Der Professor aus Heidelberg fordert: „Ein Viertel für den Staat – drei Viertel für mich.“ Kirchhofs Steuermodell rüttelt die Politik wach.

Berlin/Heidelberg. Als der „Professor aus Heidelberg“ musste er sich verhöhnen lassen. Immerhin der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) adelte den klugen Steuerrechtler Paul Kirchhof mit dieser Attacke, weil Kirchhof im Bundestagswahlkampf 2005 Mitglied im Schattenkabinett von Angela Merkel (CDU) war. Kirchhof wollte das Steuerrecht radikal vereinfachen, damit die Steuererklärung eines Normalbürgers – ganz nach den Vorstellungen des früheren CDU-Finanzfachmannes Friedrich Merz – auf einen Bierdeckel passt. Mit dem Bierdeckel wurde es nichts. Minister ist Kirchhof auch nicht geworden, auch wenn Merkel ins Kanzleramt einzog. Doch der Professor aus Heidelberg hat die Republik in diesen Tagen mit seinem Steuerkonzept aufgerüttelt.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Kirchhof hält eine baldige Umsetzung für wahrscheinlich. „Ich bin jetzt optimistisch“, sagte er im Deutschlandfunk. Es müsse zunächst gelingen, die Bevölkerung und die Medien von den Vorteilen des Konzepts zu überzeugen. Dann werde auch die Politik „auf dieses Pferd setzen“, sagte Kirchhof.

Das Steuermodell findet die Unterstützung der FDP. Fraktionsvize Volker Wissing sagte „Handelsblatt Online“, „im Kern“ stimmten die Vorschläge mit den Überlegungen seiner Partei überein. Seine Partei „würde einen Gesetzentwurf der Union zur Umsetzung des Steuerkonzeptes von Herrn Kirchhof konstruktiv begleiten“, sagte der Vorsitzende des Finanzausschusses. Auch Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hatte erklärt, es spreche „überhaupt nichts dagegen“, Kirchhofs Modell aufzugreifen. Ein überraschender Zuspruch nach all den Attacken, die sich Kirchhof gefallen lassen musste. Im vergangenen Jahr hatte er in exklusivem Kreis in Hamburg für seine Pläne geworben und das deutsche Steuerrecht mit vielen Beispielen noch einmal ad absurdum geführt.

Kirchhof hatte am Montagabend in Karlsruhe seinen Entwurf für ein Bundessteuergesetzbuch vorgestellt. Darin würden die bisherigen rund 30.000 Paragrafen des gesamten deutschen Steuerrechts auf 146 allgemein verständliche Paragrafen reduziert. Kirchhof sprach von einer „fundamentalen Vereinfachung“. Der Reformvorschlag kenne statt bisher 32 Bundessteuern nur noch 4 Steuerarten – nämlich Einkommen-, Umsatz-, Erbschaft- und Verbrauchssteuer. Ziel sei „nicht Steuerentlastung und auch nicht Steuererhöhung“, sagte Kirchhof. Sein Modell wirke „aufkommensneutral“ – der Staat bekomme die gleiche Summe. Diese Gesamtlast sei aber gerechter auf alle Schultern verteilt, sodass das Konzept sozial ausgewogen sei.

Bei der Einkommensteuer sei unabhängig von der Höhe des Lohns ein einheitlicher Steuersatz von 25 Prozent vorgesehen. Zugleich sollten alle 534 Ausnahmetatbestände und Steuerprivilegien abgeschafft werden. Das Motto für jeden Steuerpflichtigen solle lauten: „Ein Viertel für den Staat – drei Viertel für mich.“

Der Entwurf sei in neun Jahren in Zusammenarbeit mit den sechs Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Sachsen entwickelt worden – und zwar jeweils mit den „Abteilungsleitern Steuern“ dieser Länder. Das Konzept sei auch mit vielen Steuerpraktikern diskutiert und erprobt worden, jedoch „in niemandes Auftrag“ entstanden. Es sei ein „Angebot an die Politik“, sagte der 68-jährige Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg.

Ein ähnlicher Vorschlag des parteilosen Kirchhof war 2005 im Wahlkampf von der SPD als unsozial verurteilt worden und auch innerhalb der Union umstritten. Kirchhof sieht jetzt wesentlich bessere Chancen dafür, dass sein nunmehr noch radikaleres und ausgefeilteres Konzept politisch umgesetzt wird. „Damals war Wahlkampf“, sagte er. Dabei sei der Wahrheitsgehalt von Informationen dramatisch verrückt worden. Jetzt könne man „gelassener“ diskutieren. Kirchhof sagte zu seinem Ausflug in die Politik im Jahr 2005: „Ich möchte davon keinen Tag missen, aber auch keinen Tag hinzufügen.“

Kirchhof war von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht. Damals habe er das Steuerrecht „nur punktuell korrigieren“ dürfen, aber verspürt, dass es insgesamt reformiert werden müsse. „Heute bestätigt der Bürger mit seiner Unterschrift die Richtigkeit einer Steuererklärung, die er nicht verstanden hat und nicht verstehen kann“, bemängelte Kirchhof. Mit dem nun vorgelegten „großen Wurf“ werde das Steuerrecht wieder für jeden verständlich, gab sich der Finanzexperte überzeugt.

Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß äußerte sich skeptisch. „Das ist nichts Neues. Nur der zehnte Aufguss von Kirchhof“, sagte er. Wer alles in 146 Paragrafen unterbringen wolle, müsse überdies Rechte des Parlaments einschränken und Entscheidungsbefugnisse auf die Exekutive verlagern. „Unter verfassungsrechtlichen Aspekten halte ich das für fragwürdig.“ Verlierer einer Reform wären voraussichtlich geringverdienende Steuerpflichtige mit hohen Abzügen, etwa Pendler und Nachtarbeiter. (abendblatt.de/dapd/dpa)