Anhänger radikal-islamistischer Gruppen verbreiten Racheaufrufe im Internet. Außenminister Guido Westerwelle warnt vor Anschlägen.

Islamabad/Washington. Sie schlugen kurz nach Mitternacht zu: US-Spezialeinheiten griffen das Versteck von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in der Stadt Abbottabad rund 50 Kilometer nördlich von Islamabad mit Hubschraubern an. Die Stadt mit 100.000 Einwohnern liegt im Vorgebirge des Himalaja. Wie der pakistanische Geheimdienst ISI bestätigte, wurden weitere Personen getötet. ISI-Chef Ahmed Shuja Pasha sagte im pakistanischen Fernsehen, auch ein Sohn bin Ladens sowie drei Wachleute seien ums Leben gekommen. Die drei Ehefrauen, sechs weitere Söhne sowie vier enge Mitstreiter wurden festgenommen. Ihre Namen wurden zunächst nicht bekannt. Wie aus pakistanischen Sicherheitskreisen verlautete, begann die Operation kurz nach Mitternacht (Ortszeit) und dauerte vier Stunden. Nach US-Berichten dauerte sie nur 40 Minuten. Bin Laden soll durch einen Kopfschuss getötet worden sein, berichtete CNN. Pakistanische Einheiten hätten die Aktion unterstützt. Augenzeugen in Abbottabad berichteten, dass mindestens drei Hubschrauber an der Aktion beteiligt gewesen seien. Es habe heftige Schusswechsel gegeben. Einer der Hubschrauber habe beim Landeversuch Feuer gefangen und sei abgestürzt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat nach dem Tod des Al-Qaida-Anführers Osama bin Laden vor Racheakten von Extremisten gewarnt. „Wir müssen weiter wachsam sein, denn es geht um unsere Freiheit und um unsere Sicherheit“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk'. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass jetzt, nachdem Osama bin Laden das Handwerk gelegt wurde, es andere Mittäter gibt, die noch einmal versuchen, ihre schrecklichen Taten in der Welt zu verbreiten.“

Anhänger radikal-islamischer Gruppen haben nach der Tötung bin Ladens ihren Kampfeswillen bekräftigt. In arabischsprachigen Internet-Foren beteuerten sie ihre Entschlossenheit, vor allem die USA und deren Präsidenten Barack Obama in ihrem Visier zu behalten. „Gott verfluche Dich, Obama“, hieß es in einer der ersten Reaktionen aus islamistischen Gruppen. „Ihr Amerikaner: es ist noch immer unser Recht, euch den Hals abzuschneiden.“ Auf einer anderen Internet-Seite schrieb ein Diskussionsteilnehmer: „Osama mag getötet worden sein, aber sein Aufruf zum Dschihad wird niemals sterben. Brüder und Schwestern, wartet ab, sein Tod wird sich als Segen entfalten.“

Es gebe „keinen Grund zum Aufatmen“ – so beurteilen Vertreter westliche Geheimdienste die Situation nach dem Tod von Osama bin Laden. Das „Gehirn“ der al-Qaida, seine Nummer zwei, Vize Ayman al-Zawahiri, werde die „Welt zusammen mit den inzwischen vielen etablierten oder losen einzelnen Terrorzellen weiter in Atem halten“, unterstrichen ranghohe Vertreter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des US-Auslandsgeheimdienstes CIA gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Bin Laden, der von den Geheimdiensten als „OBL“ geführt wurde, war die uneingeschränkte „Kultfigur“ von al-Qaida. Sein langjähriger Weggefährte Zawahiri, ausgebildeter ägyptischer Chirurg, galt jedoch schon immer als der eigentlich „denkende und planende Kopf“ der al-Qaida.

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Das letzte gesicherte Lebenszeichen bin Ladens stammte aus dem Jahre 2004. Die Anschläge von al-Qaida haben die Welt verändert. „Sein Bekenntnis zum Kampf gegen die Ungläubigen auf der ganzen Erde“ hatte sich wie ein Virus verbreitet. Bin Laden wurde als der Drahtzieher der verheerenden Flugzeuganschläge in den USA angesehen, bei denen am 11. September 2001 rund 3000 Menschen getötet worden waren. Von Zeit zu Zeit haben sich bin Laden und Zawahiri mit stets neuen Terrordrohungen gegen die „Ungläubigen“ über den arabischen Sender al-Dschasira zu Wort gemeldet. Die meisten aus der alten Al-Qaida-Führung sind schon tot oder sitzen in Gefängnissen der CIA.

