Moskau. Es gehört Mut dazu, sich autoritären Machthabern entgegen zu stellen. Viele Frauen haben Courage. Warum der Widerstand weiblich ist.

Es gehört viel Mut dazu, gegen Unterdrückung und ein totalitäres Regime aufzubegehren – und nicht nur im Iran sind es Frauen, die auf die Straße gehen und protestieren. Auch in Russland, in Belarus, in der Ukraine sind es oft Frauen, die sich dem russischen Machthaber Wladimir Putin und seinem belarussischen Kumpanen Alexander Lukaschenko nicht länger unterordnen wollen.

In Russland, wo die Opposition weitgehend zerschlagen ist, protestieren Frauen nach wie vor auf ihre Weise gegen die „Spezialoperation“ in der Ukraine. In Moskau fährt eine Künstlerin mit einer blutbeschmierten Baby-Puppe mit der Metro quer durch die Stadt. „Wir müssen uns dem Schrecken des Krieges stellen,“, sagt sie. Eine andere Aktivistin geht in den Supermarkt. Dort tauscht sie die Preisschilder aus gegen Zettel, auf denen Informationen über die Opfer der Kämpfe in der Ukraine zu lesen sind.

Protest der Frauen gegen Lukaschenko

In Belarus waren sie zu Hunderttausend auf der Straße, im Protest-Sommer 2020. Angeführt von Frauen in phantasievollen Gewändern. Sie schrien sich die die Wut aus dem Leib. Die Wut auf das alte, verkrustete System. Die Wut auf Alexander Lukaschenko, den Präsidenten, der seine Wiederwahl manipuliert hatte.

Die Revolution in Belarus ist vorerst gescheitert, niederknüppelt von der Spezialpolizei. Viele der starken Frauen sind im Gefängnis, doch andere kämpfen aus dem Exil weiter. Oftmals sind es die Frauen, die in den Ländern der zerfallenen Sowjetunion an der Spitze von Oppositionsbewegungen stehen. Frauen kämpfen um ihre Rechte, um Meinungsfreiheit und Demokratie. Und manchmal auch um ihr Leben.

Ukraine-Krieg: Für viele geht es nur noch ums Überleben

In der Ukraine hingegen geht es um das Überleben. Physisch wie psychisch. Auch da sind es die starken Frauen, die eine wichtige Rolle spielen. Der Widerstand ist weiblich. Es sind Frauen wie diese, die Putin fürchtet.

Russland: Marina Owsjannikowa

Es ist eine Sensation: Am 14. März, kurz nach dem Beginn der Invasion, läuft im Ersten Kanal, russisches Staatsfernsehen, die Hauptnachrichtensendung. Plötzlich taucht hinter der Moderatorin die Redakteurin Marina Owsjannikowa auf und hält ein Plakat in die Kamera. Darauf steht: „Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“.

Nach wenigen Sekunden spielt die Regie irgendeinen Filmbeitrag ein. Doch die Botschaft ist in der Welt, mitten aus dem Staatsfernsehen, wo nur überprüfte Menschen arbeiten. Das Video der Protestaktion verbreitet sich in rasender Geschwindigkeit, wird tausendfach kommentiert. Der Starpianist Igor Levit beispielsweise postet auf Twitter einen Link zum Video und schreibt dazu: „Was Mut wirklich bedeutet.“

Marina Owsjannikowa droht eine lange Haftstrafe, sie hat sich ins Ausland abgesetzt.
Marina Owsjannikowa droht eine lange Haftstrafe, sie hat sich ins Ausland abgesetzt. © AFP | NATALIA KOLESNIKOVA

Marina Owsjannikowa hatte die Aktion gut vorbereitet. In einem im Voraus aufgenommenen Video erklärt sie ihre Beweggründe: „Leider habe ich in den vergangenen Jahren Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr.“ Marina Owsjannikowa wird zu einer Geldstrafe verurteilt.

Sie darf ausreisen, arbeitet für kurze Zeit in Deutschland als freie Journalistin für die „Welt“. Zurück in Moskau demonstriert sie in Sichtweite des Kremls erneut gegen die „Spezialoperation“ in der Ukraine. „Wie viele Kinder müssen noch sterben, bis ihr aufhört?“ steht auf ihrem Plakat.

Diesmal drohen zwischen fünf und zehn Jahren Haft. Doch Owsjannikowa gelingt erneut die Ausreise.

