Rot-grüner Koalitionsvertrag unterschrieben. Senat will jährlich 120 Millionen Euro kürzen und so die Neuverschuldung bis 2020 auf null senken.

Bremen/Hannover. Die Neuauflage der rot-grünen Koalition im Stadtstaat Bremen ist perfekt. Je drei Spitzenvertreter beider Parteien haben gestern den Koalitionsvertrag unterschrieben. Der steht ganz im Zeichen der Rekordverschuldung des kleinsten deutschen Bundeslandes. Schon in der Präambel heißt es unter Verweis auf die dramatische Finanzsituation: "Wir sind gezwungen, äußerst sparsam hauszuhalten, und haben uns verpflichtet, den vereinbarten Konsolidierungsweg zum Abbau der Neuverschuldung Jahr für Jahr einzuhalten." Der Steuerzahlerbund Niedersachsen/Bremen aber nennt dieses Vorhaben "wirklichkeitsfern" und glaubt, Bremen spekuliere darauf, seine Altlasten auf den Bund abwälzen zu können.

Bei der Bürgerschaftswahl vor fünf Wochen hatte das rot-grüne Bündnis unter Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und der grünen Spitzenkandidatin Karoline Linnert einen klaren Sieg errungen, die SPD legte leicht zu auf 38,6 Prozent, die Grünen steigerten sich um sechs Prozentpunkte auf 22,5 Prozent, lösten damit die CDU als zweitstärkste Fraktion ab. Entsprechend dem Wahlergebnis stellen die Grünen jetzt erstmals drei von sieben Senatsmitgliedern, die SPD trat das Sozialressort ab.

In dem von Parteitagen beider Partner bereits gebilligten Koalitionsvertrag legen sich SPD und Grüne darauf fest, die Neuverschuldung in Schritten von je 120 Millionen jährlich bis zum Ende des Jahrzehnts auf null zu senken und damit die Bedingungen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse zu erfüllen. "Ein wichtiger Beitrag" dazu ist laut Koalitionsvertrag der Abbau von 800 Stellen im öffentlichen Dienst allein in dieser Legislaturperiode. Im Gegenzug erhält Bremen jährlich 300 Millionen Euro Bundesmittel als Konsolidierungshilfe.

Finanzsenatorin Karoline Linnert gibt sich zuversichtlich: "Dass wir die Schuldenbremse einhalten, ist gesetzt. Das wird aber kein Spaziergang."

Denn der Senat will auch finanzwirksame Schwerpunkte setzen. So soll die Kinderbetreuung verbessert werden, Bremerhaven Marktführer für die Windenergiewirtschaft in Europa werden. Die Seehäfen sollen entwickelt, in der Klimapolitik der Ausstoß von Kohlendioxid durch ein ganzes Maßnahmenbündel mit Fernwärmeausbau und Sanierung von Gebäuden verringert werden.

Bernhard Zentgraf, Vorstand des Steuerzahlerbundes Niedersachsen/Bremen glaubt nicht, das Bremen mit der neuen Koalitionsvereinbarung die Schuldenbremse schaffen wird. Er warnte gestern in Hannover im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt: "Der Senat unterschätzt in all seinen Papieren die enormen Zinsrisiken, die aus der Alt- und Neuverschuldung resultieren. Im Hinterkopf haben die Bremer immer die Vorstellung, nach dem Jahr 2020 diese Schulden abwälzen zu können auf den Bund."

Aber auch die für die nächsten Jahre angepeilte Absenkung der Neuverschuldung hält er für wirklichkeitsfern und warnt vor zu optimistischen Grundannahmen: "Finanzsenatorin Linnert geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum über viele Jahre so weitergeht und die Steuerquellen entsprechend sprudeln, das aber ist unrealistisch." Damit nicht genug: "Wenn man aber ein solches Wirtschaftswachstum langfristig unterstellt, würde dies automatisch zu stark steigenden Zinsmargen führen für die in Jahrzehnten angehäufte Schuldenlast von inzwischen über 18 Milliarden Euro."

Zentgraf verweist auf ein Gutachten des Steuerzahlerbundes, in dem die stark steigenden Kosten für Beamtenpensionen vorgerechnet werden: "Wenn Bremen die Schuldenbremse ernst meint, müssen die Einschnitte härter ausfallen."

Peinlich werden könnte für die neue rot-grüne Regierung in Bremen auch die anstehende Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof. Die Oppositionsparteien CDU und FDP klagen gegen den aktuellen Haushalt mit mehr als einer Milliarde neuen Schulden, das entspricht über 20 Prozent des Gesamtetats.

Am 3. August verhandelt das Gericht, in Nordrhein-Westfalen war eine ähnliche Klage gegen die rot-grüne Minderheitsregierung erfolgreich. Die Pro-Kopf-Verschuldung des Stadtstaates Bremen/Bremerhaven lag zum Jahreswechsel mit über 26 700 Euro doppelt so hoch wie in Hamburg und dreimal so hoch wie in Niedersachsen.