Hamburg. Dr. Harald Daum, Chefarzt der Gefäßchirurgie am Asklepios Klinikum Harburg, erklärt, was man unter der Schaufensterkrankheit versteht.

Wer beim Stadtbummel kurz vor einem Schaufenster stehenbleibt, interessiert sich nicht zwangsläufig für die Auslage. Es könnte auch einer der bundesweit rund 4,5 Millionen Betroffenen sein, die an der „Schaufensterkrankheit“ leiden, wie der Volksmund die periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) nennt. „Die Patienten spüren beim Laufen einen so starken Schmerz, einen geradezu unerträglichen Krampf in der Wade, dass sie teilweise schon nach wenigen Metern anhalten müssen“, erklärt Dr. Harald Daum, Chefarzt der Gefäßchirurgie am Asklepios Klinikum Harburg, in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“. „Weil das aber vielen Betroffenen unangenehm ist, bleiben sie gern vor einem Schaufenster stehen, um unauffällig auf Besserung der Symptome zu warten.“

Rauchen ist der Risikofaktor Nummer eins

Doch selbst wenn es nach wenigen Minuten wieder geht, sind die möglichen Folgen dieser Erkrankung, einer schweren Durchblutungsstörung, nicht so harmlos wie die bildliche Beschreibung „Schaufensterkrankheit“ es vielleicht vermuten lässt. Schlimmstenfalls werde die Blutversorgung irgendwann komplett unterbrochen, so dass ganze Bereiche abstürben, was zum sogenannten Raucherbein führen könne, so der Gefäßchirurg, der auf 30 Jahre Expertise zurückblickt.

„Ich weiß, viele hören das jetzt nicht ganz so gern. Aber tatsächlich sind 95 Prozent der Patienten Raucher oder Menschen, die jahrelang viel geraucht haben.“ Rauchen sei einfach der Risikofaktor Nummer eins, gefolgt von erhöhten Blutfettwerten, zu hohem Blutdruck und/oder Übergewicht. Auch Diabetiker seien gefährdet. „Es gibt eine typisch diabetische Form der Verschlusskrankheit, bei der das Unterschenkelgefäß-System betroffen ist“, so der Experte.

Das Herzinfarkt-Risiko ist stark erhöht

Grundsätzlich sei es wichtig, das Gefäßsystem wie ein Organ zu betrachten. „Es handelt sich um eine Systemerkrankung. Man ist also von den Hacken bis zum Nacken erkrankt“, sagt der Chefarzt, der in Uetersen geboren wurde und in Buchholz in der Nordheide lebt. Im Klartext: Wer an der Schaufensterkrankheit leide, habe auch ein stark erhöhtes Risiko, dass die Herzkranzgefäße verkalkt seien, was zu einem lebensbedrohenden Herzinfarkt führen könne. Tatsächlich zeigen Studien, dass 75 Prozent der Erkrankten früher oder später einen Herzinfarkt erleiden.

„Dringend muss auch die Halsschlagader untersucht werden, um das Schlaganfallrisiko zu bestimmen“, sagt Dr. Harald Daum, der in Hamburg Medizin studiert hat und damals schon während des Praktischen Jahres an der Klinik in Harburg gearbeitet hat, an der er heute als Chefarzt tätig ist. „Ich habe mich also richtig hochgearbeitet“, sagt er lachend.

Im Frühstadium kann gezieltes Gehtraining helfen

Doch wann ist es Zeit, erstmals den Arzt aufzusuchen? „Am besten schon bei den ersten Symptomen“, sagt der Spezialist. Aber die Früherkennung sei zugegebenermaßen schwierig und hänge stark vom Leidensdruck des einzelnen Patienten ab. „Es gibt Betroffene, die sehr aktiv sind, die Sport treiben oder tanzen und die es dann extrem in ihrer Lebensqualität einschränkt, wenn sie nach 2000 Metern nicht mehr können. Die gehen dann vielleicht eher zum Arzt als jene, die nur noch 50 Meter schmerzfrei gehen können, sich aber sagen: Nicht so tragisch, zum nächsten Zigarettenautomaten komme ich ja so noch.“

Dabei lasse sich die Schaufensterkrankheit zunächst sehr gut medikamentös behandeln. „Allerdings ist es wichtig, dass die Patienten gleichzeitig auch ihren Lebensstil ändern, also möglichst nicht mehr rauchen, sich gesünder ernähren und sich mehr bewegen.“ Die Teilnahme an Gefäßsportgruppen, wie auch Asklepios sie anbiete, könnte im Frühstadium ebenso helfen wie gezieltes Gehtraining. „Es ist nicht selten, dass Patienten dann binnen zwölf Wochen ihre Gehstrecke, also die Distanz, die sie schmerzfrei zurücklegen können, verdoppeln.“

Die größte Angst der Patienten: Ein Bein zu verlieren

Eine Operation ist erst dann dringend angeraten, wenn der Verlust einer Extremität droht. „Wenn Schmerzen im Ruhezustand auftreten, wenn also nachts im Liegen der Fuß höllisch schmerzt, dann ist das ein sehr bedrohliches Symptom.“ Eine Amputation, wie sie derzeit jedes Jahr bei bundesweit rund 50.000 Patienten wegen einer Durchblutungsstörung durchgeführt werde, sei nicht unbedingt nötig, die Zahlen auch leicht rückläufig.

„Es ist natürlich immer die größte Angst der Patienten, zum Beispiel ein Bein zu verlieren“, sagt der Mediziner. „Und diese Sorge ist auch nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es, darüber aufzuklären, dass die OP-Methoden in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden sind“, sagt der Fußballfan („Altona 93. Die sind noch nicht so kommerzialisiert“), der als Stürmer auch jahrelang mit einem Team aus Harburg an den Deutschen Krankenhausmeisterschaften teilgenommen hat.

So setze man stark auf den sogenannten Ballonkatheter. Bei diesem Eingriff werde zunächst ein Draht in das verschlossene Gefäß geschoben und anschließend folge ein Ballon. Dann dehne man das Gefäß mit einem „irre hohen Druck von bis zu 15 bar“ auf und drücke den Kalk in die Wand. „Es ist absolut erstaunlich“, sagt der Arzt, der in seiner Freizeit gern mit seiner Frau zum Tanzen geht und mit seiner zweijährigen Enkelin Zeit verbringt. „Wenn ich es nicht seit Jahren täglich erleben würde, wie toll diese Methode funktioniert - ich würde es selbst nicht glauben.“

Nächste Folge: Prof. Dr. Dirk Arnold, Medizinischer Vorstand Asklepios Tumorzentrum Hamburg, über die Versorgung von Krebspatienten in Hamburg