Es gibt einen Notfallflugplan, aber auch Gelassenheit: Die Lage in Ägypten ist unübersichtlich. El-Baradei fordert Präsident Mubarak zum Rücktritt auf.

Kairo/Hamburg. Wegen der Unruhen in Ägypten haben zahlreiche Staaten damit begonnen, ihre Bürger aus dem Land auszufliegen. Neben der deutschen Lufthansa und Air India organisierten am Montag auch die USA und Türkei zusätzliche Flüge, um Staatsangehörigen die Möglichkeit zur Heimkehr zu bieten. China schickte zwei Flugzeuge nach Kairo, um 500 am Flughafen gestrandete Staatsangehörige abzuholen, wie Air China und Hainan Air mitteilten. Auch Japan ließ nach Angaben des Außenministeriums rund 500 Bürger in der ägyptischen Hauptstadt „einsammeln“ und nach Rom bringen. Das griechische Außenministerium erklärte, mindestens zwei Militärmaschinen stünden bereit. Auch die irakische Regierung schickte ein Flugzeug auf den Weg.

Deutsche und russische Touristen in den Feriengebieten fernab der Großstädte reagierten zunächst gelassen auf die Unruhen und brachen nach Angaben der Reiseveranstalter ihren Urlaub nicht ab. Aus Deutschland sind mehrere Tausend Feriengäste im Land , aus Russland rund 40.000. Der Reiseveranstalter Thomas Cook flog am Sonntag noch Touristen aus Deutschland ein. Die belgische TUI-Travel-Tochter Jetair kündigte dagegen auf ihrer Internetseite einen Evakuierungsplan an, der ab Montag greifen sollte. Belgischen Medien zufolge halten sich etwa 1700 Landsleute am Nil auf.

Einige europäische und asiatische Unternehmen begannen damit, ihre Mitarbeiter abzuziehen, darunter der niederländisch-britische Ölkonzern Royal Dutch Shell und das italienische Energieunternehmen Eni. Die Philippinen, Thailand und das asiatische Sultanat Brunei trafen Vorkehrungen für einen besseren Schutz ihrer Bürger in Ägypten. Sie holten die Staatsangehörigen in ihre Botschaften oder forderten sie auf, sich mit Lebensmittelvorräten zu versorgen und das Haus möglichst nicht zu verlassen.

Die Sorge um die Entwicklung in Ägypten und anderen arabischen Ländern überschattet auch die Reise von Kanzlerin Angela Merkel zu den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nach Jerusalem. Im Mittelpunkt der Gespräche mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht zudem der auf Eis liegende Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern.

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei hat in Kairo den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak gefordert. Mehrere Tausend Demonstranten und el-Baradei ignorierten dabei das von den Behörden verhängte Ausgehverbot. Die Streitkräfte demonstrierten ihre Macht, indem sie Kampfjets im Tiefflug über die Hauptstadt donnern ließen. Polizisten kehrten auf die Straßen zurück, von denen sie in den letzten Tagen verschwunden waren, was von Plünderern und Vandalen ausgenutzt worden war.

El-Baradei, der nach seiner Rückkehr unter Hausarrest gestellt worden war, sprach auf dem zentralen Tahrir-Platz über ein Megaphon zu den Demonstranten. „Euch gehört diese Revolution. Ihr seid die Zukunft“, sagte er. Vor Beginn des Ausgehverbots um 16 Uhr waren auf dem Tahrir-Platz – zu deutsch „Platz der Befreiung“ – rund 10.000 Menschen. Die wichtigste Forderung des Protests sei das Ende des Regimes und „der Beginn eines neuen Ägyptens, in dem jeder Ägypter in Rechtschaffenheit, Freiheit und Würde leben kann“. Der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hatte sich in den vergangenen Tagen als Führer einer Übergangsregierung angeboten.

Am Abend fiel eine starke Präsenz frommer Muslime auf dem Platz auf. Ein Führer der Muslimbruderschaft, Essam el-Erian, sagte der Nachrichtenagentur AP, er gehe mit anderen Führern der Bewegung auf den Tahrir-Platz. Die Muslimbruderschaft hat erklärt, sie akzeptiere eine Führungsrolle el-Baradeis bei der Protestbewegung gegen Mubarak.

Mubarak selbst hat seinen neuen Regierungschef Ahmed Schafik mit einem politischen Reformkurs beauftragt. In einer im Staatsfernsehen verbreiteten Ansprache stellte Mubarak einen „Dialog mit allen Parteien“ in Aussicht. Mubarak erklärte, er dringe auf „umfassende“ Schritte, um das politische System und die Verfassung zu reformieren. Außerdem forderte er Schafik auf, „entschieden“ gegen die Korruption zu kämpfen und das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherzustellen. Als Reaktion auf die Massenproteste hatte der seit drei Jahrzehnten amtierende Mubarak die gesamte Regierung entlassen und den früheren Luftfahrtminister Schafik zum neuen Ministerpräsidenten gemacht. Zum Vizepräsidenten ernannte er den Geheimdienstchef Omar Suleiman. Die neuen Kabinettsmitglieder standen zunächst noch nicht fest.