Russland: Elena Osipowa

Ganz gewiss nicht zur jüngeren Generation wie Marina Owsjannikowa gehört Elena Osipowa aus Sankt Petersburg. Geboren wurde sie 1945, als Sankt Petersburg noch Leningrad hieß. Ihre Eltern überlebten die Leningrader Blockade durch die Deutschen, alle anderen Familienmitglieder starben damals.

Elena Osipowa ist Künstlerin, demonstriert gegen den Krieg. Sie  wird immer wieder festgenommen, will aber weiter kämpfen.
Elena Osipowa ist Künstlerin, demonstriert gegen den Krieg. Sie wird immer wieder festgenommen, will aber weiter kämpfen. © Reuters | Stringer

Elena Osipowa ist Künstlerin, sie malt Bilder, Plakate, setzt sich mit der gesellschaftlichen Realität in Russland auseinander. Immer schon. Ihre Plakate findet man eher selten in Kunstausstellungen, dafür oft, von ihr getragen, auf Demonstrationen und Protestveranstaltungen. Sie protestierte gegen den Tschetschenien-Krieg und die russischen Bombardements in Syrien.

Um häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder geht es ihr genauso wie um die Militäroperation jetzt in der Ukraine. Nach der sei sie geschockt gewesen, erzählt sie, drei Tage lang habe sie nichts gegessen. Dann aber, am 2. März 2022, geht sie auf die Straße, demonstriert gegen den Krieg und wird vorübergehend festgenommen.

Aufgeben, das Land verlassen gar, ist für Elena Osipowa keine Alternative. Sie will weiterkämpfen.

Belarus: Maria Kolesnikowa

Maria Kolesnikowa, hier bei einer der zahlreichen Protestaktionen gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, sitzt zurzeit in Haft.
Maria Kolesnikowa, hier bei einer der zahlreichen Protestaktionen gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, sitzt zurzeit in Haft. © AFP | SERGEI GAPON

Die junge Frau singt und tanzt ausgelassen, auf dem Akkordeon begleitet von einem Freund: Maria Kolesnikowa, die letzte der drei Anführerinnen der belarussischen Opposition, die im Herbst 2020 noch im Land ist. Zu diesem Zeitpunkt leben die anderen beiden, Veronika Zepkalo und Swetlana Tichanowskaja, längst im Ausland, vertrieben ins Exil.

Aber Maria Kolesnikowa tanzt auf der Demonstration und lacht im spontanen Interview. Ja, sie glaube an den Erfolg, die Protestbewegung werde siegen, und nein, niemals würde sie das Land verlassen. Am nächsten Morgen ist Maria Kolesnikowa verschwunden.

Über viele Stunden gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Dann wird klar: Maria Kolesnikowa und ihre zwei Begleiter wurden verschleppt, vermutlich vom belarussischen Geheimdienst.

Die Drei sollten mit Gewalt in die Ukraine abgeschoben werden. Doch Maria Kolesnikowa zerriss ihren Pass und warf ihn aus dem Wagen. Die Einreise in die Ukraine war damit unmöglich. Daraufhin kam sie ins Gefängnis. Wegen „versuchter illegaler Machtergreifung“ wurde Maria Kolesnikowa zu elf Jahren Haft verurteilt.

Belarus: Nina Baginskaja

„Wir werden uns selbst befreien“, sagt Nina Baginskaja (re.). Sie  ist 73 und lässt sich nicht den Mund verbieten.
„Wir werden uns selbst befreien“, sagt Nina Baginskaja (re.). Sie ist 73 und lässt sich nicht den Mund verbieten. © AFP | -

Nina Baginskaja ist vielleicht die letzte Demonstrantin in Belarus. Unverdrossen steht sie immer wieder mit ihrer rot-weißen Protest-Fahne auf den Plätzen der belarussischen Hauptstadt Minsk. Ganz alleine. Damals, im Sommer 2020, war sie das Idol der Menschen, die für ein demokratisches Belarus kämpften. „Nina, Nina!“, riefen die Demonstranten, wenn die über 73-Jährige mit ihrer großen Fahne zu sehen war.

Nina Bagingskaja war Ikone, Vorbild. Alle wollten mit Nina reden, ihre Hand berühren, sie verehren sie für ihren Mut. Heute, allein auf weiter Flur, sagt sie nach wie vor: „Wenn Du kein Bastard, wenn Du kein Sklave bist, musst Du Dein Land verteidigen.“

Nina Baginskaja war schon zu Sowjetzeiten in der Opposition. Später, 2014, verbrennt sie vor dem KGB-Gebäude eine sowjetische Flagge, um an die stalinistische Unterdrückung belarussischer Kulturschaffender zu erinnern. Sie wird verurteilt, wegen „Rowdytum“ und „Ungehorsam gegenüber Polizisten“.

