Deutschlands erfolgreichste Techno-Band und Deutschlands wichtigste Rock-Gruppe spielten am Wochenende in ihrer Heimat Hamburg.

Hamburg. "Bitte oszillieren Sie" lautet ein neuer Song der Band Tocotronic. Gesagt, getan. Das Konzert-Wochenende bot ideale Bedingungen, um zwischen den Extremen aus und in der Hansestadt zu pendeln. Zwischen Deutschlands erfolgreichster Techno-Band Scooter vor 12.000 Fans in der Color-Line-Arena und Deutschlands wichtigster Rockband Tocotronic vor 3000 Fans in der zweimal ausverkauften Großen Freiheit, zwischen Schall und Wahn. Das ist schon, um es im Scooter-Jargon zu sagen, Hardcore-Oszillieren.

Was treibt die Menschen dazu, entweder zu "Hyper Hyper"-Rufen des blondierten Bürstenkopfes H.P. Baxxter auszuflippen oder lieber zu einem theatral gesungenen "Die Folter endet nie" von Schlaumeier-Seitenscheitel Dirk von Lowtzow? Eine Studie. Scooter-Fans tendieren zu Produkt im Haar, Farbe im Gesicht und Neon sowie Glitzer am Shirt. Als Accessoire tragen sie Tätowierungen. Sie unterhalten sich vor dem Konzert darüber, wie "schlecht Whitney Houston bei 'Wetten, dass ..?' gesungen hat", dass sie "unbedingt noch den Bollerwagen umschweißen müssen" und wie der HSV gespielt hat. Die Männer trinken Bier und nennen sich "Alter".

Tocotronic-Anhänger bürsten sich die Haare gerne vor die Augen, bevorzugen Blässe im Gesicht und Ringel sowie Erdtöne in der Kleidung. Als Accessoire tragen sie kantige Brillen. Sie reden über "die unbekannteste B-Seite der Welt", dass sie sich "unbedingt noch ein Ticket fürs Glastonbury-Festival kaufen müssen" und wie St. Pauli gespielt hat. Die Männer trinken Bier und nennen sich "Alter".

Nicht zu übersehen ist: Beide Bands existieren seit 17 Jahren - und ihre Fans sind mitgealtert. Ganz viel Klassentreffen liegt sowohl in der Arena als auch in der Freiheit in der Luft. "Die Idole ihrer Jugend" wolle sie noch mal sehen, sagt Tina (35), Ergotherapeutin und "Tocotronic-Fan der ersten Stunde". Auch Mathias, Tischler (47), schwelgt in Erinnerungen: "Als ich 1994 das erste Mal 'Hyper Hyper' auf der Skihütte gehört habe, haben die Frauen oben ohne auf den Tischen getanzt. Das war geil!"

Ein wenig versuchen beide, ihn einzufangen: den süßen Vogel Jugend. Zwei, drei Stunden als Katalysator für Familientrott und Jobstress - egal, ob mit Bass- oder Gitarrengewitter. Doch wie diese kleinen Fluchten zelebriert werden, macht den Unterschied. Denn Scooter und Tocotronic, das sind auch zwei Lebensprinzipien.

Scooter ist Ehrgeiz. Frontmann Baxxter hüpft und läuft so emsig über die Bühne, als habe er noch dringend Besorgungen zu erledigen. Am liebsten baut er sich jedoch an der Rampe auf, ein Bein nach vorn, bereit zum Angriff - und brüllt. "Shake", "jump", "rave", "dance", "move your ass"! Nicht nur er, auch die Menge soll sich anstrengen. Kein Wunder, dass manche gelbe Arbeiterwesten tragen.

Scooter ist einer, der sich für die Party ebenso den Arsch aufreißt wie die Fans sonst in ihren Büros und Werkstätten. Ein von Flammen und Funken umrahmter Techno-Malocher. Ketten und Nieten am Körper. Ein Bruder im Schweiß. Einer, mit dem sich Größenwahn feiern lässt, der das Herz mit Beats zum Beben bringt. "I feel hardcore". Sich richtig spüren, bevor es am Montag zurückgeht in die Normalität. Baxxter hat das Anti-Intellektuelle perfektioniert. Wenn er zwischen den Songs statt Ansagen mit großem Ernst ein "Aii Aii Jigga Jigga" ins Mikro schreit, ist er der absolute Antipode zu Dirk von Lowtzow, der von Ironie durchtränkt verkündet: "Wir spielen nun wie so oft ein Widerstandslied."

Verse wie "Im Zweifel für den Zweifel" scheinen sich in den Körper des Tocotronic-Sängers eingeschrieben zu haben. Wie das sprichwörtliche Fragezeichen steht das schmale Hemd im Hemd auf der Bühne. Einer, der das Konzept Fleiß nicht im Konzert fortsetzt, sondern mit Songs wie "Sag alles ab" oder "Mach es nicht selbst" dazu aufruft, das tagtägliche Funktionieren mindestens zu überdenken. Der "beschämt" ist von Aktionismus und Applaus der Fans. Einer, mit dem sich Understatement feiern lässt, der den Geist mit Worten zum Beben bringt: "Ein leiser Hauch von Terror." Mal so richtig zaudern und zagen, bevor es am Montag zurückgeht in die Normalität.

Nach dem Konzert, an den Merchandise-Ständen, müssen wir final hardcore oszillieren: Tocotronic-Jutebeutel oder Scooter-Unterhose? Ökologisches Bewusstsein oder Sex-Appeal? Wir retten uns in eine baxxter'sche Weisheit: "The question is: What is the question?"