Die Spur bin Ladens hatte sich schon vor Jahren im „Niemandsland“ verloren. Die besten Spezialtruppen der Amerikaner und zuweilen auch der deutschen KSK – „Kommando Spezialkräfte“ – jagten Phantomgestalten nach. Der entscheidende Schlag gegen bin Laden und seine Gefährten missglückte am 16. Dezember 2001 in den verzweigten Höhlen des „Tora Bora“-Gebirgsmassivs an der nordöstlichen afghanischen Grenze zu Pakistan.

Wegen der Gefährlichkeit schickten die Amerikaner damals zuerst afghanische Milizen vor. Diese ließen sich von bin Laden bestechen und sorgten dafür, dass er auf Pferden und Maultieren mit einer Burka verkleidet über Schleichwege mit seinen Getreuen nach Pakistan entkommen konnte. Der damalige BND-Präsident August Hanning sprach von einem „grundlegenden Fehler“ des US-Kommandos.

Osama entstammte der saudi-arabischen Großfamilie der bin Ladens, auch häufig „Binladens“ geschrieben. Der Vater von Osama hatte nie richtig lesen und schreiben gelernt. Er hatte aber nach den Forschungen der Historiker einen „ungeheuren Tatendrang und einen ausgeprägten Geschäftssinn“. Zunächst schlug sich bin Laden senior als Lastenträger für Pilger durch, gründete aber nach eisernem Sparen eine Baufirma, mit der er neben dem Bau von Großprojekten für Straßen und Flugplätze schließlich vom saudi-arabischen Königshaus sogar den Auftrag zur Renovierung der Heiligen Stätten erhielt. Mohammed bin Laden wurde schließlich Minister für öffentliche Angelegenheiten, er verdiente ein gewaltiges Vermögen.

Nach islamischer Tradition hatte Mohammed bin Laden viele Frauen. 1956 zeugte er mit einer Syrerin aus Latakia Kind Nummer 17 und gab ihm den Namen Osama. Dieser galt als der „Heilige“ der Familie. Zum Beispiel sah Osama das Fußballspielen als „gottlosen Zeitvertreib“ an. Als Erbe der „milliardenschweren Bin Laden-Familie“ verwendete Osama die Mittel für den weltweiten „Dschihad“, den „Heiligen Krieg“ gegen alle „Ungläubigen“. Nach Schätzungen der Geheimdienste wurden seit der Gründung der islamisch-fundamentalistischen Terrororganisation al-Qaida 1998 in Afghanistan an die 50.000 junge Fanatiker in den afghanischen Ausbildungslagern an allem geschult, was den Terror in den Westen tragen konnte. Osama bin Laden soll mit mehreren Frauen mindestens 15 Kinder gezeugt und 25 Brüder sowie 29 Schwestern gehabt haben. Vor Jahren hatte er in einem Interview gesagt: „Ich bin Gott unendlich dankbar, dass er meiner Familie ermöglichte, meinen Weg zu verstehen. Sie betet immer für mich“.

Nach der Bekanntgabe des Todes von bin Laden sagte der frühere US-Präsident George W. Bush: „Diese bedeutsame Errungenschaft ist ein Sieg für Amerika, für Menschen in der ganzen Welt, die nach Frieden streben, und für all diejenigen, die am 11. September 2001 Angehörige und Freunde verloren haben.“ Weiter sagte er: „Der Kampf gegen den Terrorismus geht weiter, aber heute Abend hat Amerika eine unmissverständliche Nachricht gesandt: Egal, wie lange es dauert, Gerechtigkeit wird einkehren.“

Wie vor dem Weißen Haus in Washington haben sich in der Nacht zum Montag auch am Ground Zero in New York Hunderte Menschen versammelt, um den Tod von Terroristenchef bin Laden zu feiern. US-Präsident Barack Obama hatte in einer Rede den Tod bin Ladens bekannt gegeben. Es ei sein vorrangiges Ziel zu Beginn seiner Amtszeit gewesen, sagte Obama. Doch die Jagd nach Terroristen gehe weiter. Ground Zero ist der Ort, an dem die Zwillingstürme des World Trade Center standen. Bin Ladens Terroristen hatten am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme gesteuert, 2600 Menschen starben. Eine Maschine flog ins Pentagon in Washington, eine zerschellte auf einem Feld bei Shanksville im Bundesstaat Pennsylvania. Insgesamt über 3000 Menschen starben in den USA an jenem schrecklichen Tag, der als 9/11 in die Geschichte einging.

Mit Material von dapd, rtr, AFP und dpa