Berlin. Der Kanzler redet Klartext: Die Ukraine brauche westliche Waffen, um Putin Grenzen zu setzen. Es ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit.

Der Kanzler bleibt sich treu. Je aufgeregter die öffentliche Debatte, desto nüchterner die Tonlage. In einer kompakten Regierungserklärung hat Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Kurs zur Beendigung des Ukraine-Kriegs markiert.

Die Eckpunkte: Der „Angriffskrieg“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin darf nicht mit einer „Unterwerfung“ der Ukraine enden. Der Westen unterstützt die Ukraine verstärkt mit schweren Waffen und Munition. Den Friedensaktivisten in Deutschland, die unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ sofortige Verhandlungen fordern, wirft der Kanzler den Satz entgegen: „Unser ‚Nie wieder‘ bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf.“

Scholz trifft Biden: Der Kanzler will den maximalen Schulterschluss

Scholz‘ Rede war klar und schlüssig. Kein Vergleich zu den ersten Monaten nach Kriegsbeginn, als dem Kanzler zu Recht das Image des Zauderers anhaftete. Scholz stellte die russische Invasion in einen größeren Kontext – bezeichnete sie als Anschlag auf die europäische Friedensordnung nach 1945. Nur an einer Stelle ließ er ein Nachkriegs-Szenario aufscheinen: Die Bundesregierung spreche mit Kiew und den westlichen Partnern über “künftige Sicherheitszusagen“ an die Ukraine. Aber bis dahin sei es ein steiniger Weg, lautet Scholz‘ trockene Intonierung.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

US-Präsident Joe Biden, den der Kanzler an diesem Freitag im Weißen Haus trifft, könnte die Scholz-Formel an jedem Punkt unterschreiben. Dass der deutsche Regierungschef ohne Journalistentross nach Washington fliegt und keine Pressekonferenz vorgesehen ist, unterstreicht: Der Kanzler will absolute Vertraulichkeit und den maximalen Schulterschluss.

USA: Transatlantische Achse ist Scholz noch wichtiger als Abstimmung mit Frankreich

In Zeiten des Ukraine-Krieges und einer Vielzahl weltpolitischer Krisen sucht Scholz die Nähe zu Biden wie zu kaum einem anderen Politiker. Er weiß: Wenn es hart auf hart kommt, ist Amerika die Schutzmacht Europas.

Die transatlantische Achse steht im Zentrum der Scholz’schen Außenpolitik. Sie ist dem Kanzler noch wichtiger als die Abstimmung mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der bereits heute am europäisch-russischen Verhältnis nach dem Ukraine-Krieg basteln will. Man kann diese strategische Nähe zu Washington durchaus mit dem engen Draht zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident George H. W. Bush zur Zeit des Mauerfalls vergleichen.

Scholz braucht Biden. Aber Biden braucht auch Scholz, wie sich an der Lieferung der Leopard-Kampfpanzer an Kiew ablesen lässt. Beide Politiker haben mit Blick auf den Krieg das gleiche Kalkül. Die erste Priorität: Die Ukraine soll für ihre Frühjahrsoffensive militärisch so aufgerüstet werden, dass sie gegen Russland entscheidende Gebietsgewinne erzielt. Beide setzen darauf, dass die Lage auf dem Schlachtfeld eine neue Dynamik erzeugt. Ihre Hoffnung: Die Aussicht auf eine drohende Niederlage bringt Putin dazu, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

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Bei einem Abnutzungskrieg wird die Unterstützung in der Bevölkerung bröckeln

Scholz wie auch Biden wissen, dass sie nur ein begrenztes Zeitfenster haben. Mündet der Waffengang in der Ukraine in einen permanenten Abnutzungskrieg, wird die Unterstützung in der Bevölkerung bröckeln – in Deutschland wie in den USA.

In Amerika kommt noch etwas anderes hinzu: Spätestens im Herbst wird sich das politische Klima verschärfen. Dann beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs im Rennen um das Weiße Haus, das im November 2024 entschieden wird. Bei den oppositionellen Republikanern wächst der Widerstand gegen die Ukraine-Hilfe, und auch bei den US-Bürgern schwindet der Rückhalt. Biden und Scholz bauen auf einen zügigen Vormarsch der Ukrainer – es ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit.