Gericht verurteilt die ehemalige Regierungschefin zu sieben Jahren Haft. EU droht Ukraine ernste Konsequenzen an.

Warschau/Kiew. Zwei Monate Gefängnis haben ihren Tribut gefordert. Julia Timoschenko sitzt von den Strapazen gezeichnet auf der Anklagebank. Ernst und äußerlich ruhig wartet sie in einem cremefarbenen Kleid auf den Richterspruch in Kiew. Richter Rodion Kirejew, 31, stottert sich durch den Urteilstext, wofür er fast vier Stunden braucht. Dann kommt endlich das Urteil: Wegen "bewusst verübter" Handlungen als Amtsträger, die "eindeutig dessen Rechte und Kompetenzen überschreiten" und staatlichen Interessen "erheblichen Schaden" zufügen, werde Julia Timoschenko zu sieben Jahren Haft verurteilt. Außerdem verbietet ihr der Richter, in den darauf folgenden drei Jahren Regierungsämter zu übernehmen. Umgerechnet 140 Millionen Euro "Schadenersatz" soll Timoschenko an den Staat bezahlen.

Konkret wird Julia Timoschenko die Schädigung ihres Landes durch Abschluss eines angeblich ungünstigen Erdgasvertrags mit Russland während der zweiten Gaskrise vorgeworfen. Anfang 2009 hatte der russische Erdgasmonopolist Gazprom die über die Ukraine in die EU-Staaten führenden Pipelines blockiert. In Südosteuropa kam es daraufhin zu erheblichen Schwierigkeiten in der Energieversorgung. Besorgte Anrufer aus Brüssel mahnten die damaligen Regierungschefs Putin und Timoschenko, sich schnell zu einigen. Als Timoschenko wenige Tage später den ihr nun zur Last gelegten Vertrag präsentierte, wurde sie vor allem von den Regierungschefs der EU dafür gefeiert, dass sie dank ihrer Kompromissbereitschaft den Gaskrieg beendet habe.

Scharfe internationale Kritik am Timoschenko-Urteil

Den Vorwurf, damit den Interessen ihres Landes geschadet zu haben, weist die ehemalige Ministerpräsidentin weit von sich. Ihr Verteidiger plädierte folglich auf unschuldig. Die Staatsanwaltschaft habe keinerlei Beweis für den Vorwurf erbracht, Timoschenko hätte damals auch niedrigere Preise für das russische Erdgas aushandeln können.

Als um 12.54 Uhr Ortszeit das Urteil verkündet wurde, hatten sich im überfüllten Gerichtssaal schon dramatische Szenen ereignet. Wie bereits zuvor widersetzte sich Timoschenko den Anweisungen des Richters und erhob sich nicht. Immer wieder hatte die Politikerin den Richter während des Prozesses als "williges Instrument der Machthaber" bezeichnet. Zu ihrer Unterstützung saß Timoschenkos Tochter Jewgenija Carr an ihrer Seite. Die erwachsene Frau ist mit einem britischen Musiker verheiratet und das einzige Kind der ukrainischen Politikerin. Auch Ehemann Alexander hält seiner Frau während des Prozesses die Hand, flüstert ihr zu, versucht sie aufzuheitern. Während die Angeklagte wie versteinert auf ihrer Bank sitzt, stehen die Richter und Anwälte hingegen vier Stunden stramm.

In der vierten Stunde jedoch, als die Verkündung des Urteils näher rückte, meldet sich die Angeklagte dann doch noch zu Wort. Timoschenko erhebt sich nervös, doch fest entschlossen, dem Land eine Botschaft zu übermitteln. Während der Richter weiterliest, spricht die zarte Blondine in die Kameras und zu den Bürgern der Ukraine: "Was mich betrifft: Seien Sie sicher, ich werde meinen Kampf keine Minute unterbrechen. Ich werde mit Ihnen sein, solange es nötig ist, und wir werden gemeinsam ein europäisches, starkes, demokratisches und freies Land aufbauen. Sie werden ein Leben in Gerechtigkeit und Wohlstand führen. Aber man muss noch darum kämpfen. Ich bin mit Ihnen, für immer. Ruhm der Ukraine!" Ihre Anhänger im Saal antworten ihr im Chor: "Ruhm den Helden!"

Kurz vor Schluss wendet sie sich ein zweites Mal an ihr Publikum, wieder begleitet von dem monotonen Murmeln des Richters. Sie warnt vor einer Rückkehr zu den sowjetischen Schauprozessen des Jahres 1937 und kündigt an, vor ein europäisches Gericht zu ziehen. "Es gibt jetzt in diesem Land keine Rechtsstaatlichkeit mehr!" Und dann fleht sie in Richtung ihrer Fans: "Haltet zusammen! Seid stark! Ruhm der Ukraine!" Und wieder ertönt die Antwort: "Ruhm den Helden!"

Vor dem Gerichtsgebäude kam es zu heftigen Rangeleien zwischen Demonstranten und den ukrainischen Sicherheitskräften. Etwa 1000 Milizionäre hatte das Innenministerium abgestellt, die Zahl der Demonstranten wurde auf mindestens 2000 geschätzt.

Die Europäische Union drohte der Ukraine mit weitreichenden Konsequenzen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach von einem Rückschlag für den Rechtsstaat. "Dieser Befund kann nicht ohne Folgen für die Beziehungen Deutschlands und der EU mit der Ukraine bleiben", sagte Westerwelle in Berlin. Die EU kündigte an, ihre Beziehungen zur Ukraine zu überdenken. Dazu gehöre auch der Abschluss eines beinahe fertig ausgehandelten Assoziierungsabkommens, sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten, Catherine Ashton in Brüssel.

Noch vor zwei Wochen hatte Präsident Wiktor Janukowitsch gegenüber EU-Politikern angedeutet, man werde eine gute Lösung im Fall Timoschenko finden.