Das Gericht hielt den Hauptbelastungszeugen im Prozess um Vorfälle in Neuwiedenthal für unglaubwürdig. Der Mann ist Zivilfahnder.

Neustadt. Das Urteil war absehbar, ein Freispruch mit Ansage sozusagen. Am Freitag wiederholte das Landgericht, was es im Juni bereits zu verstehen gegeben hatte: dass die Aussage des Polizisten - des einzigen Belastungszeugen - so gut wie nichts wert sei, dass sich darauf eine Verurteilung auf keinen Fall gründen ließe.

Und so verließ der Hauptangeklagte Amor S., 32, den Gerichtssaal als freier Mann - jener Mann, der angeklagt war, während eines gegen mehrere Polizisten gerichteten Gewaltexzesses am S-Bahnhof Neuwiedenthal dem Beamten Günther J. derart wuchtig ins Gesicht getreten zu haben, dass er mehrere Gesichtsbrüche erlitten und beinahe sein Augenlicht verloren hätte. Lächelnd trat sein Verteidiger Uwe Maeffert nach der Urteilsverkündung vor die Kameras und keilte in Richtung Nebenklage. "Einer der Nebenklagenvertreter hat hier Grenzen überschritten und einen ganzen Stadtteil diffamiert."

Maeffert meinte Andreas Karow. Maeffert und Karow standen sich während der Verhandlung unversöhnlich gegenüber: hier der übereifrige, das Gericht mit Befangenheitsanträgen herausfordernde Karow, dort der gewiefte, nicht weniger offensive Maeffert. Am Ende hatte zwar Maeffert den Kleinkrieg für sich entschieden. Doch bis zur buchstäblich letzten Sekunde hatte Karow versucht, das Verfahren mit neuen Beweisanträgen offenzuhalten. So hatte der Jurist im Stadtteil Neuwiedenthal auf eigene Faust ermittelt und per Flugblatt nach potenziellen Zeugen gefahndet. Unmittelbar vor der Urteilsverkündung ließ er dann von einem Kollegen vier Beweisanträge stellen. Alle lehnte das Gericht ab - nicht ohne in jedem einzelnen Fall eine "Verschleppungsabsicht" zu erkennen.

Als das Gericht 90 Minuten später das Urteil verkündete, musste sich Karow ins Unvermeidliche fügen. Die Angeklagten hatten offenbar mit einem Freispruch gerechnet. Avni A. wirkte wie immer teilnahmslos, der deutlich aufgewecktere Amor S. reckte kurz den Siegerdaumen in die Höhe. Ironischerweise war es ausgerechnet ein Polizist, dessen schwaches Aussageverhalten ihnen die Freiheit bescherte.

Hinter ihnen liegt ein strapaziöses Verfahren mit 39 Verhandlungstagen und 20 Zeugen. Vor gut einem Jahr hatte die Staatsanwaltschaft sie der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt: Aus einem Mob junger Männer heraus sollen sie am 26. Juni 2010 auf zwei Polizisten losgegangen sein. Avni A., 25, sei dem Polizisten Oliver P. mit einem Hechtsprung in den Rücken gesprungen, während Amor S. dem Beamten Günther J. aus vollem Lauf mit dem "Vollspann" ins Gesicht getreten habe.

An jenem Abend hatten zwei Polizisten am S-Bahnhof Neuwiedenthal einen "Wildpinkler", den 27 Jahre alten Mattheusz W., in Gewahrsahm genommen. Als sich der bullige Mann widersetzte, schlugen die Polizisten mit dem Schlagstock mehrfach auf ihn ein. Immer mehr Leute, überwiegend junge Migranten, scharten sich um die Polizisten, plötzlich kippte die Stimmung: Flaschen und Steine flogen auf die Beamten, während der Mob Schmäh-Parolen brüllte. Als nach zehn Minuten die Verstärkung eintraf, war die Situation längst völlig außer Kontrolle. Unter den tobenden Männern hatte sich vor allem der Bruder des Angeklagten Amor S. als Rädelsführer hervorgetan. Als drei Beamte den jungen Mann fixierten, traf Günther J. ein wuchtiger Tritt ins Gesicht. Die Verletzungen waren so gravierend, dass Günther J. noch heute nur im Innendienst arbeiten kann.

Der Zivilfahnder Jörg S. war der Einzige, der den Tritt ins Gesicht und den Hechtsprung beobachtet und die Täter erkannt haben will. Doch der Polizist ließ während seiner gerichtlichen Vernehmung Fragen der Verteidigung nicht zu und berief sich auf sein Aussageverweigerungsrecht, da gegen ihn ein Verfahren wegen Körperverletzung anhängig ist - Jörg S. soll den "Wildpinkler" während der Randale in einem Streifenwagen geschlagen haben.

Umso intensiver, so die Vorsitzende Richterin, habe die Kammer prüfen müssen, ob die Aussage von Jörg S. glaubwürdig ist. Dabei sei das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sie in wesentlichen Punkten unschlüssig sei und den Aussagen der übrigen am Einsatz beteiligten Beamten widerspreche. "Anhand der Aussage", so die Richterin, "sind die Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit überführt."

In der Summe reichten die Indizien nicht für eine Verurteilung: So hatte Amor S. zwar ein Motiv, nämlich die Befreiung seines Bruders. Zudem sei dem vorbestraften 32-Jährigen, der als Anführer einer Jugendgang 1997 einen 17-Jährigen erpresst und in den Selbstmord getrieben haben soll, Gewalttaten nicht fremd. Doch habe Amor S. während der Randale auch versucht, zwischen den Polizisten und dem Mob zu schlichten und zu vermitteln.

Die Nebenklage kündigte gleich Revision an. "Das Urteil ist falsch, wir gehen davon aus, dass der Bundesgerichtshof es aufheben wird", sagte Opferanwalt Walter Wellinghausen.