Anschläge

Paris gedenkt der Terroropfer – Angst hat nicht nachgelassen

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Peter Heusch
Frankreich gedenkt der Opfer der Pariser Anschläge von 2015

Frankreich gedenkt der Opfer der Pariser Anschläge von 2015

Frankreich hat an die 130 Toten und mehr als 350 Verletzten der islamistischen Anschläge in Paris vor zwei Jahren erinnert. Zu der Anschlagsserie auf das Fußballstadion Stade de France in Saint ...

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Auch zwei Jahre nach den Anschlägen kann von Normalität in Frankreich keine Rede sein. Die Bedrohungslage gilt weiter als enorm hoch.

Paris.  Die Angehörigen der Opfer hatten auf ein stilles Gedenken bestanden, weil sie auf keinen Fall irgendwelche politischen Erklärungen hören wollten. Ein Wunsch, dem Präsident Emmanuel Macron entsprach, als er am Montagvormittag in Begleitung der Première Dame Brigitte Macron, seines Vorgängers François Hollande sowie lokalen und nationalen Würdenträgern alle Orte besuchte, an denen drei islamistische Killerkommandos vor zwei Jahren ein fürchterliches Blutbad anrichteten.

Sechs Mal wiederholten sich die kurzen und betont einfach gehaltenen Trauerzeremonien zur Erinnerung an die 130 Toten und mehr als 650 Verletzten, die die Anschläge vom 13. November 2015 forderten. Sowohl vor dem Stade de France in der Vorstadt Saint Denis, vor den sechs Restaurants und Cafés im zentral gelegen 11. Pariser Arrondissements als auch vor der Konzerthalle Bataclan wurden im Beisein der Angehörigen die Namen der am jeweiligen Tatort aus dem Leben gerissenen Menschen verlesen, gefolgt von einer Schweigeminute und einer Kranzniederlegung zu Fuße der ihnen vor zwölf Monaten gewidmeten Gedenktafeln.

Frankreich sieht sich weiter im Krieg gegen den Terror

Wie der 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten ist der 13. November in Frankreich das Datum einer Zäsur. Das Land hat sich verändert und von einer auch nur annähernden Rückkehr zur Normalität kann keine Rede sein.

Die Pariser Anschläge
Die Pariser Anschläge

Zwar wurde erst zu Beginn dieses Monats der noch in der Nacht der Pariser Anschläge verhangene Ausnahmezustand aufgehoben. Doch ganz davon abgesehen, dass die meisten der mit ihm verbundenen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte und erweiterten Befugnisse der Behörden zuvor per Gesetz fortgeschrieben wurden, sieht sich Frankreich nach wie vor im Krieg gegen den Terror.

Polizei und Gendarmerie werden weiter hochgerüstet

Eine Floskel ist das keineswegs. So sind derzeit 4000 französische Soldaten in der gesamten Sahelzone im Kampfeinsatz gegen islamistische Rebellen während weitere 1200 an den Kämpfen gegen die Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Irak, in Syrien und in Libyen teilnehmen.

Auch ein Ende der Operation „Sentinelle“ (Wachtposten) wird nicht in Erwägung gezogen, in deren Rahmen 10.000 Soldaten daheim Flughäfen, Großbahnhöfe, Tourismusmeilen, Grenzen, öffentliche Gebäude und Plätze, Sportereignisse oder religiöse Einrichtungen schützen. Und parallel zu der Mobilisierung der Streitkräfte setzt sich die beträchtliche Hochrüstung der Dienste, der Polizei und der Gendarmerie fort.

Angst vor Anschlägen hat nicht nachgelassen

Schon weil der Ausnahmezustand offiziell durch die landesweit geltende höchste Stufe des Alarmplans „Vigipirate“ ersetzt wurde, hat sich an dem von rigorosen Sicherheitsmaßnahmen überschatteten Alltag der Franzosen nichts geändert. Vor allem aber hat die seit zwei Jahren lastende Angst vor weiteren Anschlägen keinen Deut nachgelassen.

Laut einer am Wochenende veröffentlichten Umfrage sehen 92 Prozent der Befragten die terroristische Bedrohung als „hoch“ oder „sehr hoch“ an. Eine Einschätzung, die von den Behörden und so gut wie allen Experten geteilt wird.

