angeboten. Nach einigem Hin und Her nahm Warschau das Angebot schließlich an, drei weitere Systeme mit Besatzung wurden dorthin verlegt. Die Einheit in Sanitz ist eine von drei Patriot-Gruppen des Flugabwehrraketengeschwaders 1 der Bundeswehr. Die Gruppen wechseln sich in den Einsätzen in der Slowakei und Polen ab. Und spüren die Belastung.

Die Pausenzeiten zwischen den Einsätzen können nicht immer eingehalten werden. Auch die Nachbereitung kommt zu kurz, weil es schnell wieder an die Nato-Ostflanke geht. Die Angehörigen der Soldaten leiden unter der Situation, hört Högl im Gespräch vor Ort. Gemeinsame Urlaube fallen aus, die Partner zu Hause bekommen Probleme mit der Kinderbetreuung. Zwei Einsätze gleichzeitig seien über einen längeren Zeitraum angesichts der Personallage nicht durchzuhalten, sagt König. Die Soldatinnen und Soldaten in Sanitz wünschen sich von der Bundesregierung eine klare Ansage, wie es für sie in der Slowakei und Polen weitergeht.

Deutschland gehen die Abwehrsysteme gegen Luftangriffe aus

Aber auch beim Material gerät die Bundeswehr unter Druck: Deutschland besaß bisher zwölf Patriot-Systeme. Davon stehen zwei in der Slowakei, drei in Polen. Eins hat die Ukraine bekommen und muss ersetzt werden, das kann ein bis zwei Jahre dauern. Fünf Systeme werden derzeit von der Industrie modernisiert. Bleibt ein funktionierendes Patriot-System in Deutschland. Darunter leiden nicht nur Ausbildung und Training. „Ist die Landesverteidigung zum aktuellen Zeitpunkt noch möglich?“, fragt Oberstleutnant Markus König und antwortet für seinen Verband: „Klares Nein.“

Ein Flugabwehrraketensystem Patriot.
Ein Flugabwehrraketensystem Patriot. © Bundeswehr/Francis Hildemann | Bundeswehr/Francis Hildemann

Die Wehrbeauftragte verspricht in Sanitz, die Anliegen der Truppe mit nach Berlin zu nehmen: mehr Material, mehr Personal. „Und es braucht vor allem auch eine politische Entscheidung, welcher Einsatz in welchem Zeitraum fortgeführt wird“, sagt Högl. „Alles zur gleichen Zeit geht nicht.“

Abzug der Patriots aus Polen und Slowakei bis Jahresende

Das Flugabwehrraketengeschwader kann in den kommenden Monaten auf Entlastung hoffen, wie unserer Redaktion bestätigt wurde. Aktuell sei geplant, den Patriot-Einsatz in Polen zum Juni und den in der Slowakei zum Ende des Jahres zu beenden, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. „Die Nationen sind über die Planungen informiert.“

Man tausche sich eng aus, um auf Lageänderungen reagieren zu können. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), begrüßt das Vorgehen: „Wenn die Lage es zulässt, macht es Sinn, die Situation zu verändern. Die Flexibilität brauchen wir, weil wir nicht unendlich Gerät haben.“