Viele Tote bei Flüchtlingsdrama und Berichte über ausländische Söldner in Libyen. Die Rebellen werden unruhig und verlieren an Boden.

Tripolis/Brüssel. Die Gegner des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben die Strategie der Nato in dem Konflikt scharf kritisiert. „Leider hat uns die Nato bisher enttäuscht“, sagte der Militärführer der Rebellen, General Abdulfattah Junis, auf einer Pressekonferenz in der ostlibyschen Metropole Bengasi. Die Truppen Gaddafis drängten indes die Aufständischen am Mittwoch vollständig aus dem Öl-Hafen Brega zurück. Im Brüsseler Hauptquartier der Allianz stießen die Vorwürfe auf Unverständnis. Die Nato bombardiere oftmals zu spät und gehe nicht entschieden genug vor, sagte Junis. Von einem Kontakt der Rebellen zur Nato bis zum Luftangriff dauere es bis zu acht Stunden. „Wird dann der betreffende Gaddafi-Trupp auf seinem Vormarsch warten, bis er aus der Luft bombardiert wird? Natürlich nicht!“, ereiferte sich Junis. „Bedauerlicherweise lässt uns die Nato hängen.“

Ein Offizieller des Bündnisses, der namentlich nicht genannt werden wollte, widersprach dieser Darstellung. „Die Intensität der Nato-Operationen lässt nicht nach“, sagte er. Seit der Übernahme des Kommandos über die Luftoperationen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen am Donnerstag vor einer Woche habe das Bündnis „über 330 Kampfeinsätze“ abgewickelt. Bereits zuvor hatte die Nato-Führung darauf hingewiesen, dass gezielte Luftangriffe, etwa bei der von Gaddafi-Truppen belagerten Stadt Misrata, Piloten und Einsatzplaner vor größte Probleme stellten. Gaddafi missbrauche inzwischen die Zivilbevölkerung als „Schutzschild“, um schwere Waffen, wie beispielsweise Panzer und Schützenpanzer, vor Angriffen zu schützen.

In Misrata, 210 Kilometer östlich von Bengasi, lebt die Bevölkerung seit Wochen ohne Strom und Wasser unter Beschuss der Gaddafi-Artillerie. Die Truppen des Regimes verschonen dort laut Berichten mit ihren Angriffen selbst die Krankenhäuser nicht. Junis zufolge hätte die Allianz mit ihren Bombardements den Belagerungsring längst aufbrechen können. „Wenn die Nato noch eine Woche wartet, ist Misrata erledigt“, sagte der Rebellen-Militär.

Rebellen verweigern türkische Hilfsgüter

Eine Menschenmenge im Hafen von Bengasi hat indes die Landung eines türkischen Schiffes mit Hilfsgütern verhindert, wie eine Sprecherin des türkischen Roten Halbmondes in Ankara bestätigte. Die Gaddafi-Gegner waren darüber empört, dass sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der vergangenen Woche ausdrücklich gegen Waffenlieferungen an die Rebellen ausgesprochen hatte. Militärführer Junis teilte mit, dass die Aufständischen inzwischen „leichte Waffen“ von nicht näher genannten „befreundeten Staaten“ erhalten haben.

Nach heftigem Artilleriebeschuss der Gaddafi-Streitkräfte mussten sich Verbände der Regimegegner in der Nacht zum Mittwoch vollständig aus dem Öl-Hafen Brega zurückziehen. Später kreisten über dem Kampfgebiet Nato-Flugzeuge, die aber nicht eingriffen, berichtete ein dpa-Korrespondent aus Adschdabija. In den 48 Stunden zuvor waren insgesamt fünf Rebellen-Kämpfer getötet und 16 weitere verletzt worden, sagten ihm Krankenhausärzte in der Stadt 80 Kilometer östlich von Brega.

250 Tote bei Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Bei schwerem Sturm sind bis zu 250 Flüchtlinge auf dem Weg von Libyen zur italienischen Insel Lampedusa ums Leben gekommen. Das gekenterte Fischerboot war in der Nacht zum Mittwoch mit rund 300 Menschen an Bord unterwegs – darunter auch Kleinkinder, wie die „International Organization for Migration“ (IOM) mitteilte. Die Rettungskräfte waren zunächst von 200 Insassen ausgegangen. 20 Leichen wurden geborgen. 48 Menschen überlebten. Bei den Opfern handelt es sich nach Informationen des Uno-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) um Afrikaner aus Eritrea und Somalia sowie aus Schwarzafrika und der Elfenbeinküste, die vor zwei oder drei Tagen von Libyen aus in See gestochen waren. Das nach Angaben der Behörden 13 Meter lange Fischerboot war überladen. Die Überfahrt übers Mittelmeer gilt als extrem gefährlich. Oft sind die Boote wenig seetauglich. Viele der Afrikaner können nicht schwimmen.

