Der Aufstand gegen den libyschen Machthaber Gaddafi nähert sich Tripolis.. Die EU beschließt Sanktionen, die USA gruppieren Streitkräfte um.

Tripolis. Die Luft für den libyschen Machthaber Muammar Gaddafi wird dünner: Der Aufstand nähert sich der Hauptstadt Tripolis. In der Hafenstadt Misrata, rund 200 Kilometer östlich des Regierungssitzes, schossen Rebellen nach Angaben eines Zeugen am Montag ein Kampfflugzeug ab. Auch in Sawija, nur 50 Kilometer westlich der Hauptstadt, bereiteten sich Rebellen darauf vor, den von Gaddafi-loyalen Soldaten eingekreisten Ort zu verteidigen. Die USA begannen mit der Umgruppierung ihrer Luft- und Seestreitkräfte vor dem nordafrikanischen Land. Damit wollten sich die USA Optionen offenhalten und flexibel reagieren können, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Im europäischen Genf berieten die Vertreter wichtiger Militärmächte Sanktionen gegen die Regierung von Gaddafi. Dazu gehörte eine Flugverbotszone, um Demonstranten vor Angriffen aus der Luft zu schützen. Großbritanniens Premierminister David Cameron deutete Unterstützung für den Plan an.

US-Außenministerin Hillary Clinton warf Gaddafi vor, Söldner und Schläger gegen friedliche Demonstranten eingesetzt zu haben und verlangte seinen Rücktritt. Sogar das Emirat Katar forderte in einem seltenen Aufruf eines arabischen Landes an Gaddafi seinen Rückzug. „Es ist nicht zu spät für eine mutige Entscheidung“, sagte Ministerpräsident Scheich Hamad bin Dschassim al-Thani dem Sender Al-Dschasira.

In Misrata, der drittgrößten Stadt des Landes, wurde um den Militärflughafen gekämpft. Die Aufständischen hielten einen großen Teil des Geländes besetzt, wie ein Zeuge Reuters per Telefon berichtete. Das Munitionsdepot sei in ihrer Hand. Ein Kampfflugzeug, das den örtlichen Radio-Sender unter Feuer genommen habe, sei abgeschossen worden, seine Besatzung in Hand der Rebellen.

In Sawija, dem Standort einer bedeutenden Raffinerie, erwarteten Aufständische den Angriff von rund 2000 Gaddafi-Anhängern. „Wir werden unser bestes geben, um sie zurückzuschlagen“, sagte ein ehemaliger Polizeimajor, der auf die Seite der Rebellen gewechselt war. Auch in Tripolis organisierte sich der Protest. Gaddafi-Gegner errichteten in einzelnen Stadtteilen Barrikaden. Anhänger des Machthabers versuchten die Protestler mit Schüssen in die Luft zu verscheuchen.

In den von Aufständischen kontrollierten östlichen Landesteilen zeichneten sich nach dem Abflauen der Kämpfe Versorgungsprobleme ab. Innerhalb von drei Wochen könnten Lebensmittel und Medikamente knapp werden, sagte der libysche Helfer Chalifa el-Faituri der Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Ärzte und Krankenschwestern. Frankreich kündigte Hilfslieferungen an. Am Montag sollten zwei Flugzeuge mit Ärzten, Krankenschwestern, und medizinischen Hilfsmitteln nach Benghasi fliegen.

Auch die Regierung Gaddafis will nach eigenen Angaben helfen. Ein Abgesandter werde nach Benghasi mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und medizinischer Ausrüstung reisen, sagte ein Regierungsmitarbeiter Reuters. Offenbar suchte Gaddafi den Kontakt zu den Rebellen im Osten des Landes. Er habe den Chef des Auslandsgeheimdienstes damit beauftragt, mit den Führern in den östlichen Regionen zu sprechen, berichtet der Sender Al Dschasira. Allerdings hatten Rebellen in Benghasi schon am Sonntag erklärt, mit Gaddafi werde nicht verhandelt. Gaddafi selbst hat bislang jeden freiwilligen Verzicht auf sein Regierungsamt abgelehnt. Ein Sprecher der US-Regierung sagte in Washington, der Gang ins Exil könnte eine Option für Gaddafi sein.

Nach den USA und den UN beschloss auch die Europäische Union Strafmaßnahmen und verhängte ein Waffenembargo gegen Libyen und ein Einreiseverbot für Regierungsmitglieder. Die EU beschloss gegen insgesamt 26 Personen ein Einreiseverbot sowie das Einfrieren von Vermögenswerten und ging damit über die UN-Sanktionen hinaus.

Wegen der anhaltenden Kämpfe setzten andere Staaten ihre Bemühungen um den Schutz ihrer Bürger fort. Am Montag wurden wieder Deutsche aus dem Land geholt, nach Angaben des Auswärtigen Amtes, hielten sich noch 36 Bundesbürger in Tripolis und 15 in anderen Landesteilen auf. China, Südkorea und Indien sandten Kriegsschiffe ins Mittelmeer, um ihre Staatsbürger aus dem Kampfgebiet zu holen.

In Libyen sind bislang über tausend Menschen bei den Kämpfen gegen die Gaddafi-Regierung getötet worden. Damit ist der Kampf gegen den seit über 40 Jahren herrschenden ehemaligen Armee-Obersten der opferreichste unter den Revolten der nordafrikanischen und Golf-Staaten. Staatsanwälte des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kündigten an, voraussichtlich in ein paar Tagen Vorermittlungen zum Gewaltausbruch in Libyen abzuschließen. Gaddafi hatte versucht, die Revolten mit Hilfe des Militärs niederzuschlagen.

Gaddafis Krankenschwester geflohen

Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi muss nun auch auf die Pflege durch seine bevorzugte Krankenschwester verzichten: Die von US-Diplomaten in WikiLeaks-Dokumenten als „üppige“ blonde Frau beschriebene Galyna Kolotnyzka floh vor den Unruhen in ihre ukrainische Heimat. Die Frau verschanzte sich am Montag in der Wohnung ihrer Mutter in einer Vorstadt von Kiew, wie ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Kolotnyzka war am Sonntag gemeinsam mit anderen ukrainischen Staatsbürgern aus Libyen ausgeflogen worden.

Die Krankenschwester hatte vor neun Jahren einen Job in einem libyschen Krankenhaus angenommen, später sollte sie sich exklusiv um Gaddafis gesundheitliches Wohl kümmern. Die Frau war über die Enthüllungsplattform WikiLeaks bekannt geworden, die aus Depeschen von US-Diplomaten zitiert hatte. Demnach ging Gaddafi, der derzeit trotz heftiger Proteste in seinem Land brutal an der Macht festhält, offenbar nie ohne Kolotnyzka auf Reisen.

Kolotnyzkas Tochter sagte am Montag vor Journalisten, ihre Mutter sei müde. „Lasst ihr etwas Zeit zum Erholen“, bat Tatjana Kolotnyzka. Die Mutter Irina Kolotnyzka sagte der ukrainischen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“, dass die Krankenschwester nicht nach Libyen zurückkehren werde. Den Journalisten warf sie vor, ihre Tochter als „irgendeine Art von Liebhaberin Gaddafis“ dargestellt zu haben. „Geht zur Hölle“, rief sie dem Bericht zufolge den Reportern der „Komsomolskaja Prawda“ zu.

Unterdessen bemüht sich die Bundesregierung, die noch verbliebenen 86 Bundesbürger aus Libyen herauszuholen. Es seien noch 38 Deutsche in der Hauptstadt Tripolis und weitere 48 im Landesinneren, sagte Außenamtssprecher Andreas Peschke. Botschaft und Krisenstab prüften mit Hochdruck, wie man ihnen beim Verlassen des Landes helfen könne. „Da werden alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen, der Landweg, der Luftweg und der Seeweg.“

Am Sonnabend hatte die Bundeswehr mit zwei Transall-Maschinen Dutzende Menschen aus einem Wüstencamp ausgeflogen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes brachten sie 132 Ausländer in Sicherheit, darunter Dutzende Deutsche und EU-Bürger. Regierungssprecher Steffen Seibert dankte ausdrücklich den britischen Partnern für die Zusammenarbeit bei Evakuierungsaktionen am Wochenende. Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte, Libyens Machthaber Gaddafi müsse sofort abtreten. „Er sollte die Zeichen der Zeit erkennen und Libyen, seinem Volk, durch seinen möglichst sofortigen Rücktritt und Rückzug einen Weg in eine freie und friedliche Zukunft eröffnen“, sagte Seibert. „Die Gewalt gegen die libysche Bevölkerung muss ein Ende haben.“

Nach den Vereinten Nationen will auch die EU noch am heutigen Montag Sanktionen gegen das libysche Regime verhängen. „Wir erwarten heute eine Entscheidung des EU-Rates über restriktive Maßnahmen“, sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. Damit werde die Uno-Resolution umgesetzt. Zu den Sanktionen gehörten daher Einreiseverbote, Kontensperrung und ein Waffenembargo. Darüber hinaus werde die EU aber auch ein Verbot für Handel mit Polizeiausrüstung beschließen. „Die Maßnahmen richten sich gegen General Gaddafi, seine Familie und die Mitglieder seines engsten Kreises“, sagte die Sprecherin. (AFP/dpa/rtr/abendblatt.de)