Essen. Verdi-Chef Bsirske kritisiert Arbeitsbedingungen in Altenheimen und hat eine Forderung: die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts.

Voll belegte Altenheime, aber kaum Personal – Beschäftigten in Pflegeberufen wird einiges abverlangt. Wie die zuständige Gewerkschaft bessere Bedingungen erreichen will, auch bei den kirchlichen Trägern, erklärt der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske.

Herr Bsirske, laut jüngster BKK-Studie werden die Beschäftigten in keiner Berufsgruppe so häufig krank wie in der Pflege. Woran liegt das, und warum tut sich Verdi so schwer, die Bedingungen in Kliniken und Heimen zu verbessern?

Frank Bsirske: Der hohe Krankenstand spiegelt ganz klar die harten Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte wider. Viele gehen nur deshalb in Teilzeit, weil ihnen die Belastung einfach zu hoch wird. Dazu kommt eine Bezahlung, die dem Stress nicht angemessen ist. In der Krankenhauspflege haben wir schon einiges erreicht, unsere Forderung nach Mindestbesetzungen auf den Stationen hat die Politik aufgegriffen. Wir wollen sie aber sofort umgesetzt sehen, damit sich nicht eine Krankenschwester nachts um 30 Patienten kümmern muss. Zudem müssen dringend mehr Ausbildungsplätze zu besseren Konditionen geschaffen werden, sonst werden wir die absehbare Lücke von 20.000 Fachkräften nicht schließen können.

Wenn die Fachkräfte knapp werden, müssten die Löhne doch steigen.

Bsirske: Das hilft natürlich, Funktionskräften in der Intensivpflege etwa zahlen Kliniken bereits Wechselprämien bis zu 15.000 Euro, um sie abzuwerben. Doch gerade in den Altenheimen ist die Tarifbindung sehr niedrig, der Organisationsgrad verschwindend gering. Gerade private Anbieter betreiben massives Lohndumping, selbst bei der Diakonie brechen viele Häuser weg. Gerade deshalb wäre eine Allgemeinverbindlichkeit so wichtig, doch in der Regel blockieren das die Arbeitgeber in den Tarifausschüssen.

Sie tun sich schwer, auch bei Caritas und Diakonie Fuß zu fassen, den größten Arbeitgebern in Deutschland. Die gehen den sogenannten dritten Weg, das kirchliche Arbeitsrecht. Ist es noch zeitgemäß?

Bsirske: Der Gesetzgeber hat das fast eins zu eins aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen – wie sollte das zeitgemäß sein? Nein, der dritte Weg ist ein Akt der Usurpation, weil er mehr als einer Million Beschäftigten das Grundrecht auf Streik nimmt.

Sie fordern also die Abschaffung des dritten Weges?

Bsirske: Ja, als Sonderrecht der Kirche im kollektiven Arbeitsrecht gehört das abgeschafft. Dass der Arbeitgeber allein beansprucht, die Regeln aufzustellen, an die sich dann alle halten müssen, halte ich für grundgesetzwidrig und für einen Eingriff in die Grundrechte der kirchlichen Arbeitnehmer. Wir haben etwa in Niedersachsen mit Diakonischen Werken Tarifverträge durchsetzen können – geht also doch – und eröffnen den Weg für einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag Soziales. Aber auch hier mussten sich die Beschäftigten ihr Recht erst über Streiks erkämpfen.

Etwas Eigennutz dürfte dabei sein: Sehen Sie in der Pflege für Verdi das größte Wachstumspotenzial für neue Mitglieder?

Bsirske: Ja, wir sind die Pflegegewerkschaft. Während die Digitalisierung in der Industrie viele Arbeitsplätze kosten dürfte, werden in den Kliniken und Altenheimen Zehntausende zusätzliche Stellen entstehen. Doch wenn wir die nicht besetzt bekommen, laufen wir in einen riesigen Fachkräftemangel in der Pflege und gleichzeitig in steigende Arbeitslosigkeit, weil in anderen Branchen die Jobs wegbrechen. Das wäre grotesk.

Bessere Bedingungen und höhere Löhne fordert eigentlich jeder Politiker, die meisten scheuen aber die Kosten. Muss Pflege teurer werden?

Bsirske: Natürlich wird es teurer, bessere Pflege gibt es nicht umsonst. Da jeder einmal pflegebedürftig werden kann, sollte aber auch jeder ein Interesse daran haben, dass dieser Beruf für junge Leute attraktiver wird.

Müsste die Politik aus der Teilkasko- eine Vollkasko-Pflegeversicherung machen?

Bsirske: Wir haben das schon mal durchrechnen lassen, es würde gar nicht so dramatisch teurer – um etwa zwei Beitragspunkte, paritätisch zu finanzieren von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Viele ältere Menschen werden durch den hohen Eigenanteil bereits heute zu Sozialhilfe-Fällen, das müsste mit einer ausreichend finanzierten Pflegeversicherung nicht sein. Der Ausbau zur Vollkasko-Versicherung ist eine interessante Überlegung, die es lohnt verfolgt zu werden.