Die ägyptische Armee will die Protestler verschonen. Vize-Präsident Suleiman kündigt Gespräche mit allen politischen Parteien an.

Kairo/Hamburg. Nach den tagelangen Protesten hat Ägyptens neuer Vize-Präsident Omar Suleiman am Montagabend im ägyptischen Staatsfernsehen Verfassungs- und Gesetzesreformen sowie einen Dialog mit allen politischen Parteien angekündigt. Nach eigener Auskunft solle Suleiman im Auftrag von Präsident Husni Mubarak mit den „politischen Kräften“ über Verfassungsreformen verhandeln. Suleiman sagte nicht, bis zu welchem Umfang die Änderungen gehen dürften oder mit welchen Kräften er in Verhandlungen treten wolle.

Unterdeessen haben die USA einen Sondergesandten nach Ägypten entsandt. Der pensionierte Diplomat und frühere US-Botschafter am Nil, Frank Wisner, soll den US-Forderungen nach demokratischen Reformen mehr Nachdruck verleihen. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte, Wisner sei am Montag in Kairo angekommen und werde sich mit hochrangigen Beamten und Regierungsvertretern treffen. Wisner habe große Erfahrung in der Region und unterhalte enge Beziehungen zu vielen Personen innerhalb und außerhalb der ägyptischen Regierung.

Zuvor hatte die ägyptische Armee in den seit einer Woche andauernden Protesten gegen Präsident Husni Mubarak erstmals klar Stellung bezogen und erklärt, sie werde keine Gewalt gegen das Volk anwenden. Das Militär, das von den USA Milliardenhilfen bezieht, spielt eine Schlüsselrolle in dem seit 30 Jahren von Mubarak regierten Land.

Die Meinungsfreiheit sei allen Bürgern garantiert, die friedliche Mittel einsetzten, hieß es am Montag in einer Stellungnahme des Militärs. „Die Präsenz der Armee in den Straßen ist zu eurem Schutz und um eure Sicherheit und euer Wohlbefinden zu garantieren.“ Die Armee rief die Bevölkerung auf, von Sabotageakten abzusehen, da diese die Sicherheit sowie das öffentliche und private Eigentum verletzten.

„Eure Streitkräfte, die sich der Rechtmäßigkeit eurer Forderungen und ihrer Verantwortung für den Schutz des Staates und der Bürger bewusst sind, versichern, dass die Meinungsfreiheit durch friedliche Mittel jedem garantiert ist“, hieß es in der Erklärung.

In Kairo forderten erneut Zehntausende Menschen auf dem zentralen Tahrir-Platz den Rücktritt des 82-jährigen Mubarak. Dort waren zwar Soldaten aufgezogen, doch auch mehrere Stunden nach Beginn des Ausgangsverbots um 15 Uhr griffen sie nicht ein. Die Generäle haben bislang den Aufstand nicht niederschlagen lassen; sie haben sich aber auch nicht gegen Mubarak gestellt. Der Präsident hat sich um den Schulterschluss mit dem Militär bemüht und wichtige Regierungsposten mit Angehörigen der Streitkräfte besetzt.

„Die Meinungsfreiheit in friedlicher Form ist für alle garantiert“, zitierten die amtliche Nachrichtenagentur Mena und das Staatsfernsehen einen Armeesprecher. Für Dienstag (10 Uhr MEZ) rief die Opposition unter Führung von Friedensnobelpreisträger Mohamed El-Baradei zu einem Generalstreik und zu neuen Massenprotesten gegen Staatschef Husni Mubarak auf.

Mubarak hatte unter dem Druck der Straße bereits die Regierung umgebildet. Bei den seit Dienstag vergangener Woche andauernden Protesten in Ägypten wurden bislang mindestens 125 Menschen getötet und tausende verletzt.

Unterdessen warnen deutsche Spitzenpolitiker angesichts des Massenprotests gegen Mubarak vor den Folgen für die gesamte Ägypten umgebende Region. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich bei ihrem Besuch in Jerusalem besorgt über die jüngsten Entwicklungen. Sie nahm an den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen teil, die von den Unruhen in Ägypten überschattet wurden. In Brüssel tagten die EU-Außenminister, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Mehrere deutsche Politiker forderten die EU zum Handeln auf.

