Es gibt Streit um die Sitzmöbel in der Elbphilharmonie: Der Hamburger Firmenchef Thomas Lange beklagt fehlenden Preiswettbewerb.

Hamburg. Am 18. Oktober dieses Jahres hatte Thomas Lange endgültige Gewissheit, dass er seine Bemühungen jetzt einstellen konnte. An diesem Tag erhielt der Hamburger Unternehmer per E-Mail die Absage von der Stadt. Die Entscheidung über die Vergabe des Millionenauftrags für die Bestuhlung des Großen Konzertsaals in der Elbphilharmonie sei "bereits vor längerer Zeit" getroffen worden. "Eine Bewerbung Ihrerseits erübrigt sich deshalb", hieß es in dem knappen Fünfzeiler eines Mitarbeiters der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe.

Seit 2006, noch weit vor der Grundsteinlegung der Elbphilharmonie im April 2007, hatte Thomas Lange versucht, seine Produkte dem städtischen Bauherrn des 323 Millionen Euro teuren Konzerthauses an der Elbe vorzustellen. Er wurde abgewimmelt, hingehalten und immer wieder vertröstet. Jetzt weiß er, dass er gar keine Chance hatte. Denn ein Preiswettbewerb für die Bestuhlung des Großen Konzertsaals mit seinen 2100 möblierten Sitzen hat nie stattgefunden.

Rund 300 Kilometer südlich von Hamburg liegt Hallenberg. Dort hat seit 1939 der Möbelhersteller Kusch + Co seinen Sitz. Das Traditionsunternehmen mit 400 Mitarbeitern richtet weltweit Kultursäle und Kongresszentren, Kirchen, Arenen und Flughäfen mit Sitzmöbeln ein. Lange hat für das Unternehmen die Alleinvertretung für den norddeutschen Raum und mit Kusch + Co in Hamburg bereits das CCH, das Rathaus und diverse Kliniken bestuhlt.

In Paris ist die Firma Quintette Gallay beheimatet. Der französische Möbelhersteller stellt weltweit Sitze für Konzerthäuser wie das Bolschoi-Theater in Moskau oder die Royal Opera in London, die Opera Katsushika in Tokio oder das Champs-Élysées-Theater in Paris her. Auch mit den Franzosen arbeitet Lange zusammen. Auch sie hatten keine Chance, ihre Design-Möbel in Hamburg zu präsentieren. Die Entscheidung war früh gefallen. Es gab von Anfang an nur einen Anbieter für die 2100 Sitze: die italienische Firma Poltrona Frau, mit der die Architekten der Elbphilharmonie, Herzog & de Meuron, bereits gute Erfahrung gemacht haben.

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Rund 2,2 Millionen Euro sind für die Bestuhlung in der ersten Ausschreibung budgetiert worden, rund 1000 Euro pro Stuhl. Ob der Ansatz eingehalten werden kann, scheint fraglich. Denn anders ist es nicht zu verstehen, dass der Baukonzern Hochtief als Generalunternehmer die Stadt vor fast vier Jahren vor Kostensteigerungen in diesem Bereich gewarnt hatte. "Für die Vergabe der Budgetleistung Bestuhlung Großer Saal wurde bisher in Abstimmung mit Ihnen nur ein Bieter, die Firma Poltrona Frau, in Betracht gezogen", heißt es. "Die in den letzten Wochen durchgeführten Vergabeverhandlungen können dazu führen, dass auch hier die Budgetsumme nicht ausreichen wird."

Hochtief schlägt deshalb in einem Brief vom Februar 2008 an die ReGe vor, "weitere Bieter zu einem Startgespräch einzuladen mit dem Ziel, weitere Angebote zu erhalten". Die Liste der vom Baukonzern vorgeschlagenen Anbieter umfasst 15 Unternehmen. An oberster Stelle: Kusch + Co Sitzmöbelwerke. Doch offenbar wurden mit keiner dieser Firmen Gespräche geführt.

Für den Hamburger Unternehmer und Steuerzahler Thomas Lange ist das nicht nachvollziehbar. "Die Stadt hat mit ihrem Verhalten darauf verzichtet, die ursprünglich geplanten Kosten für die Elbphilharmonie möglicherweise zu senken", sagt er. Sein Angebot, betont er, hätte bei 450 bis 700 Euro pro Sitzplatz gelegen. Für Möbel, die laut Thomas Lange zudem durch einen Polsterverbund mit einem speziellen Gewebe zwischen Polsterschaum und Bezugsstoff schwer entflammbar sind. Durch Gutachten sei zudem bestätigt, dass die Möbel selbst löschend seien, Rauchgase minimiert werden und eine Branderweiterung ausgeschlossen sei. Sicher kein unbedeutender Aspekt bei der Entscheidung für die Bestuhlung eines 2100 Plätze fassenden Konzertsaals.

ReGe-Sprecher Karl Olaf Petters kann die Empörung nicht nachvollziehen, weil bei der Vergabe alles einwandfrei gelaufen sei. "Die Bestuhlung des Großen Saals ist Bestandteil des Gesamt-Bauauftrages an Hochtief", sagt Petters. "Dieser Hauptauftrag ist öffentlich 2006 ausgeschrieben worden. Die zur Abwicklung notwendige Beauftragung von Subunternehmern erfolgt von Hochtief und nicht durch die öffentliche Hand. Daher werden, wie immer in Generalunternehmerverträgen, die einzelnen Bauleistungen zur Errichtung des Bauwerks nicht mehr von Hochtief öffentlich ausgeschrieben." Das Budget, so Petters, "wird aller Voraussicht nach eingehalten".

Kritik an der Nichtberücksichtigung weiterer Anbieter kommt vom Bund der Steuerzahler. "Selbst wenn die Vergabe formalrechtlich in Ordnung war, ist es fahrlässig, auf einen Preiswettbewerb zu verzichten", sagt Geschäftsführer Marcel Schweitzer. "Vor allem im Hinblick darauf, dass die ReGe von Hochtief anscheinend sehr früh auf mögliche Budgetüberschreitungen hingewiesen worden ist."