Berlin. Westliche Spitzenpolitiker sagen der Ukraine Militärhilfe zu. Verteidigungsministerin Lambrecht warnt: „Wir dürfen jetzt nicht wanken.“

Der Raketenhagel reißt nicht ab. Einen Tag nach der groß angelegten Angriffsserie auf ukrainische Städte hat die russische Armee am Dienstag erneut Ziele in dem Nachbarland attackiert. Die „massiven Angriffe“ mit Präzisionswaffen von großer Reichweite richteten sich gegen militärische Ziele und Einrichtungen zur Stromversorgung der Ukraine, sagte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Landesweit waren am Dienstag in der Ukraine rund 300 Ortschaften ohne Strom.

Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj forderte die westlichen G7-Staaten auf, die Ukraine beim Aufbau eines Luftabwehrsystems gegen russische Raketen zu unterstützen. Selenskyj wandte sich am Dienstag in einer Videokonferenz an die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten: Sie sollten ihre Anstrengungen verstärken und „finanziell beim Aufbau eines Schutzschirms für die Ukraine helfen“.

Der russische Staatschef Wladimir Putin könne die Situation noch weiter eskalieren. Dies sei „eine Gefahr für uns alle“, warnte Selenskyj. Die G7-Staats- und Regierungschefs kamen wegen der jüngsten russischen Angriffsserie zu Sonderberatungen in einer Videokonferenz zusammen.

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Ukraine-Krieg: G7-Staaten kritisieren russische Angriffe als „Kriegsverbrechen“

Die G7-Spitzenpolitiker bezeichneten die russischen Attacken gegen die „unschuldige Zivilbevölkerung“ in einer gemeinsamen Erklärung als „Kriegsverbrechen“. Man werde Präsident Wladimir Putin dafür zur Rechenschaft ziehen. „Wir bekräftigen, dass jedweder Einsatz von chemischen, biologischen und nuklearen Waffen durch Russland ernsthafte Konsequenzen hätte.“ Und: „Wir werden weiterhin unsere Anstrengungen koordinieren, um die dringendsten Anforderungen der Ukraine für militärische- und Verteidigungsausrüstung zu erfüllen.“

Als Vergeltung für die Bombenexplosion auf der Krim-Brücke vom Sonnabend hatte Russland am Montagmorgen landesweit Städte in der Ukraine bombardiert. Die ukrainische Regierung rief die Bevölkerung zum Stromsparen auf. „Wir bitten Sie heute, den Stromverbrauch einzuschränken“, schrieb der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal im Onlinedienst Telegram. Zwischen 17.00 Uhr und 23.00 Uhr sollten keine energieintensiven Geräte eingeschaltet werden.

Bombardierung von Kiew: Verteidigungsministerin: „Putin terrorisiert die Zivilbevölkerung“

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) übte scharfe Kritik an der russischen Angriffswelle. „Mit dem Raketenbeschuss ukrainischer Städte terrorisiert Putin unverhohlen die Zivilbevölkerung. Seine Verachtung gegenüber den Menschen steigt offensichtlich mit dem Scheitern seiner Pläne“, sagte Lambrecht unserer Redaktion. „Wir dürfen jetzt nicht wanken. Unsere Unterstützung für die Ukraine müssen wir unvermindert fortsetzen. Gerade die Lieferung von Flugabwehrsystemen ist deshalb der richtige Schritt.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte zusätzliche Militärhilfe für Kiew an. „Wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine verstärken und aufrechterhalten, damit sie sich weiterhin verteidigen und ihr Territorium von der russischen Besatzung befreien kann“, sagte der Norweger am Dienstag vor einem Treffen der Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten in dieser Woche in Brüssel. Man werde mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Olexij Resnikow besprechen, was sein Land am dringendsten benötige, so Stoltenberg.

Vereinte Nationen warnen vor Anstieg der Flüchtlingszahlen

UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi warnte vor einem Anstieg der Flüchtlingszahlen. Die Bombardierung von Zivilisten und „nicht-militärischer Infrastruktur“ bedeute, „dass der Krieg härter und schwieriger für Zivilisten wird“, sagte Grandi. „Ich fürchte, dass die Ereignisse der vergangenen Stunden mehr Flucht nach sich ziehen.“

Russland stellt sich unterdessen auf einen längeren Krieg ein. Die von den USA angekündigte Lieferung von Flugabwehrsystemen werde den „Konflikt länger und schmerzvoller für die ukrainische Seite“ machen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland sieht insbesondere die USA als Kriegspartei in der Ukraine, weil das Land nicht nur Waffen zur Verfügung stellt, sondern auch Geheimdienst- und Satellitendaten. Zudem werden ukrainische Soldaten im Westen unter anderem an Nato-Waffen ausgebildet. Die Bundesregierung und anderen Nato-Mitglieder betonen, keine Kriegspartei zu sein.

Moskau: Offen für Treffen zwischen Putin und Biden auf G20-Gipfel

Inmitten der russischen Angriffswelle gab es aber auch diplomatische Signale. Moskau ist nach eigenen Angaben offen für ein Treffen zwischen Putin und seinem amerikanischen Amtskollegen Joe Biden. Russland würde eine solche Begegnung bei dem bevorstehenden G20-Gipfel nicht ablehnen und den Vorschlag prüfen, sollte es einen von den USA erhalten, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ist Mitte November auf der indonesischen Insel Bali geplant. Russland sei auch bereit, sich Vorschläge zu Friedensgesprächen anzuhören, fügte der Außenminister hinzu. Er könne jedoch nicht im Voraus sagen, wohin dieser Prozess führen würde.

Putin will sich zunächst an diesem Donnerstag mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan treffen, und zwar am Rande des Gipfels der Konferenz für Zusammenarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA) in Astana. Die Türkei sieht sich als möglichen Vermittler im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Ein Waffenstillstand muss so schnell wie möglich hergestellt werden“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.