Lauenburg. Dreiste Diebe, trickreiche „Industrie-Ritter“ und eine verzweifelte Dienstmagd – sie und viele mehr standen 1870 vor Gericht.

podcast-image

Gerichtsverhandlungen haben schon immer das Interesse von Zeitungslesern geweckt. Man selbst, natürlich redlich und ohne Tadel, wollte wissen, wie die Schurken ausgefressen haben, und wie es ihnen ergeht, nachdem sie ertappt sind. Manches Mal ist aber auch Mitleid angebracht, wenn schlimme Umstände noch schlimmere Folgen haben. Eigentlich ist es heute nicht so viel anders, aber die Berichte zu den Verhandlungen sind es.

In den ersten Berichten der Allgemeinen Lauenburgischen Landeszeitung aus den Gerichtssälen werden weder Angeklagte, noch Staatsanwälte, Verteidiger oder Richter namentlich genannt. Rede und Gegenrede entfallen so weitgehend.

„Zu verschiedenen Malen Thaler aus der Chatulle entwendet“

So wird vom 22. September, aus der Strafkammer des Ratzeburger Kreisgerichts berichtet: Angeklagt ist ein Zimmermann aus Ratzeburg und ein Barbier aus Lübeck. Ersterer wegen Ruhestörung in trunkenem Zustande in einer fremden Wohnung und Widersetzlichkeit gegen einen zur Ruhestiftung herbeigerufenen Nachtwächter. Urtheil: 3 Wochen und drei Tage Gefängniß. Der Barbier war angeklagt, einem ihm verwandten Hufner in Grienau, bei dem er zu Besuch war, zu verschiedenen Malen 42 und resp. 40 Thlr. mittels eines falschen Schlüssels aus einer Schatulle entwendet zu haben.

Trotzdem Angeklagter seine Unschuld betheuerte, wurde der durch mehr oder minder gravirende Zeugenaussagen und durch den Umstand, daß ein bei ihm vorgefundener Schlüssel zur Chatulle passte, auch die Tochter des Hufners ihn bei der Verübung des zweiten Diebstahls beobachtet hatte, des schweren Diebstahls schuldig befunden und zu 2 Jahren Zuchthaus und Polizeiaufsicht auf gleiche Dauer verurtheilt.“

Womit sich so die Staatsanwaltschaft damals herumschlagen musste, verrät eine Anzeige, die von der „Staatsanwaltschaft von Stockhausen“ am 4. Oktober aufgegeben wurde. Sehr detailreich wird in einem einzigen langen Satz den Diebstahl einer Uhr und einer Kanne zu vermeldet: „In der Nacht zum 30. d. Mts. sind zu Sirksfelde resp. aus zwei bewohnten Gebäuden mittelst Einbruchs bzw. Einsteigens 1) eine silberne Zylinderuhr mit weißem Zifferblatt, schwarzen Zeigern, von denen der Stundenzeiger abgebrochen ist, der Secundenzeiger ganz fehlt, und römischen Zahlen nebst neusilberner Kapsel, sowie Messing-Kette und Schlüssel 2) eine von unten nach oben spitz zulaufende messingene Kaffeekanne gestohlen worden“.

Trickreich eine Uhr gestohlen – doch der Dieb wird geschnappt

Ebenfalls eine Uhr ist bei folgendem Fall im Spiel, der am 12. Oktober in Ratzeburg verhandelt wurde. Ein Arbeitsmann aus Mölln, der eine Uhr erschwindelt hatte; wurde zu „einem Monat Gefängniß, 50 Thlr. Geldbuße event. noch einem Monat Gefängniß und einem Jahr Ehrverlust verurtheilt“.

