Stuttgart 21, Atomenergie, Bildung: Auf die Grünen warten im Ländle viele Probleme. Die Öko-Partei muss nun Taten folgen lassen.

Stuttgart/Berlin. Der Aufprall mit der Wirklichkeit kommt schneller als erwartet. Nur drei Stunden ist die Nachricht alt, dass in Baden-Württemberg bald der erste grüne Ministerpräsident regieren wird, als Hunderte Feiernde den Stuttgarter Schlossplatz verlassen und in Richtung Bahnhof ziehen. Es ist nur ein Katzensprung zu dem Gelände, auf dem einmal das milliardenschwere und umstrittene Projekt Stuttgart 21 entstehen soll. Monatelang hat der Bau nicht nur das Ländle, sondern auch die Republik gespaltet. Während die bisherige schwarz-gelbe Landesregierung unter Stefan Mappus (CDU) und auch die SPD für das Bahnhofsprojekt waren, haben sich die Grünen dagegen positioniert. Wenn jetzt also die Öko-Partei das Ruder übernimmt, erwarten die Stuttgart-21-Gegner Taten statt Worte - und zwar sofort. Dutzende reißen noch in der Nacht die Bauzäune ein. Die Polizei muss die Versammlung auflösen.

Winfried Kretschmann, Landesvater in spe, dürfte klar geworden sein, wie hoch die Erwartungen an seine neue Regierung sind - vor allem im Fall von Stuttgart 21. Versprochen haben die Grünen einen Stresstest, der Leistungsfähigkeit und Kosten des Baus durchrechnen soll. Danach ist ein Volksentscheid geplant. Auch dafür hatte die Öko-Partei im Wahlkampf vehement getrommelt. Parteichef Cem Özdemir meldete gestern allerdings Zweifel an, ob eine Abstimmung überhaupt notwendig sei. Nach dem Stresstest könne "möglicherweise" ein Votum der Bürger stehen, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Also vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. In den Umfragen hatte noch im Winter eine Mehrheit den Bau befürwortet. Erst kurz vor der Wahl schienen die meisten wieder gegen das Projekt zu sein. Franz Untersteller, bisher Grünen-Fraktionsvize im Stuttgarter Landtag und als künftiger Umweltminister gehandelt, sagte dem Abendblatt: "Wir werden sehen, ob es abgesehen von einem Volksentscheid auch andere Möglichkeiten gibt, aus Stuttgart 21 auszusteigen, beispielsweise über die Finanzierungsfragen."

Die zweite große Baustelle für die Landesregierung ist das Thema Energie. Vier Atomkraftwerke stehen in Baden-Württemberg. Die SPD will die Meiler zu dem Zeitpunkt abschalten, der im rot-grünen Ausstiegsszenario von 2002 vereinbart wurde. Demnach dürften drei AKWs noch ein paar Jahre produzieren - das aber geht den Grünen nicht weit genug. Auch hier sind Wunsch und Wirklichkeit nicht so leicht zu vereinbaren: Der Energiekonzern EnBW, der die AKWs betreibt, gehört zu großen Teilen dem Land, wurde von Mappus aber nur auf Pump gekauft. Liegen die Meiler aber still, fließt keine Dividende. Damit müssten die Schulden anders finanziert werden.

Kretschmann wird eine Antwort darauf finden müssen, woher das Geld kommen soll - und bekommt dabei auch Druck von der Wirtschaft. "Ein Ausstieg aus der Atomkraft ist sinnvoll, der Energieumbau muss aber mit Augenmaß erfolgen", sagte der Vorsitzende des dortigen Landesverbandes der Industrie, Hans-Eberhard Koch, dem Abendblatt. "Baden-Württemberg ist ein Industrieland, die Förderung erneuerbarer Energien darf daher nicht zu höheren Energiepreisen führen oder die Versorgungssicherheit gefährden."

Überhaupt, die Wirtschaft. Bislang gilt sie nicht als Hauptklientel der Öko-Partei und hat jetzt einige Bauchschmerzen: "Bei den Unternehmern im Land herrscht nun Skepsis, ob die traditionell guten Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik bestehen bleiben", berichtet Koch. Und noch eine Forderung hat die Industrie: Studiengebühren müssen bleiben und der Ausbau der Unis gerade bei den Ingenieurswissenschaften soll forciert werden. Dabei haben sich Grüne und SPD im Bildungsbereich einige andere Projekte vorgenommen. Etwa die Studiengebühren abzuschaffen. Dazu wollen beide die Ganztagsschulen ausbauen, die Sozialdemokraten dazu das dreigliedrige Schulsystem aufweichen. Vielleicht wagt man hier zunächst den Blick nach Hamburg: Die Schulreform hatte zu massiven Protesten geführt und auch den Grünen politisch geschadet.

Fest steht: Leicht wird das Regieren im Ländle nicht werden. "Wir haben eine Politik des Gehörtwerdens versprochen und dieses Versprechen werden wir auch einlösen", sagt der Landes-Grüne Untersteller. Die Wähler werden in jedem Fall ganz genau hinschauen. Wie wichtig ihnen Taten sind, haben siein der Wahlnacht bereits bewiesen.