Angesichts des Flüchtlingsstroms drängt die EU-Kommission die Mitgliedstaaten, Kontingente von Migranten aufzunehmen. „Solidarität mit den unter Druck stehenden Nachbarländern zu zeigen und Flüchtlinge aufzunehmen, trägt zum Dialog und zur Kooperation bei“, schrieb EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström in der Einladung zum nächsten Treffen der EU-Innenminister am kommenden Montag in Luxemburg.

In dem Brief, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, begrüßt die für Flüchtlingsfragen zuständige Kommissarin, dass es „weitergehende Überlegungen in den EU-Hauptstädten“ gebe. Malmström schlägt vor, die in Italien und Malta gestrandeten Flüchtlinge in der EU zu verteilen.

Der Vorschlag dürfte zu erheblichem Streit führen. Deutschland und Österreich lehnen das Vorhaben bislang ab. Sie argumentieren, dass die meisten Flüchtlinge aus Tunesien Wirtschaftsflüchtlinge seien und keinen Schutz benötigten. Die EU-Richtlinie zur Aufteilung von Flüchtlingen gelte aber nur für schutzbedürftige Asylbewerber.

Berichte über weißrussische Söldner bei Gaddafi

Nach einem Medienbericht bezahlt Libyens Machthaber Gaddafi Hunderte frühere Elitesoldaten aus Weißrussland, die ihn im Kampf gegen die Aufständischen und die Nato unterstützen. Sie verdienten bis zu 3000 Dollar (gut 2100 Euro) im Monat und seien für die Organisation und die Ausbildung von Gaddafis Kämpfern zuständig, berichtete die russische Tageszeitung „Komsomolskaja Prawda“ unter Berufung auf Quellen aus dem weißrussischen Generalstab. Neben den ehemaligen Armeeangehörigen seien auch aktive Mitarbeiter des weißrussischen Militärgeheimdiensts vor Ort. Die Ausrüstung der libyschen Armee stammt zu großen Teilen aus sowjetischer Produktion. Der Sprecher des weißrussischen Verteidigungsministeriums bezeichnete den Bericht der „Komsomolskaja Prawda“ gegenüber der Nachrichtenagentur AFP als „Provokation“. Die Informationen entsprächen „nicht der Realität“, sagte er.

Hat Algerien Gaddafi geholfen?

Die Aufständischen in Libyen werfen der algerischen Regierung vor, sie habe Gaddafi bei der Rekrutierung von Söldnern geholfen. Ein libyscher Unterstützer der Aufständischen, der in der Schweiz lebt, legte eine Liste von Flügen ohne Flugnummer vor, mit denen vom 18. bis 20. Februar – in den Tagen des Aufstandes – Söldner verschiedener Nationalitäten nach Libyen gebracht worden sein sollen. Die Algerier hätten sowohl Flugzeuge der Luftwaffe als auch der staatlichen Fluggesellschaft eingesetzt, hieß es. Später sei auch eine private tunesische Fluggesellschaft an dem Söldner-Transport beteiligt gewesen, sagte der Sprecher der Libyschen Menschenrechtsorganisation. Seit Beginn der Kämpfe im Februar haben die Aufständischen immer wieder Afrikaner festgenommen, die für die Truppen des Regimes gekämpft hatten. Diese gaben an, ihnen sei Geld versprochen worden, ein Job oder die libysche Staatsbürgerschaft. Medienberichte aus Algerien, wonach Al-Qaida-Terroristen in Libyen Raketen und andere Waffen erbeutet und nach Mali gebracht haben soll, dementierten die Rebellen.

Russland warnt vor direkter Militärhilfe

Russland hat unterdessen die Nato vor einer direkten Militärhilfe an die Rebellen gewarnt. „Das wäre ein Bruch der Uno-Resolution“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax. Der Beschluss des Weltsicherheitsrates erlaube nicht automatisch eine „Einmischung in den Bürgerkrieg“, sagte Lawrow. Kremlchef Dmitri Medwedew betonte erneut, dass Russland sich im Libyen-Konflikt nicht militärisch engagieren werde. „Wir werden an keinen Operationen teilnehmen und rufen alle Seiten zu Verhandlungen auf“, sagte der russische Präsident. (abendblatt.de/dpa/dapd/AFP/rtr)