Hamburg. Der Spezialist verrät in der „Digitalen Sprechstunde“, auf welche Warnsignale man achten soll und was dann zu tun ist

Sonntagnachmittag, die Familie sitzt an der Kaffeetafel zusammen, als Opa plötzlich die Gabel fallenlässt. Er kann nichts mehr sagen, ist nicht ansprechbar. Nach wenigen Minuten aber ist alles wieder gut. „Nichts ist gut, das ist ein fataler Trugschluss“, sagt Privatdozent Dr. Dr. Lars Marquardt. „Es ist ein großer Fehler, dann erst mal eine Nacht über alles zu schlafen und zu warten, bis die Hausarztpraxis am Montagmorgen öffnet“, warnt der Schlaganfall-Spezialist in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Gesundheitspodcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

Man solle bei diesen Anzeichen sofort den Rettungsdienst alarmieren, der den Patienten umgehend mit Blaulicht in die nächstgelegne Klinik mit Schlaganfall-Spezialeinheit bringe, sagt der habilitierte Neurologe, seit viereinhalb Jahren Chefarzt an der Asklepios Klinik Wandsbek und Leiter des Interdisziplinären Geriatrischen Zentrums dort.

Denn diese schlagartig auftretenden Ausfallerscheinungen, wie eine plötzliche halbseitige Lähmung, Sprach- und Sehstörungen (Doppelbilder!) oder auch Schwindel, seien typische „Vorboten“ eines Schlaganfalls. Mediziner nennen diese Symptome „transitorische ischämische Attacke“ (TIA). Das Risiko eines Schlaganfalls sei in den Stunden danach extrem erhöht, sagt der Experte. „Jede Minute zählt, die Engländer sagen dazu ganz treffend ‘time is brain’“, sagt der Mediziner, der auch in Oxford geforscht hat. „Je früher der Patient zu uns kommt, desto höher ist die Chance, den Schlaganfall sehr gut und effektiv zu behandeln, sodass das Gehirn möglichst keinen Schaden nimmt. Das geht aber nur in den ersten viereinhalb Stunden nach Auftreten der Attacke.“

28 Menschen erleiden pro Tag in Hamburg einen Schlaganfall

Doch was passiert überhaupt bei einem Schlaganfall, dieser im wahrsten Sinne des Wortes „schlagartig“ auftretenden Erkrankung, die jedes Jahr bundesweit 300.000 und in der Hansestadt jährlich 10.000 Menschen, also 28 Hamburger pro Tag, trifft? „Man unterscheidet zwei Formen“, erklärt Chefarzt Lars Marquardt, der mit Frau und vier Kindern in Volksdorf („schönster Stadtteil überhaupt“) wohnt. „Es gibt die Blutung, bei der ein Gefäß im Gehirn platzt. Oder es passiert, dass ein Gefäß verstopft, was bei 80 Prozent der Schlaganfall-Patienten geschieht. Da wird also ein Areal des Gehirns plötzlich nicht mehr versorgt und stirbt ab, wenn man nicht zeitnah etwas unternimmt.“

Jeder Zweite leidet unter Folgen – Lähmung ist typisch

Zunächst werde immer ein Bild des Gehirns gemacht, denn die Behandlung der beiden Schlaganfall-Typen unterscheide sich natürlich grundlegend. „Ist ja logisch, denn bei der ersten Variante ist zu viel Blut da, bei der zweiten durch die Verstopfung viel zu wenig.“ Letztere und eben häufiger auftretende Variante werde, sofern der Patient wirklich schnell in die Notaufnahme komme, akut therapiert. „Im Prinzip noch auf der Liege des Rettungswagens spritzt man dem Patienten ein Medikament, das die Verstopfung aufhebt und so verhindert, dass Gehirnzellen absterben.“ Sonst drohten erhebliche Folgeschäden, wie sie immer noch jeder zweite Patient nach einem Schlaganfall davontrage. „50 Prozent der Betroffenen sind nach einem Schlaganfall leider in irgendeiner Form eingeschränkt, womöglich sogar pflegebedürftig“, sagt der Spezialist. Das reiche von Lähmungserscheinungen über Sprachstörungen bis hin zu Depressionen, an denen Studien zufolge bis zu 30 Prozent der Betroffenen nach einem Schlaganfall leiden. „Diese psychische Komponente darf man nicht unterschätzen“, sagt der gebürtige Westfale, der nach dem Zivildienst in Heidelberg studiert und auch promoviert hat. „Manchmal ist so eine Depression nämlich für den Patienten, aber auch für die pflegenden Angehörigen, noch belastender als die körperlichen Symptome, die man mit Physio- oder Ergotherapie ganz gut behandelt.“

Warnsignale früh erkennen und sofort Notruf absetzen

Der Schlaganfall, unter Medizinern Apoplex genannt, ist eine Volkskrankheit, die vor allem Ältere trifft. Ab Mitte 60 steige die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gefäß im Gehirn verstopfe, deutlich an. Ein besonders hohes Risiko trügen dabei Menschen mit erhöhtem Blutdruck. „Das ist und bleibt der Hauptfaktor Nummer eins“, sagt der Mediziner, der gern beim Motorradfahren und bei Spaziergängen mit dem Boxer-Mischling der Familie entspannt. Aber auch Raucher sowie Diabetiker und Menschen mit Herz-Rhythmus-Störungen, dem sogenannte Vorhofflimmern, seien stärker gefährdet, so der Experte.

Für die Früherkennung sei es wichtig, dass man die Warnsignale eines Schlaganfalls ernst nehme. Für Rettungskräfte wurde einst der sogenannte FAST-Test entwickelt. Die Großbuchstaben stehen dabei als Abkürzung für die englischen Begriffe Face (Gesicht), Arm (Arm), Speech (Sprache) und Time (Zeit). Komponenten davon lassen sich aber auch von jedem Familienmitglied oder Bekannten eines Betroffenen anwenden, sagt der Mediziner, der als Junge Archäologe werden wollte. So könne es helfen, den Großvater an der Kaffeetafel – um im Beispiel vom Anfang zu bleiben – zu bitten, einmal zu lächeln, den Arm zu heben oder einen einfachen Satz nachzusprechen. „Klappt das nicht, ist es an der Zeit, wirklich sofort den Notruf zu wählen“, sagt Privatdozent Dr. Dr. Lars Marquardt eindringlich.

Schlaganfall-Versorgung in Hamburg weltweit top

„Eines habe ich im Laufe meiner Karriere festgestellt: Das System der Versorgung ist hier top“, sagt der Neurologe, der lange in England, den USA und der Schweiz gelebt und geforscht hat. „Die Schlaganfall-Versorgung wie wir sie hier in Hamburg haben“, sagt der Chefarzt der Asklepios Klinik Wandsbek, an der jedes Jahr rund 1500 Schlaganfall-Patienten behandelt werden, „die ist wirklich weltweit einmalig.“

Der Podcast

„Die digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert. Die aktuelle Folge und alle bisherigen Episoden hören Sie auf www.abendblatt.de/ digitale-sprechstunde/

Nächste Folge: Professer Dr. Christian A. Sander, Chefarzt der Eduard-Arning-Klinik für Dermatologie an der Askleipos Klinik St. Georg, über die Gefahren der Sonne. Wie entsteht Hautkrebs, was ist der richtige Lichtschutzfaktor, wer ist gefährdet?

Haben Sie Anregungen? Schreiben Sie uns gern eine E-Mail an sprechstunde@abendblatt.de