Hamburg. Kardiologie-Chefarzt Professor Dr. Stephan Willems über die Volkskrankheit Vorhofflimmern.

Wie gefährlich ist es, wenn das Herz aus dem Takt gerät? Wenn der Rhythmus gestört ist, weil der Impulsgeber unseres Lebens plötzlich zu schnell klopft oder nur noch unregelmäßig schlägt?

Drei Millionen Deutsche leiden schon an sogenanntem Vorhofflimmern. In 30 Jahren, da sind sich die Mediziner sicher, werden es wegen der demografischen Entwicklung mindestens doppelt so viele sein. „Denn dieses Phänomen ist stark altersabhängig“, erklärt Professor Dr. Stephan Willems in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. „Bei den unter 60-Jährigen liegt das Risiko für Vorhofflimmern bei unter einem Prozent, danach steigt es jedoch rasant an.“

Grundsätzlich sei eine gelegentliche Rhythmusstörung, die sich auf der Ebene des Vorhofes abspiele, zunächst einmal nicht per se lebensbedrohlich, sagt der habilitierte Mediziner, der zum 1. Juli als Nachfolger von Professor Kuck den Chefposten in der Kardiologie an der Asklepios Klinik St. Georg übernommen hat. „Ein paar Extraschläge hat jeder, da darf man sich nicht verrückt machen. Allerdings kann Vorhofflimmern eben indirekt gefährlich werden, weil es das Schlaganfallrisiko steigert.“ Etwa 15 Prozent aller Schlaganfälle gehen ursächlich auf Herzrhythmusstörungen zurück. Besonders gefährdet seien dabei ältere Patienten, die durch erhöhten Blutdruck und/oder Übergewicht ohnehin ein Risikoprofil hätten.

Symptome ernst nehmen und einen Arzt aufsuchen

Daher rät der renommierte Herzspezialist, der auch Vorstand des deutschen Kompetenznetzes Vorhofflimmern ist, bei unregelmäßigem Herzklopfen sowie bei Symptomen wie Luftnot und Abgeschlagenheit den Arzt aufzusuchen. „Denn Herzrhythmusstörungen können auch Ausdruck einer anderen schweren Herzerkrankung sein. Vielleicht stimmt etwas mit den Herzklappen oder mit den Herzkranzgefäßen nicht?“

Oft, und das sei fast schon ein Klassiker in der Medizin, sei Vorhofflimmern ein Indiz für eine Überfunktion der Schilddrüse. „Das muss man alles erst einmal genau abklären. Ebenso wie das Schlaganfallrisiko. Ist dieses erhöht, wird zur Vorbeugung eine Blutverdünnung eingeleitet“, sagt der Experte, dem – und das hat durchaus für Gespräche in der Stadt gesorgt – bei seinem Wechsel ein Team von knapp 20 Mitarbeitern vom UKE zu Asklepios gefolgt ist.

Smartwatches hält der Arzt für sinnvoll

Je früher Herzrhythmusstörungen erkannt würden, desto effektiver könnten sie behandelt werden. „Es ist immer schlecht, wenn ein Leiden schon chronisch geworden ist“, so der Vater zweier erwachsener Söhne, der gern mit seiner Frau um die Alster joggt. Bei der Früherkennung könnten Smartwatches, also beispielsweise die Uhr von Apple, durchaus helfen.

„Die Qualität der Rhythmusaufzeichnung ist ausgesprochen gut“, sagt der Mediziner. „Man darf dann natürlich nicht bei jedem Ausschlag panisch werden, aber so eine Uhr parallel zu einer ärztlichen Behandlung als Kon­trollfunktion zu nutzen, das kann durchaus sehr sinnvoll sein.“

Zwei Therapiemöglichkeinden stehen zur Verfügung

Doch wie sieht die Therapie bei Vorhofflimmern aus? Träten die Rhythmusstörungen selten und anfallsartig auf, könne nach dem sogenannten „Pill in the pocket“-Prinzip behandelt werden. „Das heißt, der Patient nimmt zunächst unter ärztlicher Aufsicht und während EKG-Kontrollen laufen, ein Medikament ein. Bewährt sich das, kann man das dem Betroffenen als Therapiekonzept an die Hand geben.“ Es gebe viele Patienten, die über Jahre mit dieser medikamentösen Behandlung gut zurecht kämen.

Werde ein Patient jedoch häufiger von Herzrhythmusstörungen heimgesucht, sei eine Dauertherapie mit Medikamenten nicht zwangsläufig das Mittel der Wahl. „Da steht dann oft doch eher die kathetergestützte Behandlung an, mit der wir das Vorhofflimmern komplett eliminieren können“, sagt Professor Stephan Willems, der aus einer Medizinerfamilie stammt („Vater Internist, Mutter Allgemeinmedizinerin, Schwester Ärztin. Man könnte fast denken, ich hätte keine andere Wahl gehabt.“).

Bei einer Ablation werden Störherde verödet

Knapp zwei Stunden dauere die sogenannte Katheter-Ablation, die man sich laienhaft wie eine Verödung vorstellen kann. Bei dem minimalinvasiven Eingriff, der allein in St. Georg mehrmals täglich durchgeführt wird, werden mithilfe eines Spezialkatheters die Störherde aufgesucht und durch Hochfrequenzstrom oder mittels eines Ballonverfahrens ausgeschaltet. „Die Erfolgsquote liegt bei bis zu 80 oder bis zu 90 Prozent und damit deutlich höher als jene der medikamentösen Behandlung.“ Der Patient selbst bekomme von dem Eingriff nichts mit.

„Das Unangenehmste ist nach dem Aufwachen der Druckverband. Und dass es ein paar Wochen dauern kann, bis sich der Körper komplett erholt hat“, sagt der Chefarzt, der an seiner neuen Wirkungsstätte auch auf neue Verfahren in der Schrittmachertechnik setzt, die vor allem Patienten mit Herzschwäche helfen können. „Wir wissen, dass bei Herzschrittmachern die Sonden, die vom System zum Herzen führen, mitunter anfällig sind. Deshalb werden teils schon Systeme ohne Sonden eingesetzt.“

Gesundheits-Podcast mit Asklepios

Die "Digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert.

Nächste Folge: Dr. Veronika Wolter, Leiterin des Hanseatischen Cochlea Implantat Zentrums an der Asklepios Klinik Nord, über Hilfe für Gehörlose. Sie selbst hat als Neunjährige große Teile ihres Gehörs eingebüßt, trägt selbst Implantate.

Haben Sie Anregungen? Schreiben Sie uns gern eine E-Mail an sprechstunde@abendblatt.de