Was Marc Schlesinger alles tut, um die stadteigene Mutzenbecher-Villa in Niendorf zu retten. Saga will Schlesinger vor die Tür setzen.

Hamburg. Er hat alles aufbewahrt, jetzt liegen die Papiere auf dem Tisch: Sein Mietvertrag aus dem Jahr 1987, die Sanierungsankündigung der Saga aus dem Jahr 1995 und das Gutachten des Denkmalschutzes aus dem Jahr 2007. Unterlagen, die Marc Schlesinger jetzt gebrauchen kann. Er ist der letzte Mieter in einem Abrisshaus der Stadt. Und die Saga hat bereits angekündigt, ihn gegen seinen Willen vor die Tür setzen zu wollen.

Das Haus ist eine um 1900 erbaute und inzwischen denkmalgeschützte Gründerzeit-Villa im Niendorfer Gehege. Sie steht mitten im Wald neben der umstrittenen Forsthaus-Wohnung des CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse und unweit der Schweiger-Villa. Aber im Gegensatz zu den sanierten Prachtbauten in der Nachbarschaft hat die stadteigene Villa keine Lobby. Der Finanzbehörde ist die Instandsetzung des Hauses zu teuer, der Bezirk Eimsbüttel empfiehlt nach der gescheiterten Suche eines "waldnahen Nutzungskonzeptes" den Abriss samt anschließender Renaturierung des Grundstücks. Und weil die Saga jahrelang nichts mehr investiert hat, sieht die einst für die Sommerfrische von reichen Hamburgern errichtete Villa aus, wie sie aussieht: verlebt und verlassen.

Spaziergänger grüßen den einsamen Mieter trotz des morbiden Charmes, fragen nach dem Wildgehege und fühlen sich beim Anblick des Hauses mit der Adresse Bondenwald 110a oft an Bullerbü oder Pippi Langstrumpf erinnert. Randalierer haben dagegen bereits angefangen, Fenster einzuwerfen, sodass Marc Schlesinger Botschaften an die Außenwand heften musste: "Bitte keine Scheiben einschmeißen. Dieses Haus wird noch bewohnt."

Neben dem wenig kauzig wirkenden 47-jährigen Mechaniker hat das Haus nur noch einen Fürsprecher: den Denkmalschutz. Wie im Fall der für den Abbruch vorgesehenen Villa am Bahrenfelder Marktplatz 17 (das Abendblatt berichtete) stemmen sich die Bausubstanzhüter auch im Niendorfer Gehege gegen einen Abriss. Es sei "skandalös", dieses Kleinod verschwinden zu lassen, sagen Architekten und Denkmalkenner.

In einem Gutachten für das Denkmalschutzamt heißt es, das Haus stelle "ein gut erhaltenes Zeugnis der Geschichte Niendorfs dar". Als ehemaliges Landhaus des Generaldirektors Mutzenbecher (der die Albingia und die Hamburg-Mannheimer gründete) bilde es einen zeittypischen Bestandteil der villenähnlichen Bebauung um das Niendorfer Gehege. Es sei ein qualitätvoller Vertreter der gründerzeitlichen Landhausarchitektur, heißt es weiter. Daher liege die Erhaltung des Gebäudes im öffentlichen Interesse. Mit anderen Worten: Abriss - abgelehnt.

Und tatsächlich gab es Bemühungen, das Haus im öffentlichen Interesse zu erhalten. 1995 kündigte die Saga eine Instandsetzung an. Es blieb bei der Absichtserklärung. 2003 wurden von der Stadt Sanierungskosten in Höhe von knapp 600 000 Euro veranschlagt, ohne Finanzierungsplan. Nach letzten Schätzungen des Bezirks Eimsbüttel belaufen sich die nunmehr kalkulierten Erhaltungskosten auf bis zu 1,5 Millionen Euro. Zu teuer für die Finanzbehörde, zumal Nutzungskonzepte wie eine Kita-Etablierung oder die Unterbringung der Waldjugend nicht zur Planungsreife gelangten. Abgerissen werden soll nun auch, weil der Bebauungsplan eine Wohnnutzung nicht zulässt.

Resultat dieses über Jahrzehnte währenden Sanierungsstaus sind an die Wände getackerte Elektroleitungen, unzureichende sanitäre Anlagen und ein Energiestandard, der nur knapp über dem eines Iglus liegt. Marc Schlesinger, der letzte Mieter, sagt, er wohne wie vor 100 Jahren - ohne Zentralheizung, ohne Isolierung und ohne Komfort. 54 Quadratmeter für 340 Euro. Aber er sagt auch, dass er gern so lebe. "Meine Eltern wohnen in Niendorf, ich bin hier zur Schule gegangen und ich mag die Ruhe." Um ihn herum nur Wald. Außerdem gefalle ihm das Haus, für das er sich jetzt einsetzt.

Darum sei er 1987, als noch alle Wohnungen der Villa vermietet waren, hierher gezogen. Deshalb blieb er auch, als 2003 der vorletzte Mieter raus musste. Und deshalb hat er angefangen, die Aufgaben der Verwaltung zu übernehmen. Er flickt das Dach, mäht Rasen und kümmert sich um das Mauerwerk. Verzweifelte Versuche, der Stadt Angriffsfläche zu nehmen.

Weil Marc Schlesinger seit mehr als 20 Jahren in der Villa wohnt, hat er eine Kündigungsfrist von neun Monaten. Würde er vor die Tür gesetzt, könnte das Gebäude binnen eines Jahres dem Erdboden gleich gemacht werden. "Aber ein Abrissantrag ist noch nicht gestellt", sagt Stephan Glunz, Sprecher des Bezirks Eimsbüttel. "Aber er wird baldmöglichst angestrebt", sagt Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde.

Bis dahin bleibt Marc Schlesinger. Und denkt über Alternativen nach: "Könnte man es nicht dem Gymnasium Bondenwald zur Verfügung stellen?"