Der Fall sei von „einigem Interesse“ gewesen. So habe „der Industrie-Ritter auf der Straße (Abends, als es schon dunkelte) beobachtet, daß ein Fremder einem Uhrmacher die Uhr zur Reparatur übergab, und dabei bemerkte, daß er dieselbe nach einer halben Stunde abholen wolle. Zur bestimmten Zeit kam nun der Angeklagte, welcher dem Uhrmacher nicht bekannt war, forderte die Uhr und zahlte die Reparaturkosten. Inzwischen kam der Eigenthümer der Uhr hinzu, welch Letzterer dem Uhrmacher noch Geld wechselte behufs Herausgabe an den Angeklagten. Nachdem Letzterer sich entfernt, kam der Eigenthümer mit seinem Wunsch erst hervor, und so stellte sich der Betrug heraus. Noch am selbigen Abend wurde die Uhr dem Angekl. in einer Wohnung, wohin er besuchsweise gegangen und woselbst er sich hinter einem Ofen versteckt, nach längerem Leugnen Seitens des Angekl. abgenommen.“

Der Begriff „Industrie-Ritter“ bedeutet so viel wie Hochstapler, ein scheinbar ritterlich auftretender Gauner oder betrügerischen Glücksjäger. Doch nicht nur Männer standen 1870 vor dem Kreisgericht. So wird über eine aus dem Mecklenburgischen gebürtige Dienstmagd berichtet, die einem Hufner zu Gülzow Bettstücke gestohlen hatte. Sie wurde zu 3 Monaten Gefängnis und einem Jahr Ehrverlust verurteilt. „Sie war der That geständig und nach ihrer Aussage in Noth, weil sie ihrem Bräutigam, mit dem sie sich in nächster Zeit zu verehelichen gedachte, den Besitz eines Bettes vorgeschwindelt, und hatte sich behufs Erlangung eines solchen auf unredliche Weise zu dem Hufner in Dienst begeben, denselben aber schon am nächsten Morgen mit dem gestohlenen Gut heimlich verlassen.

„Die Angeklagte wollte das Leben des Kindes nicht bemerkt haben“

Weitaus ausführlicher werden Verhandlungen vor dem Schwurgericht im Dezember beschrieben und diesmal auch alle Beteiligten mit ihren Titeln, Namen und Herkunftsort genannt. Die Geschworenen stammen alle aus der näheren Umgebung, unter anderem Förster Homburg aus Schwarzenbek und ein Herr Specht aus Aumühle. Unter anderem geht es da sogar um Mord, genauer Kindsmord. Angeklagt war eine Dienstmagd aus Schweden, zuletzt in Hohenhorn in Dienst.

Die Angeklagte hatte Ende März d. J. heimlich geboren, dem Kinde gleich nach der Geburt das Band einer Schürze und außerdem eine Schürze fest um den Hals gebunden und das Kind sodann in ihre Kommode gelegt. Etwa 8 Tage später fand ihre Dienstherrschaft, welche schon längst die Schwangerschaft der Magd und, da dieselbe nun auffallen leidend aussah und zu Bett liegen musste, auch die heimliche Geburt vermuthete, die Kindesleiche in der Kommode versteckt vor. (...) Die Angeklagte wollte das Leben des Kindes nicht bemerkt und das Zeug um den Hals desselben gewickelt haben, damit, falls es schreie, dasselbe daran verhindert sei, weil sie ihre Herrschaft fürchtete. (...) Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage, verneinten jedoch die Zusatzfrage, ob die Angeklagte mit Unterscheidungsvermögen gehandelt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde sodann die Angeklagte von der Anklage des Kindesmordes freigesprochen und sofort aus der Untersuchungshaft entlassen.

Folge 7: Geister, Hirnverbrannte und ein vehementer Friseurbesuch

Folge 6: Krieg mit Mini-Soldaten und sehr heißen Tagen vor Paris

Folge 5: Von fetten Pferden bis zur "Fünf-Minuten-Terrine"

Folge 4: Von Weinfässern, Wohnungen mit Stall bis zu warmen Füßen

Folge 3: Wo das Fremdwort "Madame" einen Silbergroschen kostete

Folge 2: Raub, Feuer, Falschgeld und langatmige Versammlungen

Folge 1: Politik von Bismarck bis zum dänischen Königshaus

Dies und mehr können Sie in unserem Podcast (ähnlich wie ein Hörbuch) anhören – zudem alle zuvor erschienen Folgen, www.bergedorfer-zeitung.de/podcast