Zwei Hansestädte im Vergleich: Während Olaf Scholz keine Schulden mehr macht, muss sein Amtskollege Kredite in Rekordhöhe aufnehmen.

Hamburg/Bremen. Die beiden traditionsreichen Hansestädte waren mit ihren Handelsflotten über Jahrhunderte Rivalen auf den Weltmeeren, und noch heute konkurrieren Hamburg und Bremen mit ihren Häfen gewissermaßen um jedes Containerschiff. Mag in beiden Städten, deren Bewohner sich in herzlicher Abneigung zugetan sind, trotz allem auch vieles ähnlich sein, so fallen die Unterschiede gerade in diesen Tagen trennscharf ins Auge.

Zwei Nachrichten illustrieren die Lage: Während sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) über einen Haushaltsüberschuss von 123 Millionen Euro von Januar bis Juni freut und erst mal keine neue Schulden machen muss, muss sich sein Bremer Amtskollege und Parteifreund Jens Böhrnsen vor dem Staatsgerichtshof gegen die Klage von CDU- und FDP-Abgeordneten wehren, sein rot-grüner Haushalt sei wegen der Rekordverschuldung verfassungswidrig.

Nun wird niemand behaupten wollen, in Hamburg stehe mit den öffentlichen Finanzen alles zum Besten. Auch den hiesigen Etat drückt eine schwere Schuldenlast. Jeder Hamburger - vom Säugling bis zum Greis - ist mit 13 585 Euro öffentlich verschuldet. Jeder Bremer steht dagegen mit 27.142 Euro in der Kreide. Eben.

Übrigens: Auch die Bremer haben mehr Steuern gezahlt - 61 Millionen Euro. Nur ändert das nichts an der dramatischen Finanzlage.

Was ist in Bremen schiefgelaufen? Und warum steht Hamburg im Vergleich deutlich besser da? "It's the economy, stupid! Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf!" Der Schlachtruf aus der erfolgreichen Kampagne zur Wahl von Bill Clinton zum US-Präsidenten 1992 hilft auch bei der Ursachenforschung für den Städtevergleich. Aber die Ökonomie erklärt nicht alles, wie sich auch schnell zeigt.

"Hamburg profitiert von seiner gewachsenen Wirtschaftskraft. Das ist in erheblichem Maße Folge des Branchen-Mixes, der hier über Jahrzehnte entstanden ist", sagt Olaf Scholz. Dass hier immer wieder neue Branchen entstanden seien, sorge für eine wirtschaftliche Dynamik, die gut für die Stadt sei. Und für deren Steuereinnahmen, wie hinzuzufügen ist.

Niemand wird von Scholz erwarten, dass er seinen Bremer Amtskollegen und Parteifreund Böhrnsen öffentlich kritisiert oder ihm Ratschläge erteilt. Dennoch: "Handel, Logistik, Hafen und Industrie sind bis heute wichtig für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Aber Hamburg hat sich nie darauf beschränkt, alte Industrien zu konservieren. Es sind immer wieder neue hinzugekommen", sagt Scholz. Hamburg sei in der letzten Zeit zum Beispiel zur Hauptstadt der Windenergiebranche geworden. Hinzu kommen die Bereiche Luftfahrtindustrie mit Airbus und Lufthansa Technik sowie Life Science und Medizin.

In Bremen hatten die Werften eine noch größere Bedeutung als Arbeitgeber als in Hamburg. Vom "Werftensterben" in den 80er- und 90er-Jahren hat sich der Stadtstaat nicht wirklich erholt. Die Stadt an der Weser hat den Strukturwandel offensichtlich nicht so erfolgreich bewältigt wie der Hanse-Nachbar an der Elbe.

Ein Problem: Zwar boomen auch die Bremer Häfen wieder, an denen heute ein Viertel der Gesamtbeschäftigung im Zwei-Städte-Staat hängt, aber ein weiterer Ausbau ist kaum möglich. Weswegen sich der Stadtstaat trotz leerer Kassen auch mit 100 Millionen Euro aus Steuermitteln am neuen Tiefwasserhafen Wilhelmshaven beteiligt.

Die Flächen für Expansion gehen Bremen auch im Wohnungsbau aus. Ohnehin ziehen seit Jahrzehnten vor allem Gutverdiener ins Umland. Folge für Bremen: Sie zahlen auch ihre Lohn- und Einkommenssteuer in Niedersachsen. Deswegen taucht immer wieder die Frage auf, ob nicht die Randkreise eingemeindet werden müssten. Aber das ist mit Niedersachsen so wenig zu machen, wie es im stolzen Bremen möglich ist, über eine Fusion mit dem Nachbarland zu diskutieren. Nicht einmal die vor Jahren angekündigte Fusion der Statistikämter ist zustande gekommen.

Apropos Pendler: In Hamburg ist die Pendler-Quote mit 37,5 Prozent der Erwerbstätigen deutlich höher als in Bremen mit 30,9 Prozent. Das heißt: Hamburg schafft stärker Arbeitsplätze für das Umland. Hamburg ist das Kraftzentrum für die Metropolregion mit ihren 4,1 Millionen Einwohnern. Matthias Fonger, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Bremen, fordert im Gespräch mit dem Abendblatt eine Reform des Finanzausgleichssystems, um die Lohn- und Einkommenssteuer am Ort der Arbeitsstätte und nicht am Wohnort abzuführen: "Die gegenwärtige Regelung ist bei 80 000 Einpendlern netto ein gewaltiger Nachteil."

Da kann Hamburgs Altbürgermeister Ortwin Runde (SPD) nur wissend lächeln. "Der zentrale Grund für die erheblichen Verschuldungsprobleme der Stadtstaaten war der Länderfinanzausgleich 1969 zu Zeiten der Großen Koalition. Seitdem wird die Einkommenssteuer am Wohnort und nicht an der Betriebsstätte bezahlt", sagt Runde im Gespräch mit dem Abendblatt. Um wenigstens etwas von der Benachteiligung auszugleichen, sei die "Einwohnerveredelung" eingeführt worden. Seitdem zählt jeder Stadtstaaten-Bewohner wie 1,35 Einwohner. Es ist wesentlich Rundes Verdienst, dass er als Bürgermeister 2001 diese Einwohnerwertung gegen Bayern und Baden-Württemberg erhalten hat. "Wenn es die nicht mehr gäbe, wären alle Stadtstaaten über den Jordan gegangen", sagt Runde. Hamburg wie Bremen, und Berlin sowieso.

Es gibt zwei weitere wichtige Unterschiede: erstens die Größe. Hamburg ist fast dreimal so groß wie Bremen. "Kleinere Einheiten treffen wirtschaftliche Krisen viel härter", sagt Runde. Was die Hamburger nicht so gern erwähnen: Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 bescherten ausgerechnet die Nazis der Stadt auf einen Schlag 500 000 Einwohner mehr.

Zweitens: Hamburg wächst immer noch - um 100 000 Einwohner seit 1991. Das Bevölkerungsplus steigert letztlich auch wieder die Steuereinnahmen. Bremen dagegen stagniert. Im dem Stadtstaat leben zudem auch noch überproportional viele alte Menschen.

Auf der Haben-Seite stehen in Bremen Unternehmen wie Mercedes mit 12 000 und Airbus mit 3200 Beschäftigten. Außerdem versucht sich Bremen nicht nur mit den Universitäten, sondern in Raumfahrtindustrie und Windenergie zu profilieren.

Auch Runde sieht diese Tendenz positiv, verweist aber auch darauf, dass Bremen auf Großprojekte wie den Raumfahrt-Erlebnispark "Spacepark" gesetzt hat, die sich als Flops herausstellten. Finanziert wurden sie über die Notstandshilfen des Bundes. "Das war zu einer Zeit, als wir in Hamburg schon den Haushalt konsolidiert haben", sagt Runde, Finanzsenator von 1991 bis 1997 und Bürgermeister bis 2001.

Trotzdem: "Bremen hat seine Wirtschaftskraft in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf 138 Prozent des Bundesdurchschnitts gesteigert, das ist Platz zwei hinter Hamburg", sagt Fonger. Es gibt also Hoffnung an der Weser.