Berlin. Die Steuerschätzung fällt für Bund, Länder und Gemeinden ernüchternd aus. Finanzminister Lindner spielt das allerdings in die Hände.

Der deutsche Staat wird in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich weniger Steuern einnehmen als bislang angenommen. Das geht aus der jüngsten Steuerschätzung hervor, die Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag veröffentlichte. Eine Lösung des schwelenden Haushaltsstreits innerhalb der Berliner Ampelkoalition dürfte dadurch nicht einfacher werden. „Die Steuerschätzung eröffnet gegenüber der bisherigen Planung keinerlei neuen Finanzierungsspielraum“, sagte Linder.

Im Jahr 2024 werden Bund, Länder und Gemeinden den neueste Berechnungen zufolge insgesamt 962 Milliarden Euro Steuern einnehmen. Davon sollen 377 Milliarden auf den Bund entfallen. Im vergangenen November hatten die Steuerschätzer noch mit Steuereinnahmen von 993 Milliarden Euro für den Gesamtstaat und 390 Milliarden für den Bund gerechnet.

Lindner hat also 13 Milliarden Euro weniger Spielraum bei der Aufstellung des nächsten Bundeshaushalts. 2025 wird das Steueraufkommen des Staates der Prognose zufolge erstmals die Schwelle von einer Billion Euro überschreiten. Die Steuerschätzung erstreckt sich bis zum Jahr 2027. Die Experten erwarten jetzt für den Gesamtstaat jährlich 30 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen als zuletzt angenommen. An der regelmäßigen Schätzung sind Experten aus Wissenschaft, Staat und Behörden beteiligt.

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Ampelkoalition: Ringen um den Bundeshaushalt geht weiter

Lindner sagte am Donnerstag, die prognostizierten Mindereinnahmen seien keine Überraschung, sein Ministerium habe dafür auch Vorsorge getroffen. Ursache seien Änderungen im Steuerrecht, die nach der letzten Schätzung beschlossen wurden, um die Bürger angesichts stark gestiegener Lebenshaltungskosten zu entlasten.

AChristian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, muss mit weniger Geld rechnen.
AChristian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, muss mit weniger Geld rechnen. © dp | Kay Nietfeld

Forderungen nach Steuererhöhungen erteilte der FDP-Chef abermals eine Absage. Deutschland habe kein Einnahmeproblem. Vielmehr sei es ein Hochsteuerland und habe im Wettbewerb mit anderen Staaten an Boden verloren. Das Wachstum falle auch niedriger aus als anderswo. Die Bundesregierung rechnet für das laufende Jahr mit einer Zunahme der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent.

Lindner streitet bereits seit Monaten mit seinen Kabinettskollegen über den Bundeshaushalt 2024 und die grundsätzliche Ausrichtung der Finanzpolitik. Dabei geht es um die Frage, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Ausgaben der öffentlichen Hand zu begrenzen. In den vergangenen Jahren hatte der Staat im Angesicht der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine neue Schulden in gigantischem Umfang aufgenommen. Unter anderem spannte die Ampel-Koalition 2022 einen Abwehrschirm im Umfang von 200 Milliarden Euro, um Energie für Unternehmen und Privathaushalte bezahlbar zu halten. Außerdem stellte der Gesetzgeber in einem Sondervermögen 100 Milliarden Euro für die Modernisierung der Bundeswehr bereit.

Bundesminister melden erhebliche Mehrbedarfe für 2024 an

Anders als diverse Regierungsmitglieder, insbesondere von den Grünen, ist Lindner der Ansicht, dass Deutschland im kommenden Jahr zwingend wieder die Regeln der Schuldenbremse einhalten müsse. Das Grundgesetz schreibt vor, dass der Bund in wirtschaftlich normalen Zeiten nur in sehr geringem Umfang neu Schulden aufnehmen darf. In Ausnahmesituationen kann davon aber abgewichen werden, was während der Pandemie geschehen ist. 2023 werden die Regeln der Schuldenbremse bereits wieder eingehalten, allerdings ist dafür allerlei kreative Buchführung notwendig.

Geschätzte Steuereinnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und EU bis 2027.
Geschätzte Steuereinnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und EU bis 2027. © dpa | dpa-infografik GmbH

Für das kommende Jahr melden die Bundesminister zum Teil erhebliche Mehrbedarfe an. So will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) etwa zehn Milliarden Euro zusätzlich. Die Grünen um Wirtschaftsminister Robert Habeck dringen auf höhere Ausgaben für den Klimaschutz. Die grüne Familienministerin Lisa Paus wiederum hat errechnet, dass die geplante Kindergrundsicherung pro Jahr zwölf Milliarden Euro kosten dürfte. Dies würde zwar erst ab dem übernächsten Jahr zu Buche schlagen, müsste aber bereits jetzt in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt werden.

Lindner: Der Finanzminister hat auch die FDP im Blick

„Wir können nur das Geld ausgeben, das die Menschen und Betriebe in diesem Land erwirtschaften. Dieser haushaltspolitischen Realität müssen wir uns alle stellen“, sagte Lindner am Donnerstag. Für 2024 macht Lindner weiterhin eine Finanzierungslücke von rund 20 Milliarden Euro aus. Wohin die Reise im Haushaltsstreit gehen wird, ist noch weitgehend unklar. Bislang gibt es keinen Beschluss des Bundeskabinetts über die Eckwerte und die mittelfristige Finanzplanung. Im März hatte Lindner deren Vorlage wegen auf unbestimmte Zeit verschoben. Bislang hieß es, dass das Kabinett die Eckwerte am 21. Juni beschließen werde. Am Donnerstag teilte der Finanzminister aber mit, dass auch dieser Termin nicht zu halten sei.

Bei dem Feilschen um den Bundeshaushalt 2024 geht es auch um Parteipolitik: Der FDP-Chef und Finanzminister will zeigen, dass das Geld der Steuerzahler bei den Liberalen in guten Händen ist. Die Freien Demokraten stehen nach fünf verlorenen Landtagswahlen unter erheblichem Druck. Bei aktuellen Umfragen auf Bundesebene bewegen sie sich gefährlich nah an der Fünf-Prozent-Marke.

Der haushaltpolitische Sprecher der oppositionellen Unionsfraktion, Christian Haase (CDU), sagte am Donnerstag: „Mit der Steuerschätzung müsste jetzt auch der Letzte in der Koalition aus seinen Träumen und Illusionen erwacht sein. Die erhofften Mehreinnahmen des Bundes für das Jahr 2024 sind ausgeblieben.“