Hamburg. Ein renommierter Onkologe über den aktuellen Stand der Forschung und die Versorgung der Patienten in Hamburg.

In 20 Jahren wird Krebs heilbar sein. Das hat zumindest Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor wenigen Wochen in Aussicht gestellt. Professor Dr. Dirk Arnold, medizinischer Vorstand des Asklepios Tumorzentrums in Hamburg und international renommierter Onkologe, ist in dieser Hinsicht zurückhaltender als der CDU-Politiker. „Das ist natürlich eine sehr provokante These. Aber womit der Minister recht hat: Wir müssen versuchen, noch mehr Patienten zu heilen. Und wir müssen es schaffen, dass ohne Tabus über Krebs gesprochen wird“, sagt der habilitierte Mediziner in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

Krebspatienten werde oft Schuld an Krankheit gegeben

Wenn jemand an einem Tumor erkranke, schwinge oftmals noch unausgesprochen mit: „Der ist ja auch ein bisschen selbst schuld. Hat geraucht und nicht gesund gelebt.“ Patienten, die einen Herzinfarkt überlebt hätten, würden dagegen teils fast schon bewundert, frei nach dem Motto: „Er hat so hart gearbeitet, bis das Herz einfach nicht mehr mitgemacht hat.“ Weder das eine noch das andere stimme bedingungslos, sagt der Experte. „Krebs ist immer noch tabuisiert, obwohl es mittlerweile eine Massenerkrankung ist.“

Allein am Hamburger Asklepios Tumorzentrum, das die Expertise von mehr als 200 Spezialisten aus sieben Kliniken bündelt, stellen sich jedes Jahr 16.000 neu Erkrankte vor. Bundesweit ist Krebs mit seinen rund 100 unterschiedlichen Arten, die sich dann auch noch in vielfache Unterformen aufteilen, nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache, 230.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. „Die Herausforderung ist, dass Tumorerkrankungen zwar sehr stark verbreitet und ein Massenphänomen sind, aber gleichzeitig in der Behandlung einen hohen Grad an Spezialisierung verlangen.“

Wohnortnahe Versorgung und Behandlung durch Spezialisten

Das Tumorzentrum, das der Onkologe, der unter anderem zuvor als Medizinischer Direktor das Hubertus Wald Tumorzentrum am UKE geleitet hat, maßgeblich für Asklepios mit aufgebaut hat, setzt genau da an: „Einerseits garantieren wir damit eine wohnortnahe Versorgung der Krebspatienten in einer Klinik in unmittelbarer Nähe, andererseits bieten wir ihnen die Möglichkeit, in einem anderen Haus, aber immer noch innerhalb des Stadtgebietes, von einem absoluten Spezialisten operiert oder besonders gezielt, zum Beispiel mit einer Hochpräzisionsbestrahlung, therapiert zu werden. Denn natürlich kann nicht alles überall gleich gut behandelt werden, dafür sind die Krankheitsbilder zu heterogen.“

Ziel sei es immer, für jeden Patienten die beste Therapie auszusuchen, sagt der anerkannte Krebsmediziner, der eigentlich mal Kinder- und Jugendpsychiater werden wollte und erst nach dem Studium durch „Zufall“ in der Onkologie gelandet ist. „Was mir an diesem Fach gefällt, ist, dass ich Patienten über einen langen Zeitraum in einer schwierigen Situation beraten und betreuen darf.“

27 Tumorkonferenzen in der Woche

Doch wie funktioniert so ein Zen­trum mit verschiedenen Standorten rein organisatorisch? In sogenannten Tumorboards werde regelmäßig die Situation eines Krebspatienten mit allen relevanten Spezialisten des Zentrums, die teils dann per Video zugeschaltet würden, diskutiert. Jede Woche stehen 27 dieser Konferenzen, die jeweils im Schnitt 25 bis 40 Minuten andauern, im Asklepios Tumorzentrum auf dem Plan. „Danach hat man ein breites Stimmungsbild und meist auch einen Konsens erzielt. Im nächsten Schritt stellen wir dann dem Patienten und auch dessen Angehörigen vor, was wir als weitere Schritte vorschlagen. Denn es passiert nichts ohne das Einverständnis der Betroffenen.“

Die Forschung habe in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht, sagt der Arzt, der zwischen seinem Arbeitsplatz in Hamburg und seiner Familie in Berlin („Ein Luxus, in den beiden besten deutschen Städten zu Hause zu sein“) pendelt. Zum einen kenne man durch die Ergebnisse der Molekularbiologie die Tumore viel besser als früher. „Wir wissen zum Beispiel konkret, wie genau sich bei Brustkrebs krankes Gewebe von gesundem unterscheidet. Das ermöglicht eine zielgerichtete Therapie.“

Fortschritte in der Forschung – das Ziel der nächsten Jahre

Zudem sei die Immuntherapie in den vergangenen Jahren in den Vordergrund gerückt. „Wir wissen ja, dass die Tumore clever sind und sich sehr gut tarnen. Es ist, als werfe sich Harry Potter diesen Zaubermantel über. Mittlerweile gibt es ein raffiniertes Therapieprinzip, das den Mantel wegreißt und die Bösen freilegt.“ So gelinge es durchaus, Patienten zu helfen.

„Ja, wir heilen mehr, aber nicht sehr viel mehr. Was gut gelingt, ist, dass wir es heute vermehrt schaffen, den Krebs gewissermaßen zu chronifizieren, so dass Patienten damit möglichst beschwerdefrei einige Jahre länger leben können.“ Die Therapien noch weiter zu verbessern, das sei der Antrieb für die nächsten Jahre. „Ich hoffe einfach, dass wir ganz oft verhindern können, dass frühe Stadien zu späten werden.“

„Die digitale Sprechstunde“
ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beant­wortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert. Die aktuelle Folge und alle bisherigen Episoden hören Sie auf www.abendblatt.de/digitale-sprechstunde/

Nächste Folge: Privatdozent Dr. Marc Schargus, Chefarzt für Augenheilkunde an der Asklepios Klinik Nord-Heidberg, über die sogenannte Makuladegeneration, Hornhauttransplantationen, „Flusen“ im Auge und darüber, wann es gefährlich wird. Haben Sie Anregungen? Schreiben Sie uns eine E-Mail an sprechstunde@abendblatt.de