Die Stabilität der gesamten Region stehe in Frage, schloss Merkel aus den Ereignissen in Ägypten und Tunesien. Ägypten habe für Israel immer eine wichtige und stabilisierende Rolle gespielt, sagte die Kanzlerin. In den nächsten Tagen werde es daher darauf ankommen, «klug zu handeln». Merkel drückte die Hoffnung aus, dass die ägyptischen Machthaber Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit einhielten.

Vor einer größeren Gefährdung Israels warnte der ehemalige Außenminister und jetzige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Israels Nachbarschaft sei im gefährlichen Umbruch, weil im Libanon die Hisbollah an die Macht gelangt und Ägyptens Rolle als stabilisierender Ordnungsfaktor in der arabischen Welt jetzt ungewiss sei. «Alles zusammen ist hoch brisant für Israel», sagte Steinmeier.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte Staatschef Mubarak vor weiteren Repressalien. Wer denke, für Stabilität «müsse man Freiheitsrechte nur unterdrücken, vielleicht sogar mit Gewalt bekämpfen», der denke zu kurz. Mittelfristig und langfristig erreiche man damit das Gegenteil, nämlich Instabilität, sagte Westerwelle. Er rief die Führung in Kairo zum Gewaltverzicht und zum Dialog mit der Opposition auf.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, fordert von den EU-Außenministern eine klare Botschaft an die ägyptische Regierung, die Gewalt gegen Demonstranten einzustellen und freie Wahlen zu ermöglichen. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth appellierte an die Europäische Union, sich stärker einzumischen. Die «perfide Chaos-Strategie» und die Taktik der Destabilisierung im Land müssten ein Ende haben, sagte sie.

Der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Philipp Mißfelder, zeigte sich unterdessen besorgt darüber, dass islamische Fundamentalisten in Ägypten die Macht übernehmen könnten. «Wofür die Opposition in Ägypten eigentlich steht, ist derzeit völlig unklar. Es ist fraglich, ob nicht die Moslem-Bruderschaft oder andere Islamisten von den Protesten profitieren – und das Land in eine andere Richtung steuern, als wir es wünschen», sagte er.

Die Bilder aus Kairo erinnerten an den Sturz des persischen Schahs 1978, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Bijan Djir-Sarai. Danach hätten islamistische Fanatiker die Macht im Iran übernommen.

Derweil sorgt sich auch der ägyptische Schauspieler Omar Sharif um die Zukunft seines Landes. Vom seinem Hochhausappartement aus ist der Tahrir-Platz – das Zentrum der Proteste der vergangenen Tage – gut zu sehen. „Sie wollen den Sturz des Präsidenten. Das ist das Erste. Aber sie wissen nicht, was sie danach wollen“, sagte er der Nachrichtenagentur AP am Montag. „Ich weiß nicht, was danach passieren wird. Wen werden sie an seine Stelle setzen, wer wird die Verantwortung für das Land übernehmen?“ Berühmt wurde Sharif als Doktor Schiwago im gleichnamigen Film.

In Deutschland wächst angesichts der dramatischen Zustände in Ägypten die Sorge um die dort befindlichen Deutschen. Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sowie in die urbanen Zentren im Landesinnern und im Nildelta ab. Die Zahl der im Großraum Kairo lebenden Deutschen bezifferte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf rund 5.000. Insgesamt befänden sich «einige zehntausend» Deutsche dauerhaft in Ägypten. Jedes Jahr reisten zudem etwa eine Million bis 1,2 Millionen Deutsche dorthin. Genaue Zahlen seien jedoch schwer zu eruieren. Er verwies darauf, dass die Regionen, in denen sich die Masse der Touristen aufhalte, weiterhin ruhig seien.

(dapd/afp/abendblatt.de)


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Die ägyptische Oppositionsbewegung unter Führung von Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei hat für Dienstag zu einem Generalstreik aufgerufen. Zudem sei beschlossen worden, dass es am Dienstag einen „Marsch der Millionen“ gegen Präsident Husni Mubarak geben solle, sagte einer der Organisatoren, Eid Mohammed, der Nachrichtenagentur AFP. Ursprünglich hatten Arbeiter in der Stadt Suez am Sonntagabend zu dem Streik aufgerufen. „Wir haben uns den Arbeitern in Suez angeschlossen und treten in einen Generalstreik bis unsere Forderungen erfüllt werden“, sagte ein anderer Oppositionsvertreter, Mohamed Waked.