Doch die Geldstrafen, die man ihr auferlegt, zahlt sie einfach nicht, sie hält sie für nicht legitim. Pfändungen folgen, ihre Rente wird gekürzt. Das nimmt sie in Kauf, finanzielle Hilfe, etwa durch Menschenrechtsorganisationen oder aus dem Ausland, lehnt sie ab.

Trotz der im ersten Anlauf gescheiterten Revolution in Belarus sagt sie: „Wir werden uns selbst befreien. Da gibt es Beispiele aus anderen Ländern. Wir sind nicht die ersten und nicht die letzten, die in einer Diktatur leben. Wir werden frei sein. Nichts ist auf ewig in dieser Welt.“

Ukraine: Olga Schwez

Olga Schwez aus Kiew ist Psychologin, war beim Militär und arbeitet inzwischen als Polizistin. Sie ist ständig unterwegs und vermittelt auf der Straße, manchmal gibt es Diskussionen zwischen Soldaten und der Bevölkerung. Oft liegen die Nerven blank. Doch Olga Schwez´ Hauptaufgabe ist die Betreuung ihrer Kolleginnen und Kollegen, die seit Beginn der Invasion in der Ukraine viel Belastendes erleben.

„Wir unterhalten uns abends, in unserer Freizeit. Wir waren mit emotional schwierigen Situationen konfrontiert. In Irpin, Butscha, Gostomel. Wir kamen dort an, unmittelbar nachdem die russischen Truppen das Gebiet verlassen hatten. Wir und unsere Soldaten sahen als Erste die schrecklichen Dinge. Wir haben alles selbst gespürt und mussten mit der Bevölkerung dort reden.“

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Das, was sie vor wenigen Monaten erlebt hat, kommt ihr immer wieder in den Kopf, wenn sie unterwegs ist auf den Straßen von Kiew und abends zuhause. Dies zu verarbeiten ist schwer und gelingt vielleicht nie vollständig.

Olga Schwez hat einen Traum. Einen Traum, den hier viele haben, auch wenn sie und ihre Kollegen wissen, dass er unrealistisch ist. „Mein größter Traum wäre, dass es einen echten Sieg gäbe. Ein wiederaufgebautes Land, glückliche Kinder und die Möglichkeit, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Die Möglichkeit, dass jeder seine Sprache sprechen darf. Die Möglichkeit, zu lernen. Dinge zu tun, die man tun will. Eben frei zu sein.“

Ukaine: Michaela

Michaela arbeitet im Leichenschauhaus von Butscha. Sie will den Toten aus den Massengräbern ein Gesicht geben, einen Namen, will den Angehörigen bei der Identifizierung helfen. Michaelas Nachname soll nicht in der Zeitung stehen – die Angst vor einer Rückkehr der russischen Truppen ist immer noch da.

Die frühere Journalistin ist eigentlich für die Digitalisierung der Verwaltung zuständig. Jetzt kümmert sie sich um die vielen Angehörigen, führt Listen. „Wir sprechen mit den Angehörigen, wir schauen auf den Listen nach, vielleicht finden wir eine Leiche in der Fotodatenbank der Polizei, die die Fundorte dokumentiert. Dann können die Angehörigen den Totenschein bekommen.“

Unter den Toten aus den Massengräbern waren nicht nur Kriegsopfer: „Es gab Menschen, die im Krankenhaus gestorben waren, an Krankheiten. Die Russen erlaubten nicht, dass man sie beerdigte.“

Jeder der Toten in den Massengräbern hat eine Geschichte. Eine ging Michaela besonders nahe. „Gestern sprach ich mit einem Mann über seine Frau. Geboren war sie 1988, die beiden haben drei kleine Kinder. Sie starb im Keller eines Hauses, wohl um den 20. März herum. Laut Totenschein an einem Herzinfarkt. Aber wir wissen, sie hatte kein Wasser, keine Nahrung. Sie war jung, gesund, sie starb jung. Ich kann nicht sagen, dass sie verhungert ist. Aber ich vermute es.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.

Buchhinweis: Jo Angerer: „Wenn Widerstand weiblich ist – Die Revolution der Frauen in den postsowjetischen Staaten“ Goldmann-Verlag, München. 192 Seiten, 22 Euro

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja