Oppositionsführer el-Baradei fordert Mubarak zum Verlassen des Landes auf. Reiseveranstalter fliegen keine Urlauber mehr in die Krisenregion.

Kairo/Berlin. Die Ägypter stehen gegen ihren Präsidenten auf: Mit ihrem „Marsch der Millionen“ wollen die Demonstranten in Kairo das Ende des 30 Jahre währenden Regimes von Husni Mubarak erzwingen. Nach Informationen des Senders al-Dschasira waren am Nachmittag bis zu zwei Millionen Ägypter auf den Straßen der Hauptstadt. Der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei hat Mubarak aufgefordert, das Land zu verlassen. Nur dann könne ein Dialog mit der Regierung begonnen werden, sagte el-Baradei dem Fernsehsender al-Arabija.

Angesichts der anhaltenden Unruhen rät die Bundesregierung jetzt dringend von Reisen nach ganz Ägypten ab. Das schließe ausdrücklich auch die Touristengebiete am Roten Meer mit ein, sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Die Entwicklung in Ägypten sei schwer vorhersehbar, auch wenn die Lage in den Urlaubsregionen derzeit ruhig sei. Nach einem Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik könne es auch dort zu Versorgungsengpässen kommen. Bei dem Hinweis handelt es sich nicht um eine formale Reisewarnung, in deren Folge deutsche Staatsbürger zur Ausreise aufgefordert und in Sicherheit gebracht werden müssten, betonte eine Sprecherin des Ministeriums. Vielmehr sei dies eine nochmalige „Anpassung der Reisehinweise“. Die Regionen am Roten Meer um Scharm el Scheich und Hurghada sind bei deutschen Urlaubern beliebt.

Die Reisebranche reagiert auf die kritische Sicherheitslage in Ägypten und bringt bis Mitte Februar keine Urlauber mehr in die Krisenregion. Wie der Deutsche Reiseverband (DRV) am Dienstag in Berlin mitteilte, haben viele Veranstalter bereits bestehende Verträge mit Kunden einseitig gekündigt. Umbuchungen seien bei vielen Reiseveranstaltern bis Ende Februar möglich.

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Chaos am Flughafen Kairo

Touristen und Einheimische wollten Kairo möglichst rasch verlassen. Auf dem internationalen Flughafen saßen noch rund 4500 Menschen fest und warteten auf eine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Ein Flughafensprecher teilte mit, 18 Charterflüge mit mehr als 1500 Ausländern an Bord hätten Kairo am Morgen in Richtung Europa verlassen. Die ägyptische Fluggesellschaft EgyptAir hat rund 75 Prozent ihrer Flüge abgesagt, weil sie wegen der Ausgehverbote und der Straßensperren in Kairo nicht das notwendige Personal zusammenbekommt.

„Die Terminals sind voller panischer Menschen. Das Bodenpersonal ist verschwunden, und am Gate, kurz vor dem Einsteigen, mussten wir 2.000 Dollar für einen Polizisten an der Tür zusammenlegen“, sagte ein kanadischer Tourist am Dienstag nach Ankunft am Frankfurter Flughafen. Der Polizist hätte sie ohne Bestechung nicht passieren lassen.

Uno spricht von 300 Toten in Ägypten

Die Vereinten Nationen gehen von deutlich mehr Todesopfern bei den Unruhen in Ägypten aus als bisher bekannt. „Unbestätigte Berichte sprechen von bisher 300 Toten und mehr als 3000 Verletzten“, sagte die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay in Genf. Die Entwicklung sei besorgniserregend. „Die Behörden haben die eindeutige Verpflichtung zum Schutz der Bevölkerung, einschließlich ihres Rechtes auf Unversehrtheit, der Versammlungs- und Meinungsfreiheit“, mahnte Pillay mit Blick auf die Führung in Kairo.

Auch müsse die Informationsfreiheit einschließlich des Internets wieder hergestellt werden. Die „langanhaltende Verletzung der Menschenrechte in Ägypten“ sei ein Schlüsselelement für die anhaltenden Proteste. „Die Bevölkerung scheint eindeutig ein System abzulehnen, das den Menschen fundamentale Rechte bestreitet und eine Serie schwerer Missbräuche, einschließlich weit verbreiteter Folterung, verübt hat.“ Eine Regierung, die seit 30 Jahren mit Notstandsgesetzen regiere, „hat deutlich gezeigt, das Menschenrechte nicht eine ihrer dringlichsten Sorgen sind“, sagte die Uno-Hochkommissarin.

Das öffentliche Leben ruht, Demonstranten beklagen Behördenwillkür

Die ägyptischen Sicherheitskräfte sperrten vor der Großkundgebung alle in die Hauptstadt führenden Straßen. Der öffentliche Nahverkehr wurde eingestellt. Alle innerstädtischen Schnellstraßen seien blockiert, verlautete aus Sicherheitskreisen. Der Eisenbahnverkehr in Ägypten war den zweiten Tag in Folge eingestellt, alle Busverbindungen zwischen den Städten waren unterbrochen. Trotzdem strömten unaufhörlich mehr Menschen auf den Platz. Auch in anderen Städten wie Alexandria und Suez kam es zu größeren Protestaktionen.

Demonstranten erzählten von ganz unterschiedlichen Beweggründen für ihre Beteiligung an der Protestaktion. Die 41 Jahre alte Lehrerin Sahar Ahmad erklärte, sie sei seit 22 Jahren berufstätig und verdiene trotzdem nur rund 70 Dollar pro Monat. „In meiner Klasse sind 120 Kinder. Das ist mehr als ein Lehrer schaffen kann“, sagte sie. Sie forderte ein besseres Bildungssystem, das den Schülern ein gutes Leben nach der Schule ermögliche.

Der Fahrer eines Minibusses, Tamer Adly, erklärte, er werde täglich von der Polizei drangsaliert. Die Beamten wollten umsonst gefahren werden, forderten die Hälfte seines Frühstücks und zwängen ihn, ihnen eine Zeitung zu holen. „In diesem Land sollte es nicht nur um eine Person gehen“, sagte der 30-jährige unter Anspielung auf Mubarak.

Freiwillige untersuchen die Demonstranten auf Waffen

Die Proteste erschienen am Dienstag organisierter als noch am Montag. So wurden offenbar Freiwillige beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Kundgebung gewaltlos bleibt. Die Freiwilligen erklärten, sie sollten nach Regierungsmitarbeitern Ausschau halten, die möglicherweise die Lage eskalieren lassen wollten. „Wir werden jeden hinauswerfen, der versucht, Ärger zu machen“, wurde über einen Lautsprecher ausgerufen. Andere Freiwillige durchsuchten Taschen an den Kontrollpunkten, um zu verhindern, dass Waffen auf den Platz gebracht wurden. Die Organisatoren erklärten, der Protest werde sich auf den Tahrir-Platz beschränken, um Auseinandersetzungen mit den Soldaten zu vermeiden. (abendblatt.de/dapd/dpa/AFP)