Berlin. In ihrem ersten Jahr hat der Krieg die Ampel zusammengeschweißt. Jetzt nehmen die Fliehkräfte zu. Das Bündnis muss neu zusammenfinden.

Das politische Geschäft ist hart. Politiker und Parteien stehen in Konkurrenz zueinander, auch wenn sie sich in einem Regierungsbündnis zusammengefunden haben. Denn trotz der gemeinsamen Arbeit für das große Ganze treten alle Akteure für sich vor die Wählerinnen und Wähler, um für Zustimmung und Stimmen zu werben. So ist es auch bei den Parteien der Ampel-Koalition, die ihr Bündnis vorgeblich mit dem Ziel schlossen, gemeinsam wiedergewählt zu werden.

Dass die FDP nach der Wahl-Klatsche in Berlin nun öffentlich Mitleid von SPD und immer selbstbewusster werdenden Grünen zugesprochen bekommt, zeigt einerseits, in welch bedrohliche Lage die Partei geraten ist. Denn bisher haben die Freien Demokraten bei allen Landtagswahlen seit Beginn der Ampel-Regierung Niederlagen einstecken müssen.

Andererseits lässt sich an den Kummerfalten der Koalitionspartner auch die Sorge um die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Regierung ablesen: Eine angeschlagene FDP kann die Fliehkräfte im Bündnis gefährlich verstärken.

Ampel-Koalition: Der Ukraine-Krieg hat das Bündnis zusammengeschweißt

Im ersten Jahr ist die rot-grün-gelbe Koalition von Kanzler Scholz fast ausschließlich mit der Bewältigung der vielfältigen Krise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine beschäftigt gewesen. Das hat die ungleichen Partner zusammengeschweißt. Sie wussten, dass die Regierung des größten Landes in der Europäischen Union nicht im Streit erstarren darf, wenn Frieden und Freiheit in Europa angegriffen werden.

Vor und hinter den Kulissen hat es gekracht. Nicht alle Krisenbeschlüsse saßen auf Anhieb. Aber unter dem Strich ist es der Ampel-Koalition gelungen, das Land durch die vergangenen Monate zu führen: Weder ist Haushalten und Unternehmen das Gas ausgegangen, noch hat es wegen gestiegener Energiepreise die befürchteten Volksaufstände gegeben. Nicht alle, aber die größten Härten konnte die Regierung abdämpfen, indem sie ungeheure Summen mit der Gießkanne verteilte – auch, damit jede Partei ihrer Klientel etwas vorweisen konnte.

Jan Dörner
Jan Dörner © BZV | Funke Foto Service

FDP-Chef Lindner will das Profil seiner Partei schärfen

Im zweiten Regierungsjahr muss die Koalition eine neue Art der Zusammenarbeit finden. Denn so viele Milliarden wie im vergangenen Jahr kann die Regierung nicht erneut ausgeben. Dafür wird Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kämpfen. Schließlich will er nach der Serie von Wahlpleiten das Profil seiner Partei in der Regierung schärfen, um nicht aus purem Überlebensinstinkt die Regierungsbeteiligung grundsätzlich infrage stellen zu müssen.

Wie schwer die Zusammenarbeit in der Koalition in manchen Punkten geworden ist, zeigt beispielhaft das Gerangel um die beschleunigte Sanierung der deutschen Infrastruktur. Die Grünen wollen dabei vor allem auf das Klima achten und deswegen Autobahnen hintanstellen, die FDP wirft sich für Autofahrer in die Bresche und will deswegen auch Straßen sanieren. Kanzler Scholz und seine SPD stehen in dem Konflikt in der Mitte und sehen sich als die Erwachsenen im Raum. Eltern kennen aber das hilflose Gefühl, wenn ihre Ermahnungen ungehört verhallen.

Der Streit um die Infrastruktur blockiert die Regierung

Ausgerechnet, wo es um Schnelligkeit gehen soll, befindet sich die Ampel-Koalition also in einer Blockade. Scholz ist nun als Vermittler gefragt. Denn sollte der Kanzler diesen wie bereits den Streit um die Laufzeiten der Atomkraftwerke nur per Machtwort lösen können, kratzt das an seiner Autorität. Das Motto der Koalition muss lauten: kluger Kompromiss statt andauernde Konfrontation. Denn für Dauerwahlkampf ist die nächste Bundestagswahl noch zu weit entfernt.