Berlin. Die Belarussin Swetlana Tichanowskaja trifft Bundeskanzlerin Merkel. Bei ihrem Berlin-Besuch forderte sie Deutschlands Unterstützung.

Weniger als 60 Minuten sind für das Treffen eingeplant, doch die Botschaft, die davon ausgehen soll, ist klar: Knapp zwei Monate nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Belarus empfängt Kanzlerin Angela Merkel Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja an diesem Dienstag in Berlin. Tichanowskaja sendet damit ein starkes Zeichen Richtung Minsk: Die mächtigste Frau Europas unterstützt die Bürgerrechtler in Belarus.

Vor dem Treffen mit Merkel hat Tichanowskaja in Berlin zu mehr Unterstützung des Westens aufgerufen. „Wir möchten, dass Deutschland als eines der mächtigsten Länder der Welt bei Verhandlungen helfen kann“, sagte sie. „Jeder, der als Vermittler eintreten will, kann uns helfen.“ Sie sei dankbar, dass die EU Sanktionen gegen Personen aus dem Umfeld von Machthaber Alexander Lukaschenko verhängt habe. „Das ist ein Sieg, aber es ist ein kleiner Sieg. Die Liste muss erweitert werden“, sagte Tichanowskaja.

Das Gespräch mit Merkel sollte gegen 15 Uhr beginnen, eine Stunde später sollten die Chefs der Grünen die Regierungskritikerin treffen.

Swetlana Tichanowskaja, Oppositionsführerin aus Belarus, am Dienstag bei ihrer Ankunft im Bundestag.
Swetlana Tichanowskaja, Oppositionsführerin aus Belarus, am Dienstag bei ihrer Ankunft im Bundestag. © dpa | Kay Nietfeld

Tichanowskaja lebt seit zwei Monaten im litauischen Exil

Die 38-jährige Tichanowskaja führt die Opposition in Belarus aus dem litauischen Exil. Dorthin war sie wenige Stunden nach der Wahl auf Druck des Regimes von Präsident Lukaschenko ausgereist, ihre kleinen Kinder hatte die Frau eines inhaftierten oppositionellen Bloggers bereits vor dem Wahltag ins litauische Exil geschickt.

Der deutsche Botschafter in Belarus, Manfred Huterer, hat unterdessen das Land vorübergehend verlassen. Er sei am Dienstag ausgereist, „um Gespräche in Berlin zu führen“, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Auswärtigen Amt. Nach dpa-Informationen will die Bundesregierung sich damit solidarisch mit Polen und Litauen zeigen, die ihre Botschafter bereits zuvor aus der belarussischen Hauptstadt Minsk abgezogen hatten. Die Führung in Minsk hatte zuvor verlangt, dass die beiden Länder ihr diplomatisches Personal in Belarus stark reduzieren.

Seit Wochen gibt es gegen Lukaschenko Proteste in der Hauptstadt Minsk und anderen Städten. Auslöser war die umstrittene Präsidentenwahl Anfang August. Der 66-Jährige hatte sich mit 80,1 Prozent der Stimmen für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Die Opposition sieht Swetlana Tichanowskaja als wahre Siegerin. Vom litauischen Vilnius aus steuert sie nun die Proteste.

Die Demokratiebewegung fordert den Rücktritt des Staatschefs sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen. Die EU erkennt unterdessen das Wahlergebnis in Belarus nicht an. Menschenrechtler werfen dem Machtapparat Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Es gab bereits mehrere Tote, Hunderte Verletzte und mehr als 10.000 Festnahmen.

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    Tichanowskaja zieht Parallele zwischen Belarus und DDR

    Bei ihrem Besuch in Berlin zieht sie selbst eine Parallele zur Lage in der DDR 1989. „Ich habe Fotos von Menschen gesehen, wie sie auf der Mauer saßen und sie einrissen“, erzählt die 38-Jährige in Berlin vor Journalisten und Vertretern verschiedener Organisationen. „In ihren Augen war die Freude zu sehen.“ Diese Freude wünscht sich die Bürgerrechtlerin auch für Belarus. Die Menschen dort seien gerade dabei ihre Mauer einzureißen.

    So war es bei ihrem Besuch in Berlin am Montag auch das erste, was sie gemacht hatte: „zur Mauer zu gehen“, wie sie sagte. Ganz ergriffen sei sie gewesen, als sie ein Mauerstück auf dem Potsdamer Platz sah - bemalt in den belarussischen Farben weiß und rot mit Parolen der Demonstranten. In ihrem Telegram-Kanal verbreitete sie ein Foto dazu.

    Wenig später jubeln ihr Dutzende belarussische Protestanten vor dem Brandenburger Tor bei einer Kundgebung zu. „Macht weiter. Wir wissen nicht wie lange dieser Kampf noch andauern wird, aber wir brauchen eure Hilfe“, rief sie den Anwesenden zu.

    Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hält bei der Zeremonie zu seiner Amtseinführung eine Rede.
    Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hält bei der Zeremonie zu seiner Amtseinführung eine Rede. © dpa | MAXIM GUCHEK

    Tichanowskajas Mann Sergej prangerte in seinem Videoblog Korruption an

    Tichanowskaja ist eine der Anführerinnen der Demokratiebewegung. Die 38-Jährige war bei der Präsidentenwahl am 9. August gegen Lukaschenko angetreten. Bis zur Wahl war sie politisch nicht in Erscheinung getreten. Sie arbeitete früher als Englischlehrerin und ist Mutter von zwei Kindern. Nach der Wahl musste sie auf Druck der Behörden Belarus verlassen. Seitdem lebt sie im EU-Land Litauen und trifft sich regelmäßig mit EU-Politiker, unter anderem mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

    Zu ihrer politischen Rolle kam sie, weil ihr Mann Sergej, der in seinem Videoblog regelmäßig Korruption anprangerte, festgenommen wurde. Daraufhin ließ sich die politische Seiteneinsteigerin an seiner Stelle als Kandidatin registrieren und mobilisierte mit Unterstützung anderer Oppositioneller Tausende Menschen.

    „Ich bin ein einfacher Mensch“, sagte Tichanowskaja bei einem Treffen mit Belarussen in Berlin. „Ich bin eine von euch.“ Kontakt zu ihrem Mann habe sie nur über ihren Rechtsbeistand. Immer wieder appelliert sie daran, weiter friedlich zu demonstrieren. Ihr Ziel sei immer gewesen einen Dialog mit dem nun 26 Jahre andauernden Regime zu suchen, doch das habe bislang keine Signale zu Gesprächen gezeigt.

    CDU-Generalsekretär sagt Unterstützung zu

    „Wir sehen uns jetzt gezwungen, unsere Nachbarländer darum zu bitten, dass sie als Vermittler in dem Dialog zwischen den Einwohnern von Belarus und dem Staat auftreten. Wir schlagen vor, die OSZE zu nehmen“, erklärte Tichanowskaja. Merkel könne für die Situation hilfreich sein.

    Unterstützung sagte unter anderem CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zu. „Wir stehen an der Seite der mutigen Frauen und Männer von #Belarus. Der Druck auf das Lukaschenko-Regime muss bleiben. Wahlfälscher dürfen keine Wahlsieger sein!“, schrieb der Unionspolitiker auf Twitter. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte schnelle Neuwahlen. (mit dpa)

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