Präsident Mubarak hat die Regierung umgebildet. Mit Sondermaschinen werden Hunderte Deutsche ausgeflogen. Der Überblick bei abendblatt.de.

Kairo/Hamburg. Generalstreik, Marsch der Millionen, eine neue Regierung – und inmitten von schweren Unruhen gibt es einen Hoffnungsschimmer auf demokratischen Wandel in Ägypten. Aber Tausende Ägypter stürmten die Lebensmittelläden, einige nutzten die Gunst der Stunde, plünderten, attackierten sogar das Ägyptische Museum in Kairo und die wertvollen Mumien.

Präsident Husni Mubarak hat blitzschnell die Regierung umgebildet. Der Innen- und der Finanzminister würden ausgetauscht, berichtete das staatliche Fernsehen. Andere Schlüsselressorts wie das Verteidigungs- und das Außenministerium blieben unter der bisherigen Führung.

Neuer Innenminister wird demnach General Mahmud Wagdi, der bislang Chef der Kriminalpolizei in Kairo und zuvor Gefängnisdirektor war. Der bisherige Innenminister Habib al-Adli galt als verhasst. Ihm werfen Kritiker vor, er sei unverhältnismäßig massiv mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen.

Der Marsch der Millionen

Die Jugendbewegung „6. April“ wolle für den „Mega-Protest“ gegen Mubarak mehr als eine Million Menschen auf die Straße bringen, berichtete der arabische Fernsehsender al-Dschasira. Die Opposition wolle so den Druck auf Mubarak erhöhen, die Macht abzugeben. Ein Aufruf zum Generalstreik, der in Kairo kursierte, wurde bislang nicht flächendeckend befolgt. Die ägyptische Armee nahm am Montag in Kairo sechs Mitarbeiter des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira fest.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat Mubarak vor weiteren Repressalien gewarnt: Wer denke, für Stabilität „müsse man Freiheitsrechte nur unterdrücken, vielleicht sogar mit Gewalt bekämpfen“, der denke zu kurz, sagte Westerwelle bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. Er rief die Führung in Kairo zum Gewaltverzicht und zum Dialog mit der Opposition auf. In der EU wird um eine einheitliche Haltung zu Mubarak gerungen, dessen Regime sich zum Teil mit Gewalt gegen die Massenproteste wehrt. Einerseits müsse die Union klarmachen, „dass sie auf der Seite des berechtigten Demokratisierungsprozesses steht“, sagte Westerwelle. Andererseits müsse ein „geordneter Übergang zu demokratischen Verhältnissen“ erreicht werden. Mit Blick auf die Schlüsselrolle Ägyptens im Nahost-Konflikt „müssen wir die Stabilität der gesamten Region im Auge behalten“, sagte Westerwelle.

Israel warnt vor den Islamisten

Israel warnt derweil vor einer vor Radikalisierung in Ägypten. Staatspräsident Schimon Peres sagte nach Angaben des israelischen Armeesenders, die Herrschaft religiöser Fanatiker wäre nicht besser als ein Mangel an Demokratie unter dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. „Wir hatten und haben immer noch großen Respekt für Präsident Mubarak“, sagte Peres. „Wir sagen nicht, dass alles, was er getan hat, richtig ist, aber er hat eine Sache getan, für die wir ihm dankbar sind: Er hat den Frieden im Nahen Osten bewahrt.“ Israel fürchtet, dass im Falle eines Regimewechsels in Ägypten die Muslimbrüder an die Macht kommen könnten. Aus dieser Organisation ist die mit Israel verfeindete, im Gazastreifen herrschende Hamas hervorgegangen.

In Israel entstand der Eindruck, dass US-Präsident Barack Obama und US-Außenministerin Hillary Clinton Mubarak „wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen“ haben. Obama hatte sich für „einen geordneten Übergang zu einer Regierung“ ausgesprochen, „die auf die Bestrebungen des ägyptischen Volkes eingeht“.

Trotz der Unruhen noch keine Reisewarnung

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verteidigte die Entscheidung der Bundesregierung, keine Reisewarnung für Ägypten auszusprechen. Es gebe einige Länder, die „vorgeprescht“ seien. Die Bundesregierung schätze die Lage dort aber genauso ein wie etwa Franzosen oder Briten. Das Auswärtige Amt hat die Zahl der im Großraum Kairo lebenden Deutschen auf rund 5000 beziffert. Insgesamt befänden sich „einige Zehntausend“ Deutsche dauerhaft in Ägypten. Jedes Jahr reisten zudem etwa eine Million bis 1,2 Millionen Deutsche dorthin. Es gebe Regionen, von deren Besuch man ganz klar abraten müsse. In den Regionen, in denen sich die Masse der Touristen aufhalte, sei es jedoch weiterhin ruhig. Das Auswärtige Amt rate jedoch „ganz klar und deutlich“ von Reisen nach Ägypten ab. Die deutsche Botschaft sei allen behilflich, die ausreisen wollten.

Auch in Hamburg landete eine Sondermaschine

Mit einem Linienflug und einer Sondermaschine kommen am Montagnachmittag zahlreiche Touristen, Wahl-Ägypter und Unternehmer aus dem Krisenland zurück nach Deutschland. Die beiden Maschinen aus Kairo werden nach Angaben der Lufthansa um 17.40 Uhr und 17.50 Uhr auf dem Frankfurter Flughafen erwartet. Die Sondermaschine war am Morgen von gestartet. Nach der Landung in Ägypten nahm sie die Passagiere auf und hob wieder ab Richtung Frankfurt. Am frühen Montagmorgen war bereits in Hamburg eine Maschine gelandet, die Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE ausgeflogen hatte . Ein Konvoi der Deutschen zum Flughafen sei aus Sicherheitsgründen von der Botschaft organisiert worden, berichtete eine dpa-Korrespondentin. Ausreisen sollen vor allem Angehörige von Diplomaten und anderen Deutschen, die in der ägyptischen Hauptstadt arbeiten.

Deutscher Schulleiter spricht von Anarchie

Die Leitung der Deutschen Schule in Alexandria hofft ebenfalls auf baldige Ausreise. Es gebe in der Stadt keinerlei staatliche Ordnungsmacht mehr, sagte Schulleiter Hubert Müller der dpa. Bürgermilizen ersetzten die nicht mehr vorhandene Polizei. „Wir erleben hier immer wieder, dass Leute zusammengeprügelt oder gar verschleppt und auch getötet werden mit Messern und Säbeln.“ Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) stellte seine Grabungsarbeiten vorübergehend ein.

Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei soll zum Sprecher eines Oppositionsbündnisses ernannt werden. Die Muslimbruderschaft erklärte, sie wolle keine Führungsrolle übernehmen. „Wir wollen dieser Revolution nicht schaden“, sagte der frühere Vorsitzende der größten Oppositionsgruppe des Landes, Mohamed Mahdi Akef. Die unter Mubarak zugelassenen Oppositionsparteien sollten an dem Treffen nicht beteiligt werden. Die Demonstranten kündigten an, sie wollten nicht aufgeben. „Das Leben darf nicht wieder normal werden, bis Mubarak geht“, sagte einer der Organisatoren, Israa Abdel-Fattah. „Wir wollen, dass die Leute nicht zur Arbeit erscheinen, bis er geht.“ Banken, Schulen und die Börse blieben am Montag den zweiten Tag in Folge geschlossen. Vor Bäckereien bildeten sich lange Schlangen.

Sorge um steigenden Ölpreis

Die Ratingagentur Moody’s stufte die Kreditwürdigkeit Ägyptens unterdessen auf den Wert Ba2 herab, die Prognose wurde von stabil auf negativ gesenkt. In der vergangenen Woche hatte bereits die Ratingagentur Fitch ihre Prognose für Ägypten herabgestuft. Angesichts der Lage in Ägypten stieg der Ölpreis am Montag weiter an. Ein Barrel Rohöl kostete am Morgen 89,67 Dollar im Computerhandel an der New Yorker Rohstoffbörse, 33 Cent mehr als am Freitag. Experten rechnen nicht mit einer schnellen Entspannung der Lage. Ägypten ist kein großer Ölproduzent, aber wegen seiner Lage wichtig für die Ölversorgung des Westens: Durch die Sumed-Pipeline fließt Rohöl vom Golf von Suez zum Mittelmeer, außerdem durchqueren kleinere Tanker den Suezkanal.

Filmstar Omar Sharif gegen Mubarak

Der ägyptische Filmstar Omar Sharif („Dr. Schiwago“) unterstützt die Opposition gegen Präsident Husni Mubarak. Nach 30 Jahren an der Macht sei es für Mubarak an der Zeit, diese zu übergeben, zitierte der arabische Nachrichtensender al-Arabija den Hollywood-Schauspieler. Sharif, 78, ist auch durch seine Rolle in „Lawrence von Arabien“ (1962) international bekannt. Der Schauspieler leitet das Kairo Filmfestival.

Hoffnung in China

Während Chinas Regierung die Berichterstattung zu den Protesten in Ägypten stark beschränkt, tauscht sich die Bloggergemeinschaft rege darüber aus. „Egal ob Stabilität oder Wandel, die Ereignisse sind ein wichtiges Signal für China“, schrieb der Blogger „Yizhi binggao“ am Montag auf dem Mikroblog der Plattform Sina. Auch andere Nutzer verwiesen indirekt auf die Bedeutung der Proteste für China. „Wer sagt jetzt, dass Demokratie nur etwas für Europa und die USA ist?“, fragt Blogger „Sadao“ auf derselben Plattform. „Jeder kommt auf unterschiedlichen Wegen zu universalen Werten.“