In der Nacht zum Donnerstag warfen mehrere Vermummte die Scheiben einiger Geschäfte ein. Anschließend zündeten die Täter Rauchbomben.

Hamburg. Es sind vertraute Bilder, die sich den Passanten an der Schanzenstraße seit Donnerstagnacht bieten: eingeworfene Fensterscheiben, geborstenes Glas, notdürftig befestigte Klebestreifen, die tellergroße Löcher verdecken sollen - Spuren der nächtlichen Verwüstungstour von bislang unbekannten Autonomen. Von ihnen fehlt jede Spur. Seit Jahresbeginn zählte die Polizei 65 derartige Taten im Schanzenviertel.

Dieses Mal haben die Täter jedoch heftiger zugeschlagen als sonst: Von zwei der drei betroffenen Geschäfte und Büros ist fast jede Scheibe zerstört. Nach Polizeiangaben haben die Täter insgesamt 37 Scheiben mit Steinen und Hämmern eingeschlagen. Der Schaden beläuft sich auf mehr als 40 000 Euro. Eine Woche vor dem umstrittenen Schanzenfest am 4. Juli spitzt sich die Lage im Stadtteil zu.

"Es muss sehr schnell gegangen sein", sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. Etwa 15 Vermummte versammelten sich gegen 23.30 Uhr an der Kreuzung Schanzenstraße/Ludwigstraße, binnen Sekunden zerstörten sie die Glasfront eines Computergeschäftes und eines Bekleidungsladens. Den Eingang einer Werbeagentur traf es vergleichsweise glimpflich. Dort ging lediglich eine Scheibe zu Bruch, eine Tür wurde leicht beschädigt. Die Täter zündeten anschließend eine Rauchbombe und flüchteten in einen Hinterhof. Als die Polizei eintraf, war der Gehweg rund um die drei Tatorte mit unzähligen Scherben und Steinen übersät. Die Polizei geht von einer politisch motivierten Tat aus. Der Staatsschutz des Landeskriminalamts hat die Ermittlungen übernommen.

Immer wieder geraten vor allem die neuen Geschäfte der Schanze ins Visier linker Gruppen, die sich gegen die "Yuppisierung" des Stadtteils wehren. Farbbeutel-Anschläge und Steinwürfe gehören fast schon zum Alltag - aufgeklärt wurde kein einziger Fall.

Um die Verfolgung der Straftaten zu erleichtern, hat die Polizei vor einigen Monaten Videokameras auf privaten Balkonen und in Geschäften anbringen lassen (wir berichteten). War der jüngste Anschlag Protest gegen die umstrittene Überwachungsaktion der Behörde? Wurden die Täter vielleicht sogar selbst von einer der Kameras gefilmt? Die Inhaber der beschädigten Geschäfte wissen nichts von Polizeikameras. Auch Ralf Meyer schweigt "aus ermittlungstaktischen Gründen". Gleichwohl erfüllt zumindest das Bekleidungsgeschäft grundsätzlich die Voraussetzungen, per Kamera überwacht zu werden. Nach Angaben der Inhaber wurden bereits fünf Anschläge auf das Geschäft verübt.

Ralf Meyer: "Die Videoüberwachung erfolgt, wenn Serienanschläge vorliegen."

Einen Tag nach dem Anschlag ist das Geschehen an der Schanzenstraße nicht anders als sonst. In den Geschäften herrscht reger Kundenverkehr, die kaputten Scheiben werden wahrgenommen, aber nicht hinterfragt. Offiziell wollen die Ladenbesitzer sich nicht äußern - offenbar aus Angst vor weiteren Taten.

Vorbeilaufende Kinder sprechen von "vielen Einbrechern", als sie die zerstörten Scheiben sehen. Schanzenbewohner René Rakebrand (31) will die Tat nicht beurteilen, kritisiert aber die Veränderung des Stadtteils: "Ich wohne seit neun Jahren hier. Inzwischen gibt es kaum noch normale Geschäfte, nur Kleiderläden und Restaurants."

Marc Meyer (48) von dem Verein "Mieter helfen Mieter" stimmt überein: "Der Anschlag ist Ausdruck für die Unzufriedenheit über die Stadtteilentwicklung."

Unterdessen blickt Joachim Lenders, Hamburg-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), mit Sorge auf das anstehende Schanzenfest in gut einer Woche. "Die Anschläge waren eine Grußbotschaft für den 4. Juli." Er erwartet schwere Krawalle. "Ich befürchte, dass wieder Beamte verletzt werden." Nach Abendblatt-Informationen werden nachts bis zu 2000 Beamte im Einsatz sein - so viel wie sonst bei Großdemonstrationen. Bis auf Weiteres hat die Polizeiführung angeordnet, dass täglich Beamte im Schanzenviertel unterwegs sind, um weitere Anschläge zu verhindern. Ein Zeichen dafür, dass die umstrittene Video-Überwachung nicht funktioniert. Gewerkschafter Lenders kritisiert, dass der Bezirk Altona die Ausrichtung des Schanzenfestes toleriert, obwohl es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Ausschreitungen gekommen ist. "Hier machen ahnungslose Bezirkspolitiker plötzlich Innenpolitik."