Neue Aufgaben gesucht: FDP fordert EU-Reform der Mehrwertsteuer. In der Koalition herrscht weiter Streit um geplante Entlastungen.

Hamburg/Berlin. Zwei Jahre lang hatte die schwarz-gelbe Koalition ein Lesezeichen. Steuersenkung stand darauf. Dieses Lesezeichen war auf fast jeder Seite der Debatten, der Gipfel, der Parteitage von CDU, CSU und FDP zu sehen. Das Steuerthema ist seit Sonntagabend zumindest regierungsintern abgeräumt. Die Entlastungen - wenn auch weit von ursprünglichen Wünschen entfernt - sind beschlossen. Bis 2013 will man sich nicht mehr über Steuern streiten, und neue Senkungsvorstöße sind nicht geplant. Nur noch der Bundesrat soll überzeugt werden. Das Koalitionsbuch braucht also dringend ein neues Lesezeichen.

Doch auf der Suche nach neuen Themen, die nicht mit der Euro-Rettung zusammenhängen, tut sich die Koalition sichtlich schwer. Die Union will mit der Einführung einer verbindlichen Lohnuntergrenze punkten, die CSU will die Pkw-Maut in einen Regierungsbeschluss münden lassen. Und die FDP? Die im Koalitionsvertrag vereinbarte "verpflichtende" private Zusatzversicherung in der Pflege ist gescheitert. Wer sich zusätzlich versichern will, kann dies freiwillig tun. Nachforderungen werden die Liberalen auch hier nicht mehr stellen können. Ein Siegerthema muss her. Ein solches sollte eigentlich auch die Reform der Mehrwertsteuer werden. Von der einst geplanten Kommission, die sich des Themas annehmen sollte, ist bis heute nichts zu sehen.

Zuletzt ließ FDP-Generalsekretär Christian Lindner im Frühjahr die Union wissen, dass man eine Reform der Mehrwertsteuer bis zum Jahr 2013 nach wie vor für möglich und nötig halte. Danach geschah - nichts.

Doch die Mehrwertsteuer treibt die Koalition weiter um. Nur von einer rein deutschen Reform scheint man weniger zu halten als noch vor zwei Jahren. Der Vizefraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Volker Wissing, sagte dem Abendblatt: "Wir sollten auf europäischer Ebene eine Überarbeitung der Mehrwertsteuerrichtlinie erzielen. Die Bundesregierung sollte den Anstoß für eine Resystematisierung der Mehrwertsteuer in Europa geben." Den Versuch, zuerst das deutsche Mehrwertsteuersystem zu reformieren, lehnte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion ab. "Wir sind gut beraten, hierbei keine nationale Lösung, sondern eine europäische Lösung zu finden."

Es gebe bei der Mehrwertsteuer eine Großbaustelle, sagte er zur Begründung seines Vorstoßes. "Viele Dinge sind da aus dem System geraten. Wir haben es in Deutschland ständig mit Wettbewerbsnachteilen in grenznahen Räumen zu tun. Der Wettbewerb um möglichst viele Sondertatbestände muss ein Ende haben." Er sehe mit großer Sorge, "dass immer wieder neue Ausnahmen von uns verlangt werden". Jetzt wollten die Binnenschiffe einen verminderten Mehrwertsteuersatz haben, kritisierte Wissing.

+++ Steuerschätzer rechnen mit plus 40 Milliarden +++
+++ Steuersenkungen von schwarz-gelb droht das Aus +++

Andere Koalitionäre dachten gestern noch längst nicht an die Mehrwertsteuer. Denn auch am Tag zwei nach dem schwarz-gelben Beschlusspaket über Steuerentlastungen ab 2013 blieben die Fronten zwischen Regierung und Opposition verhärtet. Auffallend gereizt reagierten die Koalitionsspitzen auf das klare Nein der SPD zu einer möglichen Zustimmung der Länder im Bundesrat. Der Vorschlag, die Bürger in zwei Schritten 2013 und 2014 im Volumen von sechs Milliarden Euro zu entlasten, war am Montag auf Ablehnung bei den Sozialdemokraten gestoßen. Einen Teil der Entlastungen müssten die Länder mittragen. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier appellierte ans soziale Gewissen der Sozialdemokraten. Er sei überzeugt, dass sich die SPD-geführten Länder im Bundesrat "einer Lösung nicht verweigern, die dazu führt, dass die Grundfreibeträge in verfassungskonformer Weise erhöht werden". Das Ergebnis einer Verweigerung wäre nämlich, dass man über kurz oder lang "ein Verfassungsgerichtsurteil in dieser Frage" bekomme, sagte Altmaier weiter. Er gehe davon aus, dass die SPD-Länder diese Verantwortung nicht übernehmen wollten.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner verwies ebenso auf Karlsruhe und sagte, wie beim Hartz-IV-Urteil missachte Rot-Grün Mahnungen der Verfassungsrichter. "Nur wenn es in die Parteitaktik passt, dann entdecken SPD und Grüne plötzlich das Sparen. Ansonsten macht Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen und anderswo Schulden, bis die Verfassungsgerichte jaulen."

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der die SPD-geführten Länder koordiniert, bekräftigte die geplante Ablehnung im Bundesrat, "auch wenn der Bund mit Gegenleistungen locken sollte", sagte er der Zeitung "Die Welt". "Ein solches Geschacher tragen wir nicht mit."

Die Koalitionsbeschlüsse sorgen allerdings auch in den eigenen Koalitionsreihen für Unmut - vor allem der Kompromiss für die Pflegeversicherung. "Das, was den jüngeren Generationen versprochen wurde, wird nicht geliefert", kritisierte der Vorsitzende der jungen Unionsabgeordneten, Marco Wanderwitz (CDU), in der "Financial Times Deutschland". Damit werde der Koalitionsvertrag gebrochen. Um die Last nicht allein künftigen Generationen aufzubürden, müsse eine Rücklage gebildet werden - dieses Vorhaben hätten die Koalitionsspitzen jetzt fallen gelassen. "Da muss nachgebessert werden", verlangte Wanderwitz. Doch auf FDP-Seiten war gestern zu hören, dass man sich mit dem Ergebnis zufriedengeben wolle.