Paris. Augenzeugen im Pariser „Bataclan“ schildern den Anschlag. Die Täter gingen kaltblütig vor – und gaben offenbar ihre Motive preis.

Ein Rock-Konzert mitten in Paris wird zum Ort des Horrors. „Mitten im Konzert sind Männer reingekommen, sie haben im Bereich des Eingangs zu schießen begonnen“, berichtet ein Besucher der Konzerthalle „Bataclan“ namens Louis dem Radio-Sender France Info. „Sie haben in die Menge geschossen, ich glaube mit Pumpguns, und dabei, Allah ist groß’ gerufen.“ Der Mann erzählt, als er mit seiner Mutter den Saal am Freitagabend verlassen habe, habe er über Leichen klettern müssen. Mindestens 70 Menschen sterben.

„Es war ein toller Abend, eine Superstimmung, doch dann schlug alles in reinen Horror um“, berichtet die Konzertbesucherin Stéphanie zitternd und unter Tränen, als sie am frühen Samstagmorgen unweit der Pariser Place de la République von zwei Rettungssanitätern versorgt wird. Die Studentin steht unter einem schweren Schock, doch verletzt ist sie nicht. Vor allem aber hat sie einen sehr guten Schutzengel gehabt. Sie lebt.

„Charlie Hebdo“ liegt nicht weit entfernt

Das „Bataclan“ ist ein beliebter Ort für Musikkonzerte. Es liegt im 10. Arrondissement der französischen Hauptstadt – nur drei Straßenblocks entfernt von dem Ort, an dem vor zehn Monaten Terroristen ein Massaker in der Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ anrichteten. An diesem Abend tritt dort die amerikanische Rockband „Eagles of Death Metal“ auf. Der Journalist Julien Pierce ist dort, als die ersten Schüsse fallen. Mehrere sehr junge, unmaskierte Täter seien in den Saal gekommen und hätten mit Sturmgewehren des Typs Kalaschnikow blindwütig in die Menge gefeuert, berichtet später er auf der Internetseite des Rundfunksenders Europe 1. „Überall lagen Leichen“, sagte er.

„Die Attentäter luden drei Mal nach“

Ein anderer Konzertbesucher sagt, er habe drei Männer in schwarzer Kleidung gesehen, die mit Schnellfeuergewehren bewaffnet gewesen seien. Einer von ihnen habe das Feuer in die Menge eröffnet. Dann seien die Leute umgefallen wie Dominosteine.

Weiter erzählt der Journalist Pierce: „Das Ganze hat 10, 15 Minuten gedauert. Das war von extremer Gewalt. Es gab Panik. Alle sind Richtung Bühne gerannt. Die Attentäter hatten Zeit, mindestens drei Mal nachzuladen. Sie waren nicht maskiert. Sie traten sehr beherrscht auf. Sie waren sehr jung.“

Pierre Janaszak, ebenfalls ein Journalist, der während des Anschlags im Saal ist, schildert in der Nacht nach den Ereignissen seine Eindrücke so: „Ich habe genau gehört, wie sie den Geiseln gesagt haben: ,Das ist die Schuld von Hollande. Das ist die Schuld eures Präsidenten. Er hätte nicht in Syrien eingreifen dürfen.’ Sie haben auch vom Irak gesprochen.“ Nach Angaben der Polizei töten sich drei der Angreifer dann selbst, indem sie ihre Sprengstoffgürtel zünden. Ein vierter Angreifer sei von der Polizei getötet worden. Die Gegend rund um das „Bataclan“ wird weiträumig abgeriegelt.

Attentäter schossen auf Cafébesucher

Was zu diesem Zeitpunkt keiner der rund 1500 Besucher im „Bataclan“ ahnt: Die Terroristen schlagen zeitgleich an sechs weiteren Stellen in Paris zu. Attentäter mit Sturmgewehren und Bomben greifen belebte Restaurants und Bars an, wo wegen der vergleichsweise milden Temperaturen zu Beginn des Wochenendes in Paris noch sehr viele Menschen draußen den Abend genießen. Etwa im Café „Le Carillon“, wo mindestens 14 Menschen sterben. Im Café „La Belle Équipe“ gibt es weitere 18 Tote.

Noch vor Mitternacht gibt es keine Zweifel mehr: Frankreich ist nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ Anfang Januar und dem Attentat auf ein Gasfabrik bei Lyon im Juni erneut zur Zielscheibe islamistischer Terroristen geworden. Während Krankenwagen durch die Stadt rasen, um die zahlreichen Verletzten auf die Krankenhäuser zu verteilen und eine Großfahndung nach möglichen weiteren Attentätern ausgelöst wird, ruft Staatschef Francois Hollande den Ausnahmestand aus. Er mobilisiert mehrere Einheiten der Armee zur Unterstützung von Polizei und Gendarmerie sowie noch in der Nacht verschärfte Grenzkontrollen. „Das ist ein Horror“, sagt ein fassungsloser Hollande in der Nacht.

Paris wirkt wie gelähmt

Am Samstagmorgen ist das Entsetzen groß, Paris wirkt wie gelähmt. Vor dem Morgengrauen heißt es aus dem Innenministerium, man gehe davon aus, dass alle an der Attentatsserie beteiligten Täter „neutralisiert“, also tot, seien. Aber die Pariser werden trotzdem aufgefordert, ihre Wohnungen vorerst nicht zu verlassen. Auch bleiben die Universitäten der Stadt geschlossen, Metro- und Busverkehr sind eingeschränkt und die an diesem Wochenende vorgesehenen Schulausflüge im ganzen Land abgesagt. „Krieg in Paris“, titeln französische Tageszeitungen am Morgen danach. (mit dpa/rtr)