Gefahr durch perspektivlose Einheimische

Nur in zwei Punkten neigen die Kenner der Terrorismusbekämpfung zur Entwarnung: Ein weiterer, von langer Hand vorbereiteter Angriff einer grenzübergreifend organisierten Terrorzelle wird wegen der militärischen Niederlagen und der territorialen Auflösung des IS-Kalifats für „eher unwahrscheinlich“ gehalten.

Gleiches gilt für die Existenz schlagkräftiger Schläferzellen. Als unvermindert groß hingegen wird die Gefahr eingeschätzt, die von perspektivlosen Einheimischen ausgeht, welche sich in den trostlosen Vorstadtghettos des Landes radikalisiert haben und sich außerhalb der unter Beobachtung stehenden Islamisten-Szene bewegen.

Innenministerium spricht von hausgemachtem Terrorismus

„Lumpenterroristen“ nennt der renommierte Kriminologe Alain Bauer solche Personen „mit selbstzerstörerischer Psyche“, die eines Tages beschließen, zur Tat zu schreiten, und die mit geringen Mitteln versuchen, größtmöglichen Schaden anzurichten. Erfahrungen im Umgang mit Waffen oder Sprengstoff seien überflüssig, wenn es reicht, einfach ein Fahrzeug zu mieten oder zu stehlen und damit in eine Menschenmenge zu rasen.

Im Pariser Innenministerium umschreibt man diese Bedrohung mit einem anderen Begriff: Hausgemachter Terrorismus. Gemeint sind radikalisierte Muslime, die in Frankreich aufgewachsen sind oder seit langem in Frankreich leben und das Land hassen. Auf ihr Konto gehen die drei Toten, die 2017 islamistischen Angriffen zum Opfer fielen (am 20. April wurde ein Polizist auf den Pariser Champs Elysées erschossen, am 1. Oktober zwei Studentinnen vor einem Bahnhof in Marseille niedergestochen) sowie neun Soldaten und Gendarmen, die bei insgesamt acht weiteren Anschlagsversuchen verletzt wurden.

Mehrheit der Terroristen war Behörden nicht bekannt

Als Lumpenterroristen oder „hausgemachte Angreifer“ lassen sich auch ausnahmslos jene 34 Franzosen charakterisieren, die seit Beginn des Jahres wegen der Vorbereitung von 13 Attentaten festgenommen wurden, die von den Diensten vereitelt werden konnten.

„Nicht immer, aber häufig hatten wir dabei sehr viel Glück“, gibt ein Beamter der Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft zu. Glück, weil 60 Prozent aller Terroristen, die in Frankreich seit 2014 zuschlugen, weder der Polizei noch den Diensten bekannt waren. Dabei umfasst die sogenannte „Kartei S“, in der die potenziellen, unter Bewachung stehenden oder gesuchten Gefährder aufgeführt werden, mehr als 12.000 Namen.

Frankreich hat europaweit die meisten Dschihadisten

Es kommt hinzu, dass in keinem anderen europäischen Land mehr Staatsbürger in den Dschihad gezogen sind als in Frankreich, nämlich 1800 Männer, Frauen und Kinder. Nach Schätzungen der Dienste fanden mehr als 300 von ihnen den Tod, weitere 400 dürften inzwischen nach Frankreich zurückgekehrt sein.

Die meisten von ihnen sitzen in U-Haft, stehen unter Hausarrest oder wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Aber selbst wenn bislang wohl die meisten Rückkehrer gefasst wurden, gelingt es einigen dennoch, durch das Netz der Sicherheitsdienste zu schlüpfen. Zu den neun Attentätern des 13. November gehörten mindesten vier französische Rückkehrer aus dem Dschihad.

Mehrere Hundert IS-Kämpfer in Frankreich zurück erwartet

Seit dem Fall von Rakka befürchten Regierung und Geheimdienste, dass in den nächsten Wochen und Monaten nun gleich mehrere Hundert IS-Kämpfer mit französischem Pass ebenfalls versuchen, in ihre Heimat zurück zu gelangen.

„Ein enormes Sicherheitsproblem, falls wir sie nicht abfangen können“, warnt der Pariser Staatsanwalt François Molins. Nach seinen Erfahrungen seien die Rückkehrer zwar „grenzenlos enttäuscht über den IS-Niedergang, aber sie zeigen so gut wie keine Spur der Reue“.

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