Weiterhin gibt es Schießereien in der Stadt. Abseits der Kämpfe beginnt die Debatte um eine politische Ordnung für ein Libyen ohne Gaddafi.

Tripolis/Nairobi/Paris. Einen Tag nach der Erstürmung von Muammar al-Gaddafis Machtzentrale hat es in der libyschen Hauptstadt Tripolis weiter Schießereien gegeben. Rebellen und Anhänger Gaddafis lieferten sich Kämpfe nahe des internationalen Flughafens sowie im südwestlichen Vorort Al-Hadaba al-Chadra, wie die Aufständischen mitteilten. Schusswechsel gebe es außerdem im Süden der Stadt um den Militärkomplex Bab al-Asisija, wo sich auch Gaddafis Residenz befindet. Rebellen hatten die Machtzentrale des langjährigen Diktators am Dienstag erobert.

Trotz des Siegeszuges der libyschen Rebellen in der Hauptstadt Tripolis hat Diktator al-Gaddafi nach Ansicht von Kremlchef Dmitri Medwedew weiter Einfluss und militärische Macht. „Tatsächlich gibt es in dem Land eine Doppelherrschaft“, sagte Medwedew nach einem Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il in der sibirischen Stadt Ulan Ude. Das militärische Potenzial von Gaddafis Anhängern sei nicht erschöpft. Die Aufständischen müssten „genügend Willensstärke“ zeigen, um Libyen mit Hilfe „demokratischer Prinzipien“ zu vereinen, forderte Medwedew nach Angaben der Agentur Interfax. In diesem Fall sei die Uno-Vetomacht Russland zur Aufnahme offizieller Beziehungen bereit. „Derzeit hat sich an der Situation nichts geändert“, sagte der Präsident. Moskau werde die Entwicklung in dem nordafrikanischen Land genau beobachten.

Der libysche Rebellenführer Mahmud Dschibril kommt heute zu einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nach Paris. Das Treffen finde am Abend statt, erklärte Sarkozys Büro. Darin werde es um die Lage in Libyen und die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft gehen, den politischen Übergang zu einem freien und demokratischen Libyen zu unterstützen. Frankreich hatte Dschibrils Übergangsregierung als erstes Land anerkannt und war eine der treibenden Kräfte bei den Nato-Luftangriffen gegen die Truppen von Machthaber Gaddafi.

So freudig viele Libyer die Einnahme des Machtzentrums Gaddafis durch die Rebellen begrüßen, so kalt reagiert bisher das restliche Afrika. Zu Gaddafi, dessen Verbleib derzeit unklar ist, hatten viele Regierungen ein gespaltenes Verhältnis: Hinter vorgehaltener Hand mokierte man sich über die Schrullen des selbsternannten „Königs der afrikanischen Könige“. Doch ansonsten war Gaddafi in Afrika ein stets gerngesehener Staatsgast - auch deshalb, weil er meist mit prall gefüllten Geldkoffern kam. Kenias Vize-Außenminister Richard Onyonka nannte den Siegestag der libyschen Rebellen einen traurigen Tag für Afrika. „Kenianer haben Gaddafi als jemanden erlebt, der viele gute Dinge getan hat“, erklärte Onyonka. „Er hat eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Apartheid gespielt und im Kampf gegen den Kolonialismus im südlichen Afrika.“

Doch tatsächlich hatte Gaddafi nicht nur im Kampf gegen Kolonialisten, sondern auch bei vielen afrikanischen Bürgerkriegen seine Finger im Spiel. Den Darfur-Konflikt etwa hielt er mit Waffenlieferungen lange Zeit am laufen. In der Zentralafrikanischen Republik stützte er mit libyschen Truppen ebenso Diktatoren wie im Kongo. Mit seinen Ölmillionen soll Gaddafi sogar den Aufstieg von Südafrikas Präsident Jacob Zuma mitfinanziert haben, was dieser bestreitet. Zuma gehörte zu den letzten Unterstützern Gaddafis. Clayson Monyela, Sprecher des südafrikanischen Außenministeriums, gibt sich in der Stunde des wahrscheinlichen Niedergangs Gaddafis entsprechend vorsichtig. „Was uns wichtig ist, ist eine Übergangsregierung, die einen Dialog mit allen politischen Gruppen aufnimmt“, betont Monyela. „Die Übergangsregierung muss sich umgehend um die nationale Versöhnung, den Wiederaufbau und die öffentliche Ordnung kümmern.“ Südafrika sei bereit, dabei zu helfen.

So vorsichtig wie die einzelnen Regierungschefs ist auch die Afrikanische Union, der außer Marokko alle afrikanischen Staaten angehören. Eine eilig einberufene Sondersitzung des Friedens- und Sicherheitsrates der Organisation am Montagabend konnte sich nicht auf eine Stellungnahme einigen. Man habe sich aber ausführlich über die Entwicklungen in Libyen ausgetauscht, erklärte ein Sprecher danach. Für Freitag hat die Afrikanische Union zu einem Sondergipfel geladen. Womöglich hoffen die afrikanischen Diplomaten, dass die Lage bis dahin so eindeutig ist, dass auch Afrikas Staats- und Regierungschefs die neue Rebellenregierung anerkennen können. (rtr/dpa/APD)