Trotz Ausgangssperre protestierten in der Nacht in Kairo erneut zahlreiche Demonstranten gegen die Regierung von Mubarak. Auf dem zentralen Tahrir-Platz versammelten sich am Montagvormittag mehr als 1000 Menschen. Viele gaben sich entschlossen, bis zu einem Rücktritt Mubaraks dort auszuharren. Der Platz war auch weiterhin von Panzern umringt, Soldaten kontrollierten die Ausweise der Demonstranten, hinderten sie aber nicht am Weiterkommen.

Wegen der Unruhen haben zahlreiche Staaten begonnen, ihre Bürger aus dem Land auszufliegen. Neben der deutschen Lufthansa und Air India organisierten am Montag auch die USA und Türkei zusätzliche Flüge, um Staatsangehörigen die Möglichkeit zur Heimkehr zu bieten. China schickte zwei Flugzeuge nach Kairo, um 500 am Flughafen gestrandete Staatsangehörige abzuholen, wie Air China und Hainan Air mitteilten. Auch Japan ließ nach Angaben des Außenministeriums rund 500 Bürger in der ägyptischen Hauptstadt „einsammeln“ und nach Rom bringen. Das griechische Außenministerium erklärte, mindestens zwei Militärmaschinen stünden bereit. Auch die irakische Regierung schickte ein Flugzeug auf den Weg.

Deutsche und russische Touristen in den Feriengebieten fernab der Großstädte reagierten zunächst gelassen auf die Unruhen und brachen nach Angaben der Reiseveranstalter ihren Urlaub nicht ab. Aus Deutschland sind mehrere Tausend Feriengäste im Land , aus Russland rund 40.000. Der Reiseveranstalter Thomas Cook flog am Sonntag noch Touristen aus Deutschland ein. Die belgische TUI-Travel-Tochter Jetair kündigte dagegen auf ihrer Internetseite einen Evakuierungsplan an, der ab Montag greifen sollte. Belgischen Medien zufolge halten sich etwa 1700 Landsleute am Nil auf.

Einige europäische und asiatische Unternehmen begannen damit, ihre Mitarbeiter abzuziehen, darunter der niederländisch-britische Ölkonzern Royal Dutch Shell und das italienische Energieunternehmen Eni. Die Philippinen, Thailand und das asiatische Sultanat Brunei trafen Vorkehrungen für einen besseren Schutz ihrer Bürger in Ägypten. Sie holten die Staatsangehörigen in ihre Botschaften oder forderten sie auf, sich mit Lebensmittelvorräten zu versorgen und das Haus möglichst nicht zu verlassen.

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei hat in Kairo den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak gefordert. Mehrere Tausend Demonstranten und el-Baradei ignorierten dabei das von den Behörden verhängte Ausgehverbot. Die Streitkräfte demonstrierten ihre Macht, indem sie Kampfjets im Tiefflug über die Hauptstadt donnern ließen. Polizisten kehrten auf die Straßen zurück, von denen sie in den letzten Tagen verschwunden waren, was von Plünderern und Vandalen ausgenutzt worden war.

Mubarak selbst hat seinen neuen Regierungschef Ahmed Schafik mit einem politischen Reformkurs beauftragt. In einer im Staatsfernsehen verbreiteten Ansprache stellte Mubarak einen „Dialog mit allen Parteien“ in Aussicht. Mubarak erklärte, er dringe auf „umfassende“ Schritte, um das politische System und die Verfassung zu reformieren. Außerdem forderte er Schafik auf, „entschieden“ gegen die Korruption zu kämpfen und das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherzustellen. Als Reaktion auf die Massenproteste hatte der seit drei Jahrzehnten amtierende Mubarak die gesamte Regierung entlassen und den früheren Luftfahrtminister Schafik zum neuen Ministerpräsidenten gemacht. Zum Vizepräsidenten ernannte er den Geheimdienstchef Omar Suleiman. Die neuen Kabinettsmitglieder standen zunächst noch nicht fest.