Hamburg. Vergesslichkeit oder schon Demenz? Prof. Dr. Marrakchi, Leitender Neuropsychologe des AK Barmbek, sagt, wann man zum Arzt sollte.

Man lässt den Haustürschlüssel in der Wohnung liegen und der Name des Nachbarn fällt einem partout nicht mehr ein. Ist das noch Vergesslichkeit oder schon Demenz? „Natürlich ist nicht jeder, der mal etwas verschusselt, gleich dement. Aber es gibt eindeutige Warnsignale“, sagt Professor Dr. Sasha Marrakchi, Leitender Neuropsychologe an der Asklepios Klinik Barmbek, in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Gesundheitspodcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

Falls das Kurzzeitgedächtnis auffallend leide, also relativ frisch zurückliegende Ereignisse nicht erinnert würden, und falls ein und dieselbe Geschichte immer wieder erzählt und ein und dieselbe Frage immer wieder gestellt werde, sei ein Arztbesuch ratsam.

„Wird dieses Verhalten schlimmer, dann kann es sich um Demenz handeln“, sagt der Experte. Mehr als 50 Formen von Demenz gebe es, von denen Alzheimer, woran 65 Prozent der Erkrankten leiden, die häufigste und bekannteste sei. Ab dem 75. Lebensjahr, so der studierte Psychologe, steige das Risiko, an Demenz zu erkranken.

Demenz-Fälle könnten sich verdreifachen

Und es trifft immer mehr Menschen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat gerade erst vor einer regelrechten Epidemie gewarnt. Bis zum Jahr 2050 könnten weltweit 152 Millionen Menschen erkrankt sein – das entspricht einer Verdreifachung der aktuellen Fälle.

„Diese Entwicklung liegt vor allem am demografischen Wandel“, sagt Professor Sasha Marrakchi. „Wir werden immer älter, weil viele Krankheiten, an denen man früher gestorben wäre, überlebt werden. Und mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Gedächtnisleistung nachlässt.“

In seiner Gedächtnis-Sprechstunde, für die Patienten derzeit im Schnitt etwa acht Wochen auf einen Termin warten müssen, untersucht der Experte mit dem sogenannten Cerad-Test, der derzeit als „Goldstandard“ in der Demenz-Diagnostik gilt, ob das Leistungsvermögen des Patienten dessen Alter entspricht.

Mangel an Vitamin D kann kognitive Leistung mindern

„Der Patient muss zum Beispiel Tiere aufzählen oder andere Aufgaben in einem bestimmten Zeitfenster lösen.“ Im Anschluss wird radiologisch ein Bild des Kopfes gemacht, es folgen Laboruntersuchungen und ein Bluttest. „Denn gar nicht so selten ist die Ursache für die verminderte kognitive Leistung schlicht ein Mangel an Vitamin D.

Die Diagnostik bei Demenz ist immer ein Ausschlussverfahren“, sagt der 47-Jährige, der vor seinem Psychologie-Studium an der Universität Hamburg bei der Zeitschrift „Funk Uhr“ volontiert hat und eigentlich mal in der Werbung arbeiten wollte. Ein Praktikum in der Neurologie habe ihn dann aber nachhaltig beeindruckt und seinen Berufswunsch verändert. „Das Schicksal der Demenz-Patienten ging mir nahe. Und ich fand es unbefriedigend, dass es so wenig Hilfe gibt.“

Demenz ist nicht heilbar

Heilbar ist Demenz bis heute nicht. „Wir warten seit Jahren auf einen Durchbruch in der Forschung.“ Bis dahin müsse es das Ziel sein, die Lebensqualität der Patienten so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, zum Beispiel durch Acetylcholinesterase-Hemmer, die den kognitiven Abbau zwar nicht aufhalten, ihn aber zumindest verlangsamen.

„Die Krankheit ist grausam, sie schreitet langsam, aber unaufhörlich voran. Und wer körperlich sonst gesund ist, der hat eine gute Chance, nach etwa zehn Jahren das Endstadium mitzuerleben.“ An Demenz selbst sterbe niemand, sondern an Begleiterscheinungen wie Stürzen oder durch Verschlucken.

Prof. Dr. Marrakchi rät zur Selbsthilfegruppe

Den rapiden Verfall eines geliebten Menschen anzusehen, sei für Angehörige eine große Belastung, weiß der Experte, dessen Mutter dement war, aus eigener Erfahrung. „Ich kann gerade pflegenden Angehörigen nur unbedingt die Selbsthilfegruppen, zum Beispiel jene der Alzheimer-Gesellschaft, empfehlen.

Auch die Angehörigen-Schule von Asklepios sei ein tolles Angebot. Man tausche sich aus und erfahre auch ganz pragmatisch, wie und wo man beispielsweise Pflegegeld beantragt.“ Für Angehörige sei es wichtig, entlastet zu werden. „Sonst haben wir nachher den Patienten hinter dem Patienten.“

Vorbeugung? Kaum möglich

Doch was kann man vorbeugend tun? „Schwierig, denn die Ursache der Erkrankung ist leider nicht final geklärt. Eine Erbkrankheit ist es nicht, das weiß man immerhin.“ Offenbar seien es Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn, die entzündungsfördernd wirkten.

„Grundsätzlich hilft es natürlich, nicht zu rauchen, Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren. Aber das gilt ja immer“, sagt Professor Sasha Marrakchi, der in seiner Freizeit gern mit seinem Hund um die Alster spaziert und im Urlaub am liebsten taucht – das nächste Mal in Papua-Neuguinea. „Es ist unbefriedigend, aber eine Garantie, nicht an Demenz zu erkranken, gibt es leider nicht.“

Gesundheits-Podcast mit Asklepios

„Die digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert.

Nächste Folge: Professor Dr. Thomas Carus, Chefarzt der Chirurgie, Gefäßchirurgie und spezielle Visceralchirurgie über Fettleibigkeit.

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