Paris. Aus einem Konzertabend in Paris wird ein Albtraum. Vier Attentäter ermorden Dutzende Menschen. Überlebende sprechen von einem Gemetzel.

„Es war ein Gemetzel!“ Julien Pearce, Journalist beim französischen Radiosender Europe 1, sieht sich am Freitagabend das Konzert der US-Rockband Eagles of Death Metal im beliebten Pariser Musiktheater Bataclan an, als vier schwer bewaffnete Attentäter kurz vor 22 Uhr in den Saal stürmen. Als „sehr ruhig, sehr entschlossen“ beschreibt Pearce die „ganz in schwarz gekleideten und nicht vermummten“ Terroristen. Einem dieser Angreifer sieht er ins Gesicht: „Er war sehr jung, keine 20, mit einem kleinen Bart. Zuerst dachte ich, das gehört zur Show, Pyrotechnik oder so etwas. Aber als ich ihn mit seinem Sturmgewehr sah, aus dem Flammen kamen, wusste ich, dass es kein Witz war.“ Auch die übrigen Terroristen richten ihre Waffen auf die 1500 Zuschauer in der ausverkauften Konzerthalle – und beginnen, in die Menge zu schießen.

Zehn Minuten dauert der Kugelhagel. Mindestens dreimal laden die Täter ihre Waffen nach, feuern weiter. „Sie haben nicht gebrüllt, sie haben gar nichts gesagt“, sagt Pearce. „Die Leute sind umgefallen wie Dominosteine“, sagt ein 22-jähriger Konzertbesucher. „Einer der Typen hatte einen großen Hut auf.“

Konzertgäste verschanzen sich auf der Toilette

„Überall war Blut, überall waren Leichen. Die Leute haben geschrien, sich auf den Boden geworfen oder versucht, zu fliehen“, erzählt Pierre Janaszak. Der 35-Jährige, auch er ein Journalist, saß zusammen mit seiner Schwester und Freunden auf einem der oberen Ränge, als die ersten Schüsse fielen. Er flieht gemeinsam mit anderen Zuschauern in eine Toilette, verschanzt sich.

Auch Jerome Bartelemy hat Todesangst: „Sie befahlen uns, uns hinzulegen, also hat sich der ganze Saal hingelegt. Ich war unter anderen Menschen eingeklemmt, sie haben immer weiter geschossen. Von Zeit zu Zeit haben sie aufgehört.“

Einige stiegen nach oben, um den Mördern zu entkommen

Viele Augenzeugen, die dem grauenvollen Anschlag entkommen, sind traumatisiert. Sie berichten, dass es zu panikartigen Szenen gekommen ist. Die Menschen versuchen, sich zu den Ausgängen zu retten oder durch die Fenster zu fliehen. Einige steigen auch in das obere Stockwerk, um den Mördern über das Dach zu entkommen. Wie Louis. Er schildert dem Radiosender France Info, dass er mit seiner Mutter über Leichen kletterte, um aus dem Schussfeld und ins Freie zu gelangen. Und nicht nur Pearce, auch Louis benutzt das Wort „carnage“, um die fürchterlichen Vorgänge zu beschreiben. „Carnage“ bedeutet „Gemetzel“.

Überlebende erzählen, dass die Attentäter mehrmals „Allahu akbar“ (Allah ist groß) gerufen haben, bevor sie das Feuer eröffneten. Janaszak verschanzt sich mit vier anderen Leuten in einer Toilette. Aus seinem Versteck habe er genau gehört, dass die Männer später zu Geiseln sprachen und „Eurem Präsidenten“ die Verantwortung zuwiesen: „Hollande ist schuld, er hatte in Syrien nicht einzugreifen“, sollen sie wörtlich gesagt haben.

Alle vier Attentäter sterben

Julien Pearce überlebt. In einer Feuerpause, als die Todesschützen „wohl nachluden“, klettert er auf die Bühne, überquert sie und erreicht einen rettenden Ausgang. Eine junge Frau habe in einer Ecke gelegen. „Sie hatte offensichtlich mehrere Schüsse in ihr Bein abbekommen, war blutüberströmt.“ Er habe sie gepackt, auf die Straße geschleppt. Ob sie noch lebe, wisse er nicht, sagt Pearce. „Ich habe sie in ein Taxi gesetzt und dem Fahrer gesagt, er solle sie ins Krankenhaus fahren.“

Erst nach mehr als zwei Stunden beendet eine Spezialeinheit der Polizei die Geiselnahme. Als die Einsatzkräfte die Konzerthalle stürmen, jagen sich drei der Attentäter, die Sprenggürtel tragen, selber in die Luft. Der vierte Terrorist wird erschossen.

Sofort beginnt die Evakuierung der zahlreichen Verletzten. Sanitäter leisten unermüdlich erste Hilfe, abgeschirmt von einem imposanten Polizeiaufgebot. Sie haben sich schon zuvor um die Menschen gekümmert, die aus der Konzerthalle entkommen sind, aber verletzt wurden.

Krankenwagen rauschen im Minutentakt vorbei

Zahlreiche Krankenwagen waren bereits kurz nach dem Beginn des Angriffs zum Bataclan geschickt worden. Nun verlassen sie den Boulevard Voltaire, an dem das Musiktheater im belebten 11. Arrondissement liegt – im Minuten-Takt, mit heulenden Sirenen.

Weitere Krankenwagen und Rettungskräfte stehen an den weiträumigen Absperrungen der Ordnungskräfte. Auf der Place de la République, 700 Meter vom Bataclan entfernt, werden die Leichtverletzten versorgt. Die meisten sind bis hierher gelaufen oder wurden hierher geschickt, nachdem sie es noch vor dem Ende der Geiselnahme aus der Konzerthalle herausgeschafft haben.

Zu ihnen gehört auch Stéphanie. Die Studentin zittert, sie steht unter einem schweren Schock, doch verletzt wurde sie nicht. „Es war ein toller Abend, eine Superstimmung, aber dann schlug alles urplötzlich in den reinen Horror um“, erzählt sie unter Tränen. An Einzelheiten dieser Terrornacht kann oder will sie sich nicht erinnern. Auf die vorsichtige Frage, wie sie den Attentätern entkommen ist, antwortet sie mit einem hilflosen Schulterzucken. Erst nach einer kurzen Pause setzt sie leise hinzu: „Ich weiß es nicht mehr, wirklich nicht.“