Berlin. Verdi-Chef Frank Bsirske ruft die nächste Regierung zur Abkehr von der „schwarzen Null“ auf. Und empfiehlt der SPD ein neues Profil.

Frank Bsirske nimmt sich viel Zeit, um die Krise der SPD und den mühsamen Weg in eine neue große Koalition zu bewerten. Der Verdi-Chef macht der künftigen Regierung beim Gespräch in unserer Redaktion klare Vorgaben – und fordert ein Ende der strikten Haushaltsdisziplin.

Herr Bsirske, freuen Sie sich auf die neue Regierung?

Frank Bsirske : Ja. Bei Rente, Pflege, Krankenversicherung, Bildung, Wohnungsbau und Nahverkehr können mit den Koalitionsvereinbarungen die Lebensbedingungen vieler Bürgerinnen und Bürger verbessert werden. Und zwar deutlich mehr, als das von einer Regierung mit FDP-Beteiligung zu erwarten gewesen wäre. Dafür haben wir mit den Gewerkschaften geworben. Aber natürlich hat der Koalitionsvertrag auch Schwächen.

Sie werden Steuererhöhungen vermissen.

Bsirske : Deutschland bleibt eine Steueroase für reiche Erben und große Vermögen. Wir haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefälle bei der Abgeltungssteuer. Leider sperrt sich die Union weiterhin dagegen, mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen. Immerhin sollen Vermeidungspraktiken eingedämmt werden. Das wird zu konkretisieren sein. Ich denke da an die Einführung einer Quellensteuer, damit Unternehmen wie Google, Ikea oder Amazon nicht länger Gewinne mittels Lizenzgebühren am deutschen Fiskus vorbeiführen können.

Was passiert, wenn die SPD-Basis beim Mitgliederentscheid die Reißleine zieht?

Bsirske : Der Mitgliederentscheid ist Ausdruck innerparteilicher Demokratie und positiv. Natürlich würde ein Nein die SPD in eine schwierige Lage bringen. Sie müsste in Neuwahlen gehen, nachdem die eigene Führung demontiert wurde – und das mit der Botschaft, gewählt werden zu wollen, um nicht regieren zu müssen. Kein wirklich attraktives Angebot für die Wählerinnen und Wähler. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder tatsächlich mit Nein stimmt. Dafür ist die Koalitionsvereinbarung zu gut – und die Alternative zu bedrohlich.

SPD-Mitgliederentscheid: So funktioniert die GroKo-Abstimmung

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    Wie kommt Ihnen der Streit in den GroKo-Parteien um die Verteilung der Regierungsposten vor?

    Bsirske : Der Streit konzentriert sich ja auf die CDU. Die SPD wird den Finanzminister stellen, nicht zum ersten Mal in einer GroKo. Die Aufregung, die das auslöst, kann ich nur begrenzt nachvollziehen. Es war doch absehbar, dass die SPD auf Finanz- und Außenministerium bestehen würde. Überraschend war nur, dass Martin Schulz dafür seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen wollte. Was als Konsequenz darauf folgte, war naheliegend. Ich rate Union und SPD, sich jetzt auf die Inhalte zu konzentrieren.

    Olaf Scholz, der die SPD nun kommissarisch führt, will als Finanzminister die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt verteidigen und damit die Linie von Wolfgang Schäuble fortführen. Wie groß ist Ihre Enttäuschung?

    Bsirske : Mit der Ausgabe von Anleihen bekommt der deutsche Staat gerade nicht nur Geld – er verdient auch noch daran. In einer Phase, in der wir es an den Anleihemärkten mit Negativzinsen zu tun haben, auf Nettokreditaufnahme null zu setzen, ist ökonomisch abwegig und unsozial dazu. Das war bei Schäuble so und bliebe so auch bei jedem anderen Minister, wenn er die Fehler der letzten Jahre fortsetzt.

    Wieso? Die Steuereinnahmen sprudeln …

    Bsirske : Es ist dringend notwendig, die Investitionsstaus im Bildungssektor, dem Wohnungsbau oder der Infrastruktur zu beseitigen. Da kann man nicht an der „schwarzen Null“ festhalten.

    Scholz hat auch für eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro geworben. Unterstützen Sie diese Position?

    Bsirske : Das ist ein mutiges Signal gewesen, das aktuell allerdings wenig Realisierungschancen haben dürfte. Gleichwohl lohnt es sich, für eine deutliche Anhebung des Mindestlohns zu streiten – und zwar über den Wert hinaus, der sich aus den Lohnsteigerungen der letzten zwei Jahre ergibt. Ich würde es angesichts der günstigen Konjunkturlage und der Situation am Arbeitsmarkt begrüßen, wenn der Mindestlohn 2019 die Zehn-Euro-Marke knackt.

    Das wird Arbeitsplätze kosten.

    Bsirske : Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zehn Euro ist ökonomisch sinnvoll und wird keine Branche in Deutschland überfordern.

    Die Anhänger der SPD sind von den Vereinbarungen mit der Union weniger angetan als Sie. In den Umfragen taumeln die Sozialdemokraten Richtung 15 Prozent. Machen Sie sich Sorgen um die Existenz der Partei?

    Bsirske : Ich bin davon überzeugt, dass sich das wieder ändert, wenn es an die Umsetzung der positiven Weichenstellungen geht. Richtig ist aber auch: Die SPD braucht ein Profil, mit dem sich wieder mehr Menschen identifizieren können. Vor einem Jahr schossen die Sozialdemokraten in den Umfragen auf über 32 Prozent, weil sie mit Martin Schulz anfänglich eine Projektionsfläche für die Hoffnungen und den Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Zusammenhalt boten. Viele, die sich wegen der Agenda 2010 von der SPD abgewandt hatten, kehrten vorübergehend zurück. Das Potenzial ist also da. Man muss sich keine existenziellen Sorgen um die SPD machen. Sie befindet sich in einem Reorientierungsprozess – wie die Union im Übrigen auch.

    Sehen Sie in der CDU einen Streit um den richtigen Kurs?

    Bsirske : Es gibt den Versuch, die CDU nach rechts zu rücken – bisweilen auf skurrile Weise. So etwa, wenn der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Blick auf die Koalitionsvereinbarungen warnt: „Diese Einigung setzt den schleichenden Marsch in den Sozialismus fort“. Auch wenn man schon ziemlich verwirrt sein muss, um sich zu so einer Aussage zu versteigen – die Stoßrichtung ist klar!

    In der CDU ist die Zeit nach Angela Merkel noch nicht angebrochen, dafür stellt sich die SPD neu auf. Haben Sie einen Rat für die designierte Parteichefin Andrea Nahles?

    Bsirske : Klares Profil, Verlässlichkeit in den Aussagen und die Umsetzung einer Politik, die das Leben der Menschen verbessert. Das ist eine solide Grundlage, um der SPD neue Stabilität zu verleihen. Andrea Nahles hat als Arbeitsministerin einen beachtlichen Job gemacht. Ich traue ihr zu, die SPD zu neuem Erfolg zu führen.

    Nahles hat einen Stolperstart hingelegt. Die Partei wird – entgegen ihrer Planung – erst einmal vom bisherigen SPD-Vize Olaf Scholz geführt. Ein Signal, dass die Chaostage bei den Sozialdemokraten weitergehen?

    Bsirske : Ein Signal, in der Übergangsphase bis zur regulären Neubesetzung der SPD-Spitze die eigenen Gremien ernst zu nehmen. Wofür gibt es schließlich stellvertretende Vorsitzende?