Der CDU-Politiker Volker Kauder will auch Mindestlohn, Kündigungsschutz und Gesundheitsfonds nicht antasten.

Berlin. HAMBURGER ABENDBLATT: Herr Kauder, von Montag an führen Sie Koalitionsverhandlungen. Wie viele Ministerposten sind drin für die Union in einer gelb-schwarzen Bundesregierung?

VOLKER KAUDER: Das Zentrale in den Koalitionsverhandlungen sind die Inhalte. Über Personen reden wir erst danach.

ABENDBLATT: Die FDP ist stark, die Union schwach wie nie. Angela Merkel wird Kanzlerin von Westerwelles Gnaden sein ...

KAUDER: Die wahre Stärke der Union wird in den Direktmandaten beziehungsweise im Erststimmenergebnis deutlich. Wir haben etwa 39 Prozent der Erststimmen geholt.

ABENDBLATT: Die FDP will mit der Union auf Augenhöhe verhandeln. Größenwahn?

KAUDER: Wir wollen in den nächsten vier Jahren gute und verlässliche Partner sein. Dazu gehört, dass man nicht in einem Über- oder Unterordnungsverhältnis miteinander spricht, sondern auf Augenhöhe.

ABENDBLATT: Was ist mit der Union nicht zu machen?

KAUDER: Wir sollten nicht sagen, was überhaupt nicht geht oder was unbedingt kommen muss. Alles, was die FDP bewegt, nehmen wir auf die Tagesordnung.

ABENDBLATT: Die FDP will den Gesundheitsfonds kippen ...

KAUDER: Ich hoffe sehr, dass wir die FDP in den Verhandlungen von der Güte des Gesundheitsfonds überzeugen können.

ABENDBLATT: Was ist gut an dem Fonds?

KAUDER: Er hat dazu geführt, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihre Schulden getilgt haben. Außerdem ist er eine ausgezeichnete Möglichkeit, Wettbewerb im Gesundheitswesen zu organisieren.

ABENDBLATT: Bleibt es auch bei den vereinbarten Mindestlöhnen?

KAUDER: Wir haben beim Thema Mindestlohn einen richtigen Weg beschritten, der uns eine giftige Diskussion erspart hat. Ich glaube, dass wir die FDP auch davon überzeugen können.

ABENDBLATT: Was ist mit dem Kündigungsschutz? Nicht nur die Liberalen, auch die großen Wirtschaftsverbände fordern eine Lockerung.

KAUDER: Ich kann nicht erkennen, dass der Kündigungsschutz jetzt ein wichtiges und notwendiges Thema ist. Wir haben eine Menge an Flexibilisierung in den vergangenen Jahren erreicht. Auf dem Arbeitsmarkt stellt sich eine andere Frage: Was können wir tun, damit aus Kurzarbeit nicht Arbeitslosigkeit wird?

ABENDBLATT: Welche Möglichkeit sehen Sie?

KAUDER: Wir sollten eine Verlängerung der befristeten Arbeitsverhältnisse prüfen, damit die Menschen länger in den Firmen bleiben können.

ABENDBLATT: Die Bürger sollen steuerlich entlastet werden – in dieser Frage sind sich die Spitzen von CDU, CSU und FDP grundsätzlich einig. In welchem Umfang werden die Steuern gesenkt?

KAUDER: Wir halten unsere Zusage ein, die sogenannte kalte Progression zu dämpfen. Das bedeutet eine jährliche Steuermindereinnahme von etwa 15 Milliarden Euro. Das lässt sich finanzieren, wenn die Wirtschaft um mindestens 0,8 Prozent wächst.

ABENDBLATT: In diesem Jahr schrumpft die Wirtschaft um mehr als fünf Prozent ...

KAUDER: Wir wollen Wachstum stimulieren, deswegen streben wir Korrekturen bei der Unternehmenssteuerreform an. Wir müssen auch bei der Erbschaftssteuer noch Veränderungen vornehmen. Betriebe, die aufgrund der Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten geraten sind, dürfen nicht auch noch mit einer Erbschaftssteuer belegt werden.

ABENDBLATT: Die FDP will zuerst die Familien entlasten.

KAUDER: In unserem Wahlprogramm steht, dass wir den Kinderfreibetrag auf 8004 Euro anheben wollen. Wann dies möglich wird, müssen wir mit Blick auf die finanziellen Spielräume entscheiden.

ABENDBLATT: Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust sieht kaum Spielraum für Steuersenkungen.

KAUDER: Wir haben vor wenigen Monaten einstimmig unser Regierungsprogramm beschlossen. Da steht drin, dass wir die kalte Progression korrigieren werden. Es gibt diesen Spielraum.

ABENDBLATT: Sie können von Beust nicht verstehen?

KAUDER: Es bleibt bei der Zusage, die wir gemacht haben.

ABENDBLATT: Steuererhöhungen sind ausgeschlossen?

KAUDER: Ja, es wird in den kommenden vier Jahren keine Steuererhöhungen geben.

ABENDBLATT: Die Bürger fürchten eine Koalition der Zumutungen. Gibt es Einschnitte ins soziale Netz?

KAUDER: Nein.

ABENDBLATT: Die Wirtschaftskrise erzwingt keine Einschnitte? Wirtschaftsminister zu Guttenberg hat vor der Wahl düstere Andeutungen gemacht ...

KAUDER: Danach müssen Sie ihn schon selber fragen.

ABENDBLATT: Herr Kauder, geht die Union nach dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 zur Tagesordnung über?

KAUDER: Es wird eine Wahlanalyse geben.

ABENDBLATT: Der Wahlkampf war ganz auf Kanzlerin Merkel zugeschnitten. Die Frage, wer die Verantwortung für das schwache Abschneiden trägt, dürfte leicht zu beantworten sein ...

KAUDER: Das ist eine abwegige Analyse. Viele Anhänger der Union haben FDP gewählt, weil sie eine Fortsetzung der Großen Koalition verhindern wollten. Diese Wähler müssen wir zurückgewinnen.

ABENDBLATT: Wie können die Stammwähler in Süddeutschland zurückgewonnen werden?

KAUDER: Wir müssen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes betreiben. In der Familienpolitik gehört dazu die Wahlfreiheit. Es war völlig richtig, dass Frau von der Leyen das Angebot für Ganztagsbetreuung ausgebaut hat. Für mich gehört aber auch dazu, dass wir mit gleichem Respekt den Familien begegnen, die ihre Kinder zu Hause betreuen.

ABENDBLATT: Wie wird sich dieser Respekt ausdrücken?

KAUDER: Die Union will ein Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Die Familienpolitik wird eines der zentralen Politikfelder in der schwarz-gelben Koalition sein.

ABENDBLATT: Kann Angela Merkel gleichzeitig eine gute Bundeskanzlerin und eine gute Parteivorsitzende sein?

KAUDER: Ich halte es geradezu für notwendig, dass das Regierungsamt und der Parteivorsitz beieinander bleiben. Ich sage voraus: In der SPD wird die Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz ausgesprochen schwierig werden.

ABENDBLATT: Ihr Respekt vor der neuen Führungsspitze der SPD hält sich in Grenzen?

KAUDER: Sie ängstigt mich nicht.

ABENDBLATT: Sie bleiben Vorsitzender der Unionsfraktion. Wir hatten den Eindruck, Sie hätten lieber ein Regierungsamt übernommen ...

KAUDER: Da sehen Sie mal, wie man sich